Zuflucht Libanon
Von Karin Leukefeld, Halba
Mehr als 20.000 Menschen sind seit Anfang März aus Syrien in den Libanon geflohen. Nach Angaben des UN-Hilfswerks für Flüchtlinge (UNHCR) kamen seit den Massakern im syrischen Küstengebiet 21.637 Schutzsuchende in den Zedernstaat. Es handelt sich demnach um 4.493 syrische und 393 libanesische Familien, die nun im Norden des Landes in den Provinzen Akkar und Hermel entlang der Grenze zu Syrien untergebracht sind.
Zwei der Orte, Massaudija und Hokr Al-Dahiri, liegen nördlich von Halba, der kleinen Provinzhauptstadt, die etwa 15 Kilometer von der Grenze entfernt liegt. Akkar ist eine arme, landwirtschaftlich geprägte Provinz. Seit Jahrzehnten leben in den Dörfern von Akkar syrische Landarbeiter, die aus dem Gebiet von Salamija kommen. Seit Beginn des Syrien-Krieges (2011) sind noch Tausende Flüchtlinge hinzugekommen, die von den Vereinten Nationen – inzwischen mit monatlichen Geldzahlungen – versorgt werden.
»Nun haben wir neue Flüchtlinge aus Syrien«, sagt Kamel Mansur, der Vorsitzende der örtlichen Libanesischen Volkssolidarität Al-Nadschda, vergangene Woche im Gespräch mit jW in dem Büro der Organisation in Halba. Hier wird für die Bevölkerung medizinische Hilfe angeboten; viele der Aktiven sind Ärzte. Nach einer langen Planungsphase ist jetzt der Bau eines Krankenhauses geplant. Al-Nadschda wirbt international um Unterstützung.
Mit den vielen Flüchtlingen, die vor den Massakern geflohen sind, steht eine neue Aufgabe an. »Wir fanden sie in Häusern in den Dörfern entlang der Grenze, wo sie gar nicht genug Platz zum Schlafen haben«, berichtet Mansur. Al-Nadschda habe mit Hilfe örtlicher Bürgermeister eine erste Übersicht erstellt, was benötigt wird. »Essen, Zelte, Matratzen, Decken und medizinische Versorgung«, zählt er auf. Man sammele Geld, um Hilfspakete zusammenzustellen, die an die Familien verteilt werden sollen. Auf die Frage, ob die Geberkonferenz für Syrien und die Region, die gleichentags in Brüssel stattfand, auch die neuen syrischen Flüchtlinge im Libanon in ihre Hilfsprogramme einbeziehen werde, winkt Mansur ab. Er wolle nicht über Politik reden, sagt er. »Wir haben viel zu tun.«
Wenig später ist er mit einem Mitarbeiter auf dem Weg nach Massaudija, um dort über die notwendige Hilfe zu sprechen, die sie vorbereitet haben. Der Bürgermeister des Ortes, Mohammed Ajasch, erklärt sich bereit, die Autorin in das Dorf Hokr Al-Dahiri zu begleiten. Hier fließt der »große Fluss«, der Nahr Al-Kabir, der die syrisch-libanesische Grenze markiert. Die Menschen kämen weiter täglich über den Fluss, erklärt der Bürgermeister. 650 Familien hätten sie in den vergangenen zehn Tagen registriert.
In Hokr Al-Dahiri herrscht reges Treiben. Menschen laufen hin und her, Gepäck wird in Autos verstaut, ein Straßenhändler bietet Obst, Wasser und Süßigkeiten zum Verkauf. Die Menschen wirken müde, fotografiert werden möchte niemand. Zu Fuß geht es bis zu der schmalen Furt, durch die die Menschen aus Syrien herüberkommen. Frauen werden getragen, die Männer und Kinder krempeln die Hosenbeine hoch, ziehen Schuhe und Strümpfe aus und waten durch das seichte Wasser. Es ist eine grüne Grenze im wahrsten Sinne des Wortes. Vom nördlichen Ufer erstreckt sich fruchtbares Ackerland nach Syrien hinein. Doch die Ruhe trügt.
In einem Haus unweit der Furt leben mehr als 40 Menschen, sagt der Bürgermeister und lädt die Autorin ein, mit ihnen zu sprechen. Ein junger Rechtsanwalt erklärt sich bereit, von dem zu reden, was er erlebt hat. Einfach ist das nicht. Bassil (Name geändert) stammt aus Banias und ist 30 Jahre alt. Anfangs seien die Leute der HTS (der dschihadistischen Miliz Haïat Tahrir Al-Scham) freundlich und höflich gewesen, erinnert er sich. Sie hätten versucht, Vertrauen aufzubauen. Einer der verantwortlichen Emire kam offenbar aus Pakistan und erklärte den Bewohnern von Banias und Tartus, sie sollten so weiterleben wie bisher. Aber dann seien Leute verschwunden, und am Morgen habe man sie tot aufgefunden. Die Bevölkerung habe Angst bekommen. Die neuen Machthaber fingen an, über Religion zu sprechen und sagten, dass ihre Religion schlecht sei: »Sie haben uns beschimpft als Ungläubige. Sie haben befohlen, die Kinder in die Moschee zu bringen, um sie neu zu unterrichten. Die Kinder fürchteten sich.«
Am 7. März sei in der Moschee von Banias zum heiligen Krieg gegen Alawiten und Christen aufgerufen worden. In der Stadt sei der Vater eines Priesters getötet worden, viele Bewaffnete kamen dorthin und fuhren auch nach Tartus. Die Menschen seien in die Berge geflohen, in die Wälder und hätten versucht sich zu verstecken. Die Bewaffneten riegelten die Region zwischen Dschabla, Banias und Tartus ab, trieben die Menschen aus ihren Häusern und hätten sich selber dort einquartiert. Andere Gebäude seien geplündert und angezündet worden.
Bassil floh mit seiner Familie, mit seiner Verlobten und deren Familie. Er wisse noch nicht, wie es weitergehen könne. Ob sie im Libanon bleiben oder in Länder gehen könnten, wo man sie freundlich aufnehmen würde? Irak vielleicht? Die Türkei? Oder Europa? »Wir suchen Unterstützung, Hilfe, damit das, was uns geschehen ist, an die Öffentlichkeit kommt«, sagt er mit Nachdruck. »Damit man unsere Stimmen hört.« Viele würden sagen, sie wünschten sich, dass die UNO sie und die Küstenregion schütze. Aber ob das möglich sei, wisse niemand, und die Region sei jetzt unsicher, und die Familien seien in Gefahr. »Wir brauchen Hilfe, in allen Dörfern, in allen Städten und auch in Banias. Wir brauchen Hilfe!«
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (26. März 2025 um 14:33 Uhr)Danke Karin Leukefeld, für ihre Berichte über das Drama, das sich im Nahen Osten abspielt, ohne dass es den »Wertewesten« irgendwie interessiert. Ich kann diese Artikel nicht ohne Tränen in den Augen lesen. Aber diese Tränen sind wichtig, damit die Wut auf diejenigen, die dieses Elend verursachen oder wie die deutsche Regierung stillschweigend dulden, niemals nachlässt.
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