Neuer Realismus
Von Frank Schäfer
Brinkmann hat in seiner Lehrzeit in Essen auch begonnen, an Prosatexten zu arbeiten, »Kindheitsaufarbeitungen, geschrieben im inneren Monolog, aus der Nähe und zugleich verfremdet«, heißt es dazu, ganz gut zusammengefasst auf dem Klappentext der gesammelten »Erzählungen«. In Köln tut er nun das, was man als junger Autor niemals tun sollte – er reicht eine Story beim Verlag Kiepenheuer & Witsch ein, zu allem Überfluss auch noch handschriftlich. Und plötzlich passiert das, was so gut wie nie passiert, wenn man Verlagsmitarbeitern Glauben schenken darf – sie wird gelesen und für interessant genug befunden, mit dem Autor Kontakt aufzunehmen.
Die junge KiWi-Lektorin Renate Matthaei, so erinnert sie sich später, entdeckt »in einem Stapel unverlangt eingesandter Manuskripte einen handgeschriebenen Text, der mir durch seine Intensität und Originalität sofort auffiel«. Ihr Kollege Dieter Wellershoff sucht gerade nach Stoff für seinen Sammelband »Ein Tag in der Stadt«, der junge deutsche Literatur und ihren gewandelten Blick auf die Wirklichkeit präsentieren will. »Brinkmann war bereit, zum Thema eine neue Erzählung zu schreiben. Sie erschien 1962 mit dem Titel ›In der Grube‹ in der Anthologie, die im Rahmen des von Wellershoff vertretenen ›Neuen Realismus‹ große Beachtung fand. Die erste Begegnung mit Brinkmann habe ich nicht vergessen. Er zeigte sich als exzellenter Kenner des ›Nouveau roman‹, der ihn auch zum Schreiben inspiriert hatte.«
Damals kommt sein offensichtlich von Alain Robbe-Grillet beeinflusstes Schreibverfahren gerade recht. Brinkmann wehrt sich natürlich auch nicht dagegen, der Kölner Schule zugeschlagen zu werden. Das Etikett ist seine Eintrittskarte in die Literaturszene.
Der Erzählband »Die Umarmung« ist Brinkmanns erste eigenständige Veröffentlichung in einem großen Publikumsverlag, entsprechend große Resonanz hat das Buch erfahren. Mit Marcel Reich-Ranicki, Lothar Baier und Karl Heinz Kramberg schreiben drei im Literaturbetrieb bekannte Rezensenten über das Buch, Reich-Ranicki liest zwar kein »bedeutendes Buch«, erkennt aber immerhin »eine intensive und außergewöhnlich zielstrebige Begabung«. Die beiden anderen verreißen die Erzählungen. Kramberg formuliert in der Süddeutschen Zeitung die schärfste Ablehnung und fragt sich vor allem, was »junge Prosatalente« dazu veranlasst, »aus ihrer Muttersprache Schnüre von Froschlaich zu spinnen«. So ganz aus der Luft gegriffen ist seine Kritik an der aus dem Leim gehenden, sich an Beschreibungsdetails schier überfressenden Syntax nicht. Das zeigt schon der erste, fast zwei Buchseiten füllende Satz. In der Titelerzählung bringt es Brinkmann sogar auf acht Seiten. Das ist dem Lektüregenuss nicht immer zuträglich.
Alfred Andersch hat als Redakteur der Zeitschrift Texte und Zeichen ein Gedicht von Arno Schmidt einmal mit dem schönen Argument abgelehnt, Schmidt baue ein Atomkraftwerk, um sich ein Ei zu kochen. Der literarische Ertrag, soll das wohl heißen, rechtfertigt nicht den enormen Formulierungsaufwand. Brinkmanns Diktion ist auf deutlich andere Weise amplifiziert, schreibt sich eben nicht vom bildwütigen Expressionismus her wie Schmidt, sondern von der »objektalen«, also metapherarmen Sachlichkeit eines Robbe-Grillet. Doch auch bei ihm verengen skrupulöse Beschreibungsexerzitien, die akribische Benennung der Außenwelt, die das Subjekt im Text durch seine Sinne wahrnimmt, den Plot auf bloße Handlungsrudimente. Mehr noch, die freidrehende Apperzeption ist hier oft genug bereits der Plot.
In »Geringes Gefälle« etwa schaut Brinkmann in den Kopf eines Cafébesuchers in den Mittvierzigern. Seiner Einsamkeit, die vor allem aus seiner Partnerlosigkeit resultiert, begegnet er mit stoischer Gleichgültigkeit, die nur gelegentlich von einem dezidierten Welt- und Menschenhass durchbrochen wird. Kurt Vonnegut hat mal in einer poetologischen Skizze postuliert, der Held einer Erzählung müsse irgendwas wollen – und sei es nur ein Glas Wasser. Der hier will nichts mehr, man merkt ihm aber auch an, dass in ihm kein Leben steckt, er ist nur ein papierner Vorwand, um den Beschreibungsgenerator anzuwerfen.
Ähnlich zweidimensional ist die Figur des Lehrers aus »Das Lesestück«, der die müden pubertierenden Jungen seiner Klasse mit einem reihum gelesenen Text langweilt. Die Stunde will kein Ende nehmen, und genauso dieser Text, der enervierend gründlich aus der Perspektive des Pädagogen die banalen Vorkommnisse rekapituliert. Aber was nützt es, Monotonie mimetisch genau abbilden zu können, wenn dabei nur ein monotoner Text herauskommt?
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (28. März 2025 um 08:42 Uhr)»Die freidrehende Apperzeption ist also hier oft genug der Plot.« Aha, so einfach ist das und man kann es doch nicht verstehen! Schreibt die jW an dieser Stelle noch für die Leser einer Tageszeitung? Oder schon für den Elfenbeinturm des ewig Ungelesenen? Ihr wollt verstanden sein, also schreibt verständlich! Quark indes bleibt Quark, auch wenn er sich noch so sehr aufplustert.
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