Zurück aus dem Fronturlaub
Von Arnold Schölzel
Einst nannte Konkret-Herausgeber Hermann Gremliza die FAZ eine »reziproke Prawda«. Gemeint war ungefähr: Die Zeitung der KPdSU teilte der Bevölkerung mit, was das Politbüro ihr sagen wollte. Die FAZ sagte dem politischen Personal in Parteien und Regierung, wo es langgeht.
Das ist Geschichte. Die FAZ ist eine Moraltrompete geworden, die in der Außenpolitik statt Analyse vorwiegend Mutmaßungen über Vorgänge im Kopf Wladimir Putins verbreitet, also über das nach Meinung der Frankfurter schlechthinnige Böse. Das seit Bismarck-Zeiten auch von deutschnationalen Konservativen geteilte Diktum »Kein Krieg gegen Russland« sowie »Auf keinen Fall Zweifrontenkrieg« wurde ersetzt durch Eiferei. Innenpolitisch sieht es nicht viel besser aus, das Geraune ist nur ausführlicher. Es lässt sich sagen: Dem deutschen Großbürgertum ist sein wichtigstes Selbstverständigungsorgan abhanden gekommen – Teil allgemeiner Verlotterung.
Die spiegelt die FAZ getreulich wider, etwa durch albernes Erstaunen darüber, dass man sich zum dritten Mal in gut 100 Jahren in einem Zweifrontenkrieg sieht – heute wegen notorischer Heimtücke in Moskau und der im perfiden Washington. Also schreibt Mitherausgeber Berthold Kohler am 5. März: »Mit dem Beschluss, Ausgaben für die Verteidigung nicht länger von der Schuldenbremse begrenzen zu lassen, meldet sich Deutschland aus dem Fronturlaub zurück, in den die Ampelkoalition im Herbst ging, obwohl Putin auf dem Vormarsch war und damit gerechnet werden musste, dass Trump wiederkehrt und eine zweite politische Front eröffnet.« Weil also der vormarschierende Russe »vor der Tür steht« (Jens Spahn) und mit Trump ein zweites Jalta oder gar ein Truppentreffen an der Elbe plant, darf, so Kohler, »das noch freie Europa nicht länger nur kleckern und meckern, sondern muss klotzen«. Er hat schon nach dem ersten Wahlsieg Trumps 2016 über eine deutsche Atombombe nachgedacht.
Am Montag ließ Kohler einen niederen Dienstgrad an den Generalstabssandkasten: Reinhard Müller, in der FAZ zuständig für Staat und Recht. Der reitet schon in den Überschriften schneidige Attacke: »Die Fesseln des Zwei-plus-vier-Vertrags« (Internetfassung) und »Deutschland muss sich von alten Fesseln lösen« (Druckausgabe). Die »abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland« von 1990 zwischen vier Siegermächten und den beiden deutschen Staaten hatte die staatliche Einheit und die »volle Souveränität« der um die DDR erweiterten BRD hergestellt. Laut Müller war der Preis dafür: »Deutschland verlor letztlich ein Viertel seines Staatsgebiets endgültig.« Damit meint er gut revanchistisch die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und setzt hinzu, es gebe noch »einen Preis, der über die Ostgebiete hinausging«: Die Verpflichtung Deutschlands auf den »Verzicht von atomaren, biologischen und chemischen Waffen und auf eine Obergrenze seiner Streitkräfte von 370.000 Soldaten«. Da aber nun Russland »einen Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine« führe, gebe es »gute Gründe, hier von einem Wegfall der Grundlage für den Zwei-plus-vier-Vertrag zu sprechen«. Mal eben einen völkerrechtlichen Vertrag in Frage stellen, da merkt selbst der FAZ-Mann, dass wenigstens die Form gewahrt bleiben sollte. Das Signal dürfe »nicht sein: Verträge gelten nichts mehr.« Aber dann nimmt er doch noch die Kurve: »Eine Bindung freilich, die dem Land schadet oder nur einem Gegner und bisherigem Vertragspartner dient, kann keinen Bestand haben.«
Das hat Tradition: Das imperialistische Deutschland hat keinen – nicht einen – Vertrag mit Russland oder der Sowjetunion eingehalten. Krieg war und ist Lebensform, nur: Diesmal wird es anschließend dagegen keine Mauer mehr geben.
Das imperialistische Deutschland hat keinen – nicht einen – Vertrag mit Russland oder der Sowjetunion eingehalten. Krieg war und ist Lebensform, nur: Diesmal wird es anschließend dagegen keine Mauer mehr geben.
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Danke, Herr Kohler, dafür, dass nun auch Russland langsam begreift, was Verträge mit den Deutschen wert sind. (Gorbatschow hatte es nicht kapiert.) Nämlich einfach nichts.