Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 29.03.2025, Seite 6 (Beilage) / Wochenendbeilage
Rock

Der einsame Junge

Überlegungen zum 80. Geburtstag des weißen Bluesgitarristen Eric Clapton
Von Gerd Schumann
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Eric Clapton, live in Philadelphia (1975)

»She cried away her life since she fell out of the cradle«
(etwa: Sie hat ihr Leben lang geweint, seit sie aus der Wiege gefallen ist. Text und Musik: Eric Clapton/George Harrison; aus »Badge«, Cream 1968)

Clapton is God.« Mitte der Sechziger machte der Spruch, irgendwo in Islington/London auf einen Wellblechzaun gesprayt, grenzüberfliegend die Runde, sogar bis zu uns, Kids in der norddeutschen Provinz. Er und die verrückten Klänge, die in ihm steckten, trugen ihren Teil dazu bei, dass die störrische, zunächst antiautoritär gefärbte Kontroverse zwischen den kulturellen Flachheiten der Restauration und einem ungeahnten Aufbegehren offen losbrach, widerwillig geduldet an halbstündigen »Beatclub«-Samstagnachmittagen im Wohnzimmer.

God Clapton tauchte auf den Bildschirmen auf – mit den Yardbirds, mit Cream, mit Blind Faith. Wir spürten, dass da etwas bis dato Ungekanntes stattfand und lernten by doing: Popmusik spiegelt immer auch gesellschaftliche Verhältnisse, unter denen sie entsteht. Meist begleitet sie diese als Unterhaltungskultur. Sie kann aber auch reflektierend Einfluss auf Entwicklungstrends nehmen. Aus der vorhandenen Wechselbeziehung zwischen Kultur und Politik, zwischen Geschichte und Zukunft wächst in Umbruchzeiten Besonderes, und uns durchzuckte eine Ahnung davon, als Clapton plötzlich in aller Munde war.

I.

Es hat nicht viel gefehlt, und Clapton hätte seinen Landsitz Hurtwood Edge südwestlich von London vor bereits mehr als 50 Jahren mit den Füßen voraus verlassen. Damals war er immer tiefer in die Drogenhölle geraten, in die er sich zurückgezogen hatte, seine blutjunge Freundin – sie war erst 16, als sie Eric kennenlernte – musste ihm Teile ihrer eigenen Ration Heroin überlassen und konsumierte statt dessen zwei Flaschen Wodka täglich. Alice Ormsby-Gore, später verlassen von Clapton, starb verbittert mit 42 Jahren 1995 an einer Überdosis.

Erics Ende schien lange vorher nah, und wäre er, der am 30. März 80 Jahre alt wird, tatsächlich dem »27er Klub« beigetreten, wäre er auf dem Höhepunkt seiner ersten Schaffensperiode gegangen. Vor ihm hatten schon sein Inspirator Jimi Hendrix und auch andere 27jährige Künstlergrößen wie Brian Jones, Janis Joplin, Jim Morrison das an Fahrt verlierende Schiff des musikalischen Aufbruchs verlassen, später würden weitere folgen: Kurt Cobain, zuletzt Amy Winehouse. Und viel früher war Claptons Leitstern Robert Johnson (1911–1938), der schwarze Bluesmusiker vom Mississippi der Cottonfields, an der Kreuzung zurückgeblieben – sein »Crossroads« wurde von Clapton hundertmal gespielt, mindestens, die Stones lieferten eine respektable Version von »Love in Vain« ab (auf »Get Yer Ya-Ya’s out«, 1970), Clapton spielte in gesetztem Alter das gelungene Album »Me and Mister Johnson« mit Coverversionen.

Resümierend zitiert Claptons Biograph Peter Kemper seinen Protagonisten mit den Worten: »Ein paar gute Jahre wie Robert und dann ab!« Ein Abtritt ganz im Sinne seines Freunds Pete Townshend, der 1965 mit The Who die griffige Losung ausgegeben hatte: Sterben vorm Altwerden (in: »My Generation«). Schlagzeuger Keith Moon nahm sie wörtlich, Townshend lebt immer noch – wie Clapton einer der ersten »Gitarrenhelden« der Rockgeschichte, die in England mit der Entdeckung des schwarzen Blues begann, freigelegt von jungen weißen, euphorisierten Goldgräbern. Sie waren enthusiasmierte Fans, die sich ihren eigenen Reim machten auf das, was sie auf raren Platten aus dem Mississippi-Delta, Chicago oder Memphis hörten. Dass die Kunst der Nachgeborenen zum Sound eines ungeahnten, historisch zwingenden Umbruchs wurde, hatte natürlich mit der Zeit zu tun. Aus der empfingen sie ihre Energie, und in die hinein sendeten sie ihre Impulse – ein wechselseitiger Avantgardismus.

Es mag durchaus sein, dass auch Clapton die historische Dimension gespürt hat, die ihn und sein von Fleiß, Intuition, Begabung und einer Beharrlichkeit, wie sie Überzeugte hervorbringen, gespeistes Talent zu einem der ganz Großen werden ließ. Schließlich bestand sein Umfeld, das dann »Swinging London« oder »Roaring Sixties« genannt wurde, aus suchenden, vieles ausprobierenden jungen Leuten, die das konservative Element eines abstürzenden Empires verachteten und zugleich aus dem Überkommenen, den Kulturen der Unterdrückung und des Aufbegehrens, Neues schufen. Ging das?

Mitch Ryder aus der Motorstadt Detroit meinte, nein, der Streit um die Authentizität des weißen Blues beschäftigte lange Zeit die Gemüter. »Ain’t nobody white (can sing the blues)« – es gibt keinen Weißen, der den Blues fühlen, singen, schreien, leben kann wie Versklavte oder schwarze Arbeiter. Davon sang und singt Ryder – um während seiner Auftritte das genaue Gegenteil zu demonstrieren. Auch Weiße können auf den Blues kommen, Janis Joplins »Summertime« forever!

II.

Ein außerehelich geborener Junge, Sohn eines kanadischen Soldaten, der schnell das Weite gesucht hatte, und einer unsteten Mutter Patricia »Pat« Clapton, die mit 15 Jahren schwanger mit ihm geworden war, als »Soldatenhure« geächtet wurde und schließlich mit ihrem neuen Freund nach Kanada verschwand. Eric blieb zurück bei den Großeltern Jack, einem begabten Handwerker, Maurer, Stuckateur, Schreiner, und Rose Clapp – er nennt sie am Beginn seiner Autobiographie »meine Mum und mein Dad«.

Seine Entwicklung zum Künstler begann, nachdem er die Grammar School verfehlt hatte, als Sechzehnjähriger mit einem Kunststudium, das er dann im Probejahr zwar wenig betrieb, dafür aber mehr durch die Klubs zog und sich mit dem Blues beschäftigte. Der war das angesagte Ding, und wer hätte gedacht, dass die in den USA an den Rand, wie die Underdogs und Entrechteten, verbannte originäre Rootsmusik die Basis von allem würde, was unter dem späteren Label »Rock« entstehen sollte.

England hatte die Nase musikalisch vorn, »die Staaten« als Herkunftsland den Umbruch verschlafen, der Rassismus saß tief, ein veritabler Bremsklotz auch für kulturelle Innovation. Dass die Amis mit Chuck Berry – neben Johnson ein Vorbild Claptons, mit dem er später, wie mit B. B. King, sogar zusammen auftreten konnte – bereits ein Jahrzehnt zuvor einen der großen Gitarristen der Rockgeschichte hervorgebracht hatten, hatten sie verpasst. Der emanzipativen Idee, etwa die Barrieren zwischen Weiß und Schwarz einzureißen, folgten erst wenige Weißhäute – und die lebten meist jenseits des Großen Teichs.

Rose förderte Eric derweil, wo sie konnte, zahlte seine erste Gitarre an und unterschrieb auch für den noch nicht 18jährigen Eric dessen Vertrag als Profigitarrist. Die Yardbirds begleiteten den schwarzen Bluessänger Sonny Boy Williamson II. auf einer Klubtour. Als Clapton dann nach 16 Monaten die Band – auf ihn würde Jeff Beck folgen – wegen derer kommerzieller Ambitionen verließ, war er zum Schluss noch an deren Hit »For Your Love« beteiligt gewesen, der es auf Platz zwei der britischen Charts schaffte.

Den Clapton danach bei John Mayalls Bluesbreakers nahm sogar Jimi Hendrix wahr, Claptons Ruf lockte ihn im September 1966 nach England. Mit The Jimi Hendrix Experience formierte dieser just ein Trio. Es spielte einige Klubsessions, und Clapton stieg mit auf die Bühne – Hendrix stimmte »Killing Floor« an, ein Stück des schwarzen Bluesmusikers Howlin’ Wolf, das Gitarrenduell begann, der virtuose Tüftler auf Seattle/Washington spielte den Engländer auf offener Bühne an die imaginäre Wand. Die Achtung beider voreinander hielt.

Clapton staunte und lernte, setzte wie Hendrix Wah-wah-Overdubs aus dem revolutionären »Burning of the Midnight Lamb« und Halleffekte ein – genannt sei mit Jack Bruce’ »White Room« (Text: Pete Brown) und einem vom genialen Ginger Baker im 5/4-Takt donnernden, präzis getrommelten Rhythmus einer der wichtigsten Songs der Rockgeschichte. So ging es weiter mit Cream, der allerersten Sahne, und jeder Menge bahnbrechenden Werken, meist geschrieben vom Bassisten und Sänger Bruce, »Sunshine of your Love«, »I feel free«, »Tales of Brave Ulysses«, »Strange Brew«, »Politician« und einer hochkarätigen Serie von vier Alben, die Bruce, Baker und Clapton zustande brachten, improvisationsstark am Jazz orientiert, musikalisch hochklassig, ein Trio mit Clapton als Solo- und Rhythmusgitarrist zugleich.

Nach dem überraschenden Aus von Cream Ende 1968 wegen nach einer fünfmonatige US-Tour deutlicher Ermüdungserscheinungen und des ewigen Konflikts zwischen Baker und Bruce war das Projekt längst zum Synonym für harten, psychedelischen Blues geworden. Anders die von Claptons und Steve Winwoods Manager projektierte neue Supergroup Blind Faith (Blindes Vertrauen), deren Name die Kurzlebigkeit in sich trug: Deren erstes und einziges Album war bereits vor Erscheinen vergoldet worden. Clapton steuerte als Autor »Presence of the Lord« bei, diesmal auf religiösem Trip, sang aber noch nicht selbst. Seine Intention sei gewesen, »Gott (oder wie auch immer man ihn nennen möge) zu danken, für was auch immer passiert«, so Clapton.

Dem blinden Vertrauen, das keine sechs Monate hielt, folgten Gigs mit Delaney & Bonnie and Friends und Claptons Mitwirkung in John Lennons und Yoko Onos Plastic Ono Band (»Live Peace in Toronto 1969«) – ein gesplitteter Auftritt mit dynamischen Rock-’n’-Roll-Klassikern plus Lennons »Cold Turkey« und »Give Peace a Chance« sowie einem dadaistischen Auftritt Yoko Onos in einem Müllsack und mit ihren anspruchsvollen und, zugegeben, verstörenden Gesangseinlagen.

In der Tat fiel es, neben der CIA, auch einigen Kritikern schwer, die in Ono die böse Zerstörerin der Beatles sahen, mit den progressiven Attitüden des großen Lennon und dessen politischen Aktivitäten umzugehen – noch 2024 wurde das engagierteste Werk der Plastic Ono Band »Some Time in New York« im Rolling Stone als »Agitprop« abgetan.

»War is over – if you want it«: Clapton hielt sich zurück. »Ahnungslos« sei er gewesen, Antikriegsdemonstrationen und Rassenunruhen hätten ihn nicht gekümmert. Allerdings war er an ungezählten Benefizereignissen beteiligt: von Harrisons Bangladesch-Solidarität 1971 über die kulturpolitischen Spektakel im Namen der Menschlichkeit und Freiheit – zum Beispiel das bewegende Mandela-Geburtstagsevent, zu Zeiten der Apartheid weltweit übertragen, Bob Geldofs Äthiopien-Projekt »Live Aid« gegen den Hunger –, bis hin zu großen Shows, Gedenkkonzerten für verstorbene Kollegen, dem Kampf gegen Krankheiten und Sucht gewidmet. Zudem ließ er eine Rehaklinik für Drogenkranke aus aller Welt in Antigua bauen und finanzierte mit den Einnahmen die Behandlung Einheimischer. Als ein beteiligter Konzern absprang, rettete er das Vorhaben »Crossroads Foundation«, indem er über hundert Gitarren und Verstärker aus seiner Sammlung versteigern ließ. Erlös: 4,45 Millionen Dollar.

2005 kam es sogar zur viel gefeierten Cream-Reunion, bei der er mit sieben jeweils ausverkauften Konzerten in der Royal Albert Hall und dem Madison Square Garden in New York den gesundheitlich angeschlagenen Jack Bruce und den klammen Ginger Baker unterstützte. Dabei bewegte Clapton sich auch immer an der Schwelle zum Kommerz. Schon in den Achtzigern hatte sich der inzwischen etablierte Solokünstler in Schale geworfen, Anzüge von Armani getragen. Gegen seine Verlorenheit half das nicht. Fast schien es, als befände er sich permanent auf der Flucht.

III.

Großmutter Rose blieb Erics Bezugsperson bis zu ihrem Tod 1994. Sie blickte ihm tief in die Seele, als sie ihn den Blues spielen hörte: »Er war immer ein einsamer Junge, und seine Musik vermittelt mir dieses Gefühl noch heute.« Adäquat zu seinem Aufstieg hatten sich die chauvinistischen Tore zu Groupiewelten geöffnet, und Clapton durchschritt sie über die Jahre so ausgiebig wie oberflächlich. Später, meint Claptons Biograph Harry Shapiro, »erinnerten Erics Beziehungen zu Frauen (…) eher an pubertäre Naivität und waren so unreif wie die Rockmusik, die er spielte«.

Den harten Drogen folgte Mitte der Siebziger ein langes Stelldichein mit König Alkohol als unheilvollem Begleiter, in denen er künstlerisch ein mehr als ambivalentes Bild abgab, er politisch vollständig aus der Rolle fiel, 1976 in Birmingham den rassistischen Spokesman und Parlamentsabgeordneten Enoch Powell wertschätzte und auf offener Bühne erklärte: »Normalerweise bin ich auf Droge, jetzt bin ich auf Rassismus. Das ist viel härter, Mann.« Und weiter: »Ihr müsst verhindern, dass Großbritannien eine schwarze Kolonie wird. Schmeißt die Ausländer raus! Schmeißt die Kanaken raus! Schmeißt die Neger raus! Großbritannien muss weiß bleiben!« (Übersetzung: Peter Kemper) »Keep Britain white!«

Später entschuldigte er sich, er sei betrunken gewesen, doch wabern immer noch – und wohl berechtigterweise wegen nachfolgender Äußerungen – die Gerüchte, so richtig ernsthaft habe er seine Position nicht geändert. So nahm er beispielsweise das Angebot von Jerry Dammers von The Specials (»Free Nelson Mandela«), sich 1988 beim Mandela-Konzert im Fernsehen von seinen Ausfällen zu distanzieren, nicht an und nannte Dammers später »A fuckin jerk« (einen verfluchten Wichser).

Also wurde Clapton, der Anhänger des schwarzen Blues – Ironie der Geschichte –, als erklärter Rassist zu einem Hauptgrund, wie übrigens auch David Bowie, für die Entstehung der starken außerparlamentarischen Musikerbewegung »Rock against Racism«. Deren westdeutscher Ableger »Rock gegen rechts« sorgte hierzulande Ende der 1970er Jahre für aufsehenerregende Aktivitäten und große Konzerte gegen die NPD.

Auch Alexis Korner beteiligte sich in der Dortmunder Westfalenhalle – Korner, das Vorbild für John Mayall, der wie dieser zu den Altvorderen des weißen britischen Blues zählt. Clapton hatte ihn als Heranwachsender live bewundert, selbst berühmt geworden war er durch die LP von Juli 1966 »John Mayalls Bluesbreakers with Eric Clapton«. Sie gilt als Pionierin des gitarrendominierten Bluesrock und stieg bis auf Platz sechs in den britischen Charts.

IV.

Eric Patrick Clapton, geboren am 30. März 1945 im südenglischen Dorf Ripley, einer der herausragenden Blues- und Rockgitarristen der Geschichte, 280 Millionen verkaufte Tonträger, 17facher Grammy-Gewinner, als einziger Künstler dreifaches Mitglied der Rock and Roll Hall of Fame mit der Bluesrockgruppe Yardbirds (1992), mit Cream (1993), der Supergruppe des Psychedelic Blues, und als dauerhaft einflussnehmender Einzelkünstler (2000), Träger des »hervorragendsten Ordens des britischen Weltreichs« (CBE, 2004 Commander des BE) und des französischen Ordens der Künste und der Literatur (COAL).

Heute gilt er als Legende, Success sells, die dunklen Seiten des Erfolgs, die menschlichen Tiefen und sonstige Niederungen, die der oft als Genie bezeichnete Künstler durchschritt, werden zwar biographisch registriert, beschäftigen sich jedoch selten mit dem Drumherum – wie üblich, wenn Kunst unabhängig von den gesellschaftlichen Umständen, unter denen sie entsteht, betrachtet wird. Diese interessieren weniger, sagen jedoch um so mehr aus.

Als er sich, des Starkults um seine Person überdrüssig, selbst suchte, fand er eine zurückgenommene Lockerheit. Mit einigen Musikerfreunden von Delaney & Bonnie versteckte er sich hinter dem Bandnamen »Derek and the Dominos«. Aus dieser Zusammenarbeit unter anderem auch mit dem Blues- und Rockgitarristen Duane Allman als Gastsolisten ging eine Pop-LP-Perle mit dem ewigen Ohrwurm »Layla« hervor, in dem Clapton nun auch als Sänger eine klassische, oft variierte orientalische Liebesgeschichte von den zwei Königskindern, die nicht zueinander finden können, erzählt. »Layla, Layla, ich lege dir meine Verse zu Füßen.« So zelebrierte er seine Liebe zu Pattie Boyd Harrison, der Ehefrau seines Freundes George Harrison.

Sein Werben sollte ein Jahrzehnt lang weitgehend unerhört bleiben, und dann doch 1979 in Claptons erste Ehe münden und zu einem anderen Evergreen des Gitarristen führen: »Wonderful Tonight«, ein leises, sehnsüchtiges, kleines Lied, das einer sehr persönlichen Stimmung entsprang, insofern vergleichbar mit »Tears in Heaven«. Das allerdings war von einer todtraurigen Grundstimmung durchzogen, nachdem sein geliebter vierjähriger Sohn Conor, ein Kind aus der Beziehung zur Schauspielerin Lory Del Santo, 1991 aus dem 53. Stock eines New Yorker Wolkenkratzers gefallen war.

Die Liste seiner weiteren poptauglichen Titel muss unvollständig bleiben angesichts der Fülle. J. J. Cales »After Midnight« gehört dazu, »I shot the Sheriff« ebenso, als sich Clapton schon 1974 bei Bob Marley und also bei einer anderen Musik der Schwarzen bediente. Mit seinem geglätteten Reggae feierte er seinen einzigen Nummer-eins-Erfolg in den USA. Bei aller Ambivalenz, die der Entschärfung des Originals innewohnt, war das vielleicht Wichtigste dabei, dass er half, den Reggae weltweit salonfähig zu machen und dass Marley selbst, Peter Tosh, Jimmy Cliff und die anderen Größen die Popkultur erweiterten.

Der eher uninspirierte Clapton indes befand sich musikalisch auf dem Weg der Reproduktion von Vorhandenem, quer durch die Stile wurde er selbst zum locker-flockigen Interpreten der Songs anderer, der die Schwere und Tiefe des Blues hinter sich gelassen hatte, die ihn einst auf seiner Fender Telecaster und der Gibson Les Paul in höchste Höhen der Gitarrenkunst geführt hatten. Er wurde zum anerkannten Unterhaltungsmusiker. Die Kulturindustrie vermarktete ihre Kinder und integrierte sie in ihre Geldmaschine.

Für Clapton, trotz aller persönlichen Rückschläge immer wieder in den Studios, auf den Bühnen, zahlte es sich finanziell aus, nicht nur wegen des mit 26 Millionen Copies meistverkauften »Unplugged«-Albums. Kemper berichtet auch, dass der Musiker unter die Kunstsammler gegangen sei und beispielsweise 2001 drei großflächige Bilder von Gerhard Richter für 3,4 Millionen Dollar erstand, die er 2011 mit einem Gewinn von 74 Millionen weiterverkaufte.

Gesundheitlich scheint er erholt, soll seit Ende der 1980er nach einigen Kuren clean und trocken sein. Auch privat lief es stetiger, nachdem er 2002 die 26jährige Melia McEnery geheiratet hatte. Clapton hat vier Töchter, drei mit Melia, eine mit der Studiomanagerin Yvonne Kelly, die 1985 geborene Ruth.

V.

Wie in einem Brennspiegel bündelt Clapton in einem Punkt die Geschichte des britischen White-Boy-Blues und damit einer Bewegung, die immer noch und immer weiter als produktive Unterströmung in der Popmusik fortwirkt. Seit er aus der Wiege fiel, muss der einsame Junge den Blues gespürt haben. Am Sonntag wird Eric Patrick Clapton 80 Jahre alt.

Peter Kemper: Eric Clapton. Ein Leben für den Blues. Reclam-Verlag, Ditzingen 2025, sechste durchgesehene und ergänzte Auflage, 288 Seiten, 18 Euro

Eric Clapton: Mein Leben, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007, 347 Seiten, 25 Euro

Unser Autor Gerd Schumann lebt in Berlin und Mecklenburg. Für die junge Welt schreibt und arbeitet er seit über zwei Jahrzehnten. Zahlreiche Buchpublikationen, darunter jüngst »Patrice Lumumba« (2024), »Basiswissen Kolonialismus« (2. Auflage 2024), »Kaiserstraße. Die Geschichte des deutsche Kolonialismus« (2021), »Wollt ihr mich oder eure Träume? Joschka Fischer«, Berlin 2021. Zur Leipziger Buchmesse erscheint bei Papyrossa Köln »Thomas Sankara« über das Leben von »Afrikas Che Guevara«. Schumann schrieb zuletzt an dieser Stelle am 14./15.9.2024 über Gerhard Gundermanns Album »Männer, Frauen und Maschinen«, das nach 36 Jahren wieder auf Vinyl erschienen ist.

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