Universität weiter auf Jagd
Von Max Grigutsch
An Details erinnert sich niemand, aber die Stimmung sei »bedrohlich« gewesen. Die erste palästinasolidarische Hörsaalbesetzung der Freien Universität Berlin im Dezember 2023 ist immer noch Thema vor Gericht. Mit der Aktion wollten sich FU-Studierende einen »Raum für faktenbasierten Diskurs« schaffen, der ihnen seit dem 7. Oktober verwehrt worden war, so die angeklagte Person in einer Stellungnahme bei der Verhandlung am Mittwoch. Statt dessen habe die Person »Gewalt, Schikane und Diskriminierung« erfahren.
Verurteilt wurde die Person nach Jugendstrafrecht: 20 Stunden »freiwillige« Arbeit. Anklagepunkt, wie üblich: »Hausfriedensbruch«. Fragwürdig war allerdings die Regelkonformität der Strafantragsstellung durch die Uni. Strafverteidigerin Nina Onèr beantragte zu Anfang die Einstellung des Verfahrens, da der Strafbefehl ungültig sei. Es habe eine »Einschränkung des Strafverfolgungswillens« durch FU-Verantwortliche gegeben, argumentierte die Anwältin. Der zuständige Richter lehnte den Antrag ab, da eine schriftliche Strafanzeige durch FU-Präsident Günter Ziegler vorliege.
Das klare Ziel am Tag selbst sei gewesen, die Besetzer »da rauszubekommen«, verdeutlichte die als Zeugin geladene FU-Vertreterin. Sie sei zum Zeitpunkt der Besetzung für das Hausrecht verantwortlich gewesen. Auch für den Polizeizeugen schien das Einsatzziel klar. Es soll »antisemitische Ausrufe« und »Rangeleien« gegeben haben, es sei »herumgeschrien« worden – auch »polizeifeindlich«. Das habe »bedrohliches Ausmaß« angenommen. Auch die FU-Verantwortliche meinte, »aufgeregte, laute Musik« vernommen zu haben. Es sei »zunächst friedlich, dann aggressiv« und »tumultartig« gewesen.
Das Bild ist gemalt. Nur bezüglich aller weiteren, juristisch relevanten Umstände waren sich die Zeugen vor Gericht unsicher. Der Richter bearbeitete die anwesenden Zeugen mit Fragen, klarer wurde der Sachverhalt dadurch nicht. Was waren die zeitlichen Abläufe? Unklar. Lag ein schriftlicher Strafantrag damals vor? Der Polizeizeuge habe keinen gesehen, die FU-Vertreterin erinnere sich nicht. Der Richter war sich hingegen sicher, dass Ziegler ihr diesen schriftlich mitgegeben hatte. Die qua Amt für »Sicherheit« Zuständige und mit dem Hausrecht Beauftragte habe seiner Ansicht nach aber keine Kompetenz gehabt, den Strafantrag einzuschränken. Der Antrag der Verteidigerin wurde somit abgelehnt.
FU-Präsident Ziegler war geladen, tauchte allerdings nicht auf – ebenfalls üblich. Auch bei der Besetzung sei er nicht vor Ort gewesen, so die FU-Zeugin. Das, obwohl es ihren Angaben nach der erste solche Vorfall seit Jahrzehnten gewesen sein soll. Diese Angabe stimmt allerdings nicht, 2019 hielten Aktivisten von »Fridays for Future« denselben Hörsaal mehrere Tage lang besetzt. Festnahmen gab es damals nicht. Der Unterschied ist wohl der politische Inhalt der Besetzung. Dieser war, laut angeklagter Person, die »Freiheit für Palästina«. »Es lebe der Widerstand der Studierenden«, betonte sie im Gerichtssaal.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Montecruz Foto21.03.2025
Wissenschaft vs. Staatsräson
- Ben Kriemann/IMAGO/imagebroker25.02.2025
»Sie sollte das ›frei‹ aus ihrem Namen streichen«
- Christoph Gollnow/dpa22.05.2024
Akademische Einigkeit
Mehr aus: Inland
-
Solidaritätszuschlag bleibt – vorerst
vom 27.03.2025 -
Im Schneckentempo
vom 27.03.2025 -
Zynismus und Hohn
vom 27.03.2025 -
Bahn neben der Spur
vom 27.03.2025 -
Agrarminister verhandeln Ökoregeln
vom 27.03.2025 -
»Es geht um Konjunkturförderung«
vom 27.03.2025 -
Daniela Klette: Es geht um die Abrechnung mit dieser Widerstandsgeschichte
vom 27.03.2025