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Aus: Ausgabe vom 29.03.2025, Seite 1 (Beilage) / Wochenendbeilage
Krieg im Sudan

»Die kämpfenden Fraktionen sind Vermittler der imperialistischen Plünderung«

Der Krieg im Sudan ist ein Kampf um die Reichtümer des Landes. Ausländische Mächte stützen sich dabei auf Stammesführer und Warlords. Ein Gespräch mit Amro Elebeid
Interview: Constantin Höhendinger, Richard Malone
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Der Krieg im Sudan wird in deutschen Medien trotz der hohen Opferzahlen von mehr als 150.000 Getöteten nur selten verhandelt. Woran liegt das?

Es gibt viele komplexe Faktoren, die zu diesem Problem beitragen. Ein wesentlicher Faktor ist die internationale politische Lage, die durch den anhaltenden Krieg in der Ukraine stark beeinflusst wurde. Zudem hielt auch die innenpolitische Situation in Deutschland in den letzten Jahren Herausforderungen bereit, und dieses Jahr – als Wahljahr – hat die Entscheidungsfindung zusätzlich geprägt.

Generell gibt es einen globalen Trend in entwickelten Ländern wie Deutschland, den USA und Großbritannien, bei dem der Fokus zunehmend auf die eigene Stabilität gelegt wird, bevor Unterstützung für andere Länder ausgeweitet wird. Diese Haltung ist bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar, führt jedoch dazu, dass die Hilfe für Entwicklungsländer wie den Sudan oder Syrien in den Hintergrund rückt. Ein zentrales Thema scheint die Zurückhaltung gegenüber der Aufnahme weiterer Migranten zu sein – eine Entwicklung, die in ganz Europa zu beobachten ist.

Historisch gesehen war Afrika oft ein Schauplatz geopolitischer Machtkämpfe, insbesondere zwischen globalen Akteuren wie den USA, China und Russland. Diese Mächte spielen auch im aktuellen Sudan-Konflikt eine wesentliche Rolle. Es wäre nicht fair, die Verantwortung ausschließlich einer Seite zuzuschreiben, doch es ist offensichtlich, dass das internationale Interesse am Sudan begrenzt bleibt – vermutlich, weil kein signifikanter geopolitischer oder wirtschaftlicher Vorteil darin gesehen wird.

Auf gesellschaftlicher Ebene sind diejenigen, die sich informieren möchten, meist bereits über die Situation im Bilde, während andere wenig Kenntnis darüber haben. Ich persönlich versuche, das Bewusstsein für den Krieg im Sudan zu schärfen und Informationen darüber zu verbreiten. Die Situation ist wirklich tragisch, und es schmerzt, das Leid mitanzusehen. Dennoch bleibe ich hoffnungsvoll, dass sich die Lage in der Zukunft verbessern wird.

Wenn es mal Berichte gibt, ist oftmals vom »Bürgerkrieg im Sudan« die Rede. Deckt sich das mit Ihrem Verständnis der Lage?

Die Bezeichnung »Bürgerkrieg im Sudan« greift meiner Meinung nach zu kurz und wird der Komplexität der Situation nicht vollständig gerecht. Zwar handelt es sich um einen Konflikt zwischen unterschiedlichen bewaffneten Gruppen innerhalb des Landes, aber die Ursachen und die Dynamiken gehen weit über einen klassischen Bürgerkrieg hinaus. Zum einen gibt es erhebliche externe Einflussnahmen durch internationale Akteure wie die USA, China, Russland und verschiedene arabische Staaten, die unterschiedliche Interessen in der Region verfolgen. Zudem spielen wirtschaftliche Faktoren, insbesondere der Zugang zu Ressourcen wie Gold und landwirtschaftlichen Flächen, eine zentrale Rolle.

Zum anderen sind die Konfliktparteien nicht klar in eine Regierung und eine Rebellengruppe unterteilt, wie es oft in Bürgerkriegen der Fall ist. Vielmehr handelt es sich um einen Machtkampf zwischen rivalisierenden militärischen Strukturen, insbesondere zwischen der sudanesischen Armee, den SAF, und den Rapid Support Forces, RSF, die beide um die Kontrolle über das Land kämpfen. Die Bezeichnung »Bürgerkrieg« mag in westlichen Medien eine einfache Kategorisierung sein, doch sie wird der vielschichtigen Realität des Sudan-Konflikts nicht wirklich gerecht. Es wäre daher treffender, von einem komplexen innerstaatlichen und geopolitisch beeinflussten Konflikt zu sprechen.

Wie hängt der Krieg mit der Revolution von 2019 zusammen?

Die sudanesische Revolution war ein direkter Ausdruck des historischen Kampfes der Bevölkerung gegen die Kräfte der Reaktion, der Unterdrückung und der imperialistischen Herrschaft. Sie war keine fragmentierte oder isolierte Bewegung, sondern ein geeinter Aufstand des Proletariats, der arbeitenden Massen und aller unterdrückten Schichten der Gesellschaft gegen die Überreste des bürgerlich-militärischen Apparats, der seit langem als Wächter der kapitalistischen und imperialistischen Interessen in der Region dient.

Diese Revolution war niemals eine bloße reformistische Forderung nach Veränderung, sondern ein radikaler Versuch, die alten Strukturen der Klassenunterdrückung, der Militärdiktatur und der neokolonialen Ausbeutung zu zerschlagen. Doch die konterrevolutionären Kräfte – bestehend aus der Militärjunta, den reaktionären bürgerlichen Elementen und ihren imperialistischen Unterstützern – konnten eine solche Umwälzung nicht zulassen, da sie das Ende ihrer parasitären Herrschaft über Macht und Reichtum bedeutet hätte. Für sie war dies nicht nur ein politischer Kampf, sondern eine Frage des Überlebens.

Von Beginn an intervenierten externe imperialistische Kräfte gemeinsam mit regionalen reaktionären Regimen, um die Revolution zu sabotieren, da sie deren unvermeidliche Auswirkungen auf ihre eigenen unterdrückten Bevölkerungen fürchteten. Das Sit-in vor dem Hauptquartier der Armee im Juni 2019 war ein klares Beispiel für das revolutionäre Potential der Arbeiterklasse und der Unterdrückten; es war ein Mikrokosmos der neuen Gesellschaft, aufgebaut auf den Prinzipien der Gleichheit, sozialen Gerechtigkeit und echter Volksmacht. Genau dies versetzte die herrschende Klasse und ihre ausländischen Verbündeten in Angst und führte dazu, dass sie brutale Repression entfesselten, einen Militärputsch organisierten und den Übergangsprozess manipulierten, um den revolutionären Elan zu ersticken.

Die zivile Übergangsregierung unter Abdalla Hamdok (2019–2021) und die ihr nahestehenden Gewerkschaften scheiterten mit der Einführung einer Demokratie. Wo liegen die Ursachen für das Scheitern?

Das Scheitern der sogenannten Übergangsregierung war unvermeidlich, da sie auf den Fundamenten militärischer und kapitalistischer Dominanz errichtet wurde, gestützt durch imperialistische Kräfte, die Sudan als abhängigen, zersplitterten Staat erhalten wollten, um ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen zu sichern. Die Revolution scheiterte nicht an mangelnder Unterstützung des Volkes, sondern an den koordinierten und konzertierten Anstrengungen der konterrevolutionären Kräfte, ihre Hegemonie um jeden Preis zu verteidigen.

Ist der Krieg im Sudan auch ein Ausdruck der Interessen verschiedener Groß- und Regionalmächte ?

Die Rufe nach einer »neuen kapitalistischen Ordnung« sind in Wirklichkeit eine Fortsetzung der imperialistischen Dominanz über die Region. Das Konzept des »Kriegs gegen den Terrorismus« wurde ursprünglich von diesen Mächten geschaffen und gezielt instrumentalisiert, um ihre Hegemonie zu sichern. Dieser Prozess fördert sektiererische, ideologische, regionale und ethnische Spaltungen und macht sie zu Werkzeugen, um das soziale Gefüge der Gesellschaften zu schwächen und sie in interne Konflikte und Zwietracht zu stürzen.

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Immer wieder protestieren die Gewerkschaften gegen die Herrschaft des Militärs (Khartum, 6.4.2023)

Wie in anderen Ländern der Region dienen diese künstlich geschaffenen Konflikte der Aufrechterhaltung des imperialistischen Einflusses, indem sie die fortgesetzte Fragmentierung der Nationen sicherstellen und die Kontrolle über den Reichtum und die Ressourcen der unterdrückten Völker erleichtern. Das ultimative Ziel besteht darin, jeden Staat oder jede Region in eine schwache, abhängige Einheit zu verwandeln, die von der stärksten Fraktion dominiert wird – ein Mechanismus, der die Expansion des imperialistischen Einflusses ermöglicht und wirtschaftliche sowie geopolitische Interessen durch die Unterwerfung und Ausplünderung von Nationen sichert.

Auf welche Kräfte können sich die Imperialisten dabei stützen?

Der Sudan wird bewusst auf einen Pfad der Zersplitterung gedrängt, der die umfassendere Strategie widerspiegelt, unabhängige Staaten in der Region zu demontieren. Dies geschieht durch das Anheizen regionaler und ethnischer Konflikte, die Wiederbelebung des Tribalismus und die Stärkung ererbter Führungsstrukturen, die auf ethnischen und regionalen Spaltungen basieren. Ziel ist es, eine Kultur der Spaltung und des Ausschlusses zu verankern, um das Überleben reaktionärer Kräfte zu sichern, die dem imperialistischen Projekt treu ergeben sind.

Neue Figuren – lokale Herrscher, Stammesführer und regionale Machthaber – werden eingeführt, um alte Machtstrukturen zu ersetzen und so die Kontrolle über die verarmten Massen aufrechtzuerhalten. Durch die Stärkung ererbter Stammes- und Regionalloyalitäten versuchen imperialistische Kräfte, jeglichen kollektiven Widerstand zu unterdrücken und die revolutionären Bestrebungen des Volkes zu eliminieren. Dies stellt sicher, dass die herrschenden Eliten und politischen Fraktionen weiterhin auf Kosten der arbeitenden Massen profitieren und einen echten Weg zur nationalen Befreiung und sozialen Gerechtigkeit blockieren.

Seit der Revolution ab Dezember 2018 haben regionale und internationale Akteure aktiv daran gearbeitet, das revolutionäre Projekt zu sabotieren. Durch trügerische Initiativen und fragwürdige Abkommen brachten sie eine Übergangsregierung an die Macht, die aus Militär- und Zivilfiguren bestand, die ausländischen Interessen loyal ergeben waren. Dieselben Akteure fordern nun humanitäre Hilfe und Waffenstillstände – nicht aus Sorge um das Volk, sondern um das Schlachtfeld zugunsten ihrer Verbündeten zu manipulieren. Die verschiedenen sogenannten Friedensinitiativen dienen dazu, ihre Kontrolle zu festigen, wobei jede Fraktion danach strebt, sie zu nutzen, um ihren Griff über Sudans Reichtum und Ressourcen zu stärken.

Wieviel Einfluss haben die Großmächte oder große Konzerne auf die einzelnen Fraktionen der herrschenden Klasse des Sudan?

Der anhaltende Krieg im Sudan ist nicht einfach ein interner Konflikt zwischen der Armee und den Rapid Support Forces, sondern ein Stellvertreterkrieg, der von regionalen und internationalen Akteuren geschürt wird, die um Einfluss und die Kontrolle über Sudans enorme Ressourcen konkurrieren. Die Führer beider Kriegsparteien – getrieben von ihren eigenen Ambitionen – sind zu Werkzeugen dieser äußeren Kräfte geworden. Während sie vorgeben, für nationale Souveränität zu kämpfen, ermöglichen sie in Wirklichkeit die Ausbeutung des Sudan durch fremde Mächte.

Jeder, insbesondere das sudanesische Volk, muss erkennen, dass dieser Krieg den Interessen des globalen Kapitals und imperialistischer Agenden dient. Wahre Befreiung wird nicht dadurch erreicht, sich auf die Seite einer der militärischen Fraktionen zu stellen, sondern nur durch die Zerschlagung der Unterdrückungsstrukturen und die Befreiung aus dem Griff der ausländischen Dominanz. Nur eine vereinte revolutionäre Bewegung, die auf der Arbeiterklasse und den unterdrückten Massen basiert, kann die Zukunft des Sudan zurückfordern und eine Gesellschaft aufbauen, die auf Gerechtigkeit, Gleichheit und sozialistischer Transformation beruht.

Wie reproduziert sich dieser Krieg? Was ist die wirtschaftliche Grundlage, auf der immer neue Waffen gekauft werden können?

Dieser Krieg ist weder ein spontaner Konflikt, noch kann er sich von selbst auflösen – er wird gezielt von äußeren imperialistischen Kräften aufrechterhalten, die vom Leid des sudanesischen Volkes profitieren. Diese globalen Akteure befeuern den Krieg, indem sie beide Militärfraktionen mit Waffen versorgen, im Gegenzug für den Zugang zu den Reichtümern des Landes. Die kämpfenden Fraktionen – sowohl die Milizen als auch das Militär – sind zu bloßen Vermittlern in der imperialistischen Plünderung des Sudan geworden. Sie kontrollieren strategische Ressourcen wie Gold, Häfen, Flughäfen und die Viehwirtschaft, die sie bereits im voraus an ausländische Mächte verpfändet haben, um Waffen und finanzielle Unterstützung zu erhalten.

Es gibt bestimmte Staaten, die Milizen finanzieren und unterstützen, während andere die sudanesische Armee unterstützen. Diese Staaten sind jedoch lediglich Werkzeuge globaler Mächte und folgen bekannten regionalen Allianzen. Dieser Krieg wird nicht im Interesse des Volkes geführt, noch geht es um nationale Souveränität – er ist ein kalkulierter Prozess wirtschaftlicher Ausbeutung. Sudans Ressourcen werden bereits vor ihrer Förderung oder Produktion verkauft, und die Erlöse werden direkt in den Waffenkauf gesteckt, um den Kreislauf der Zerstörung weiter anzutreiben. Dieser Teufelskreis nützt nur den imperialistischen Mächten und ihren lokalen Handlangern, während die Massen unter Verwüstung, Armut und Vertreibung leiden.

Was erwarten Sie als Kommunist von der internationalen Linken? Wie können deutsche Linke Kontakt zur sudanesischen Community aufnehmen?

Jeder Kommunist, insbesondere sudanesische Kommunisten, muss von der deutschen Linken uneingeschränkte Solidarität im globalen Kampf gegen Imperialismus und Unterdrückung erwarten. Es kann keine Kompromisse oder Mittelwege geben – nur entschlossene Unterstützung für Befreiungsbewegungen weltweit. Dazu gehört der Widerstand gegen imperialistische Interventionen, insbesondere durch Institutionen wie die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds, die neoliberale Umstrukturierungspolitiken durchsetzen, die dem globalen Kapital dienen und auf Kosten der unterdrückten Massen gehen.

Über ideologische Unterstützung hinaus ist praktische Hilfe unerlässlich. Die Linke in Deutschland muss kommunistischen Parteien und revolutionären Organisationen logistische Unterstützung bieten, indem sie Räume für Versammlungen, öffentliche Diskussionen und Konferenzen zur Verfügung stellt, um ihre politische Arbeit zu stärken. Auch die mediale Zusammenarbeit ist entscheidend – der freie Zugang zu linken Zeitungen und Medien kann revolutionären Stimmen Gehör verschaffen und die Verbrechen des Imperialismus aufdecken.

In bezug auf die direkte Unterstützung der sudanesischen Gemeinschaft in Deutschland muss die Linke enge Verbindungen zu progressiven und demokratischen Bewegungen im Sudan aufbauen – und nicht zu den überholten traditionellen Parteien, die oft die Botschaftskreise dominieren. Revolutionäre Solidarität bedeutet, Asylsuchenden und politischen Flüchtlingen rechtliche Hilfe und notwendige Unterstützung zu bieten.

Vor allem aber müssen deutsche Kommunisten und ihre sudanesischen Genossen gemeinsam daran arbeiten, das globale kapitalistische System zu entlarven und zu bekämpfen. Dies erfordert organisierte Zusammenarbeit, ideologischen Kampf und den Aufbau eines stabilen Netzwerks, das Befreiungsbewegungen in Europa, dem Sudan und ganz Afrika verbindet. Dies ist kein Gefallen, es ist die Pflicht jedes Revolutionärs, der die imperialistische Herrschaft zerschlagen und eine sozialistische Zukunft aufbauen will.

Amro Elebeid ist ein kommunistischer Analyst und Aktivist aus dem Sudan und lebt in Deutschland

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