Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 27.03.2025, Seite 5 / Inland
Deutsche Bahn in der Kritik

Bahn neben der Spur

»Alternativer Geschäftsbericht« fordert Bahnreform im Interesse von Mensch und Natur. Union und SPD planen »Entflechtung«
Von Ralf Wurzbacher
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Schon zu oft gehört: »Sehr geehrte Fahrgäste, aufgrund von Bauarbeiten wird der Zug heute leider entfallen«

Die Deutsche Bahn wäre so gerne ein Dax-Konzern. Aber faktisch hat sie tiefgründigere Sorgen. Zum Beispiel liegt dieser Tage zwischen Winden und Landau in der Pfalz der Zugverkehr lahm. Ein Saboteur hat das Gleisbett unterhöhlt. Es war ein Dachs! Wunsch und Wirklichkeit sind nicht immer beste Freunde. Im Fall der DB sind sie sich spinnefeind. Man will Global Player sein, aber in jedem dritten Zug ist das Klo futsch. Jetzt auch noch das: Neuesten Medienberichten zufolge will die Führung große Teil ihrer Digitalisierungsstrategie abblasen, aus Kostengründen, wie es heißt, und weil es Wichtigeres zu tun gibt, etwa dass überhaupt irgendwas läuft. Autonomes Fahren hebt man sich für später auf. Und so wird das Stellwerk vielerorts auch weiterhin per Hand bedient – wie zu Kaisers Zeiten.

An diesem Donnerstag legt der Konzernvorstand seine Bilanzzahlen für 2024 vor. Das verspricht wieder viel Augenwischerei, um erneut ein Debakel zu kaschieren. Am Tag davor ergreifen traditionell die DB-Kritiker das Wort, so auch gestern. Mit ihrem »Alternativen Geschäftsbericht« liefert die Initiative »Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene« alljährlich das Kontrastprogramm zum Alles-wird-gut-Palaver der Chefetage. Dabei sei fast nichts gut und werde es auch nicht, solange man das Topmanagement nicht gegen echte Bahnkenner austausche, erklärten die Kritiker am Mittwoch bei einer Onlinepressekonferenz. Diesmal trägt ihre Textsammlung den Titel »Den Verfall stoppen« und handelt auf knapp 150 Seiten eine Vielzahl an Baustellen ab: irrwitzige Prestigeprojekte, Unpünktlichkeitsrekorde, Greenwashing, Hochgeschwindigkeitswahn und »Tunnelmania«.

Ein Thema sind die sogenannten Generalsanierungen, von welchen die erste – die Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt am Main – nach monatelanger Vollsperrung vor kurzem »erfolgreich« abgeschlossen wurde. »Weit gefehlt. Berichte von erfahrenen Lokführern zeigen, dass sich schon wenige Wochen nach Wiederinbetriebnahme dieser Strecke das übliche Störfallniveau wiedereingestellt habe«, heißt es im Report. Aber trotz aller Missstände »null Selbstkritik des Managements, keine Rücktritte« und ein Aufsichtsrat mit einer »Lame duck« an der Spitze, konstatiert Michael Jung, Sprecher von »Prellbock-Altona«, in seinen »Acht Thesen zum Zustand der DB«. Ein Boss aus Japan »hätte gleich Harakiri gemacht«. In dem Beitrag geißelt der gelernte Volkswirt eine Politik ohne Konzept und fordert eine »Bahnreform 2.0« durch Umwandlung in eine Körperschaft öffentlichen Rechts, sofortige Beendigung aller Großprojekte sowie eine Repriorisierung nach den Kriterien »Sanierung vor Neubau, Engpassbeseitigung und Reaktivierung von Strecken«. Jungs Verdikt: »Die Bahn muss wieder zur Flächenbahn werden.«

Das ist nicht die Vision von Friedrich Merz (CDU). Ihm schwebt »mehr Wettbewerb« vor und eine Herauslösung der Infrastruktursparte aus dem Gesamtkonzern, damit künftig Bahnkunden und Steuerzahler das Netz bezahlen, auf dem sich dann satte Profite einfahren lassen. Spannend bleibt, ob die SPD als absehbarer Koalitionspartner da mitgeht. Der Spiegel schrieb am Mittwoch unter Berufung auf ein Papier der Koalitionsverhandler, man plane eine »Bahnreform«, aber »keine Zerschlagung«. Konkret solle die Netztochter Infra-Go weiter entflochten werden. »Hierzu sind sowohl personelle, rechtliche als auch organisatorische Maßnahmen zu ergreifen«, heißt es in der Vorlage. Auch Aufsichtsrat und Konzernvorstand sollen neu aufgestellt werden, zwecks »schlankerer Strukturen« und »mehr Fachkompetenz«. Das Magazin mutmaßt, »damit könnte der Job von Bahn-Chef Richard Lutz gefährdet sein«.

Entflechtung, Zerschlagung? »Was der Unterschied sein soll, bleibt unklar«, befand am Mittwoch das Bündnis »Bahn für alle« in einer Mitteilung: »Wir fordern, dass die ganze Bahn gemeinnützig wird. Die Menschen im Land bezahlen die Bahn, sie erwarten, dass sie endlich gut funktioniert.« Die vielen teuren Digitalisierungsprojekte braucht es dazu eher nicht. Wie Netzpolitik.org am Montag unter Verweis auf den Audiomitschnitt einer internen DB-Veranstaltung berichtete, wolle das Unternehmen die Forschungsabteilung »Digitalisierung Bahnsystem« (DBS) dichtmachen, um sich speziell auf den Erhalt des Bestandsnetzes zu konzentrieren. Das freut die Aktiven bei »Bürgerbahn«. Digital ließen sich »weder der Dreck in den Bahnhöfen beseitigen, Toiletten in den Zügen säubern, noch eine Weiche im Netz wechseln«. Und der Dachs? Der wühlt eh nur offline.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (26. März 2025 um 21:48 Uhr)
    Ein treffender Titel, doch nicht ganz zutreffend! Die Bahn mag zwar neben der Spur sein, doch es war die kurzsichtige und verantwortungslose Politik, die sie erst aus dem Gleis geworfen hat.