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Aus: Ausgabe vom 31.03.2025, Seite 4 / Inland
Koalitionsverhandlungen

Streit um Russland-Sanktionen

Koalitionsverhandlungen: Einzelne CDU-Abgeordnete wollen wieder russisches Gas beziehen. Grüne wittern »Moskau-Connection«
Von Henning von Stoltzenberg
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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer spricht sich für eine Lockerung der Sanktionen aus (Berlin, 3.2.2025)

Vor dem Hintergrund der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD forciert die Grünen-Spitze eine Debatte um eine angebliche »Moskau-Connection« in der CDU. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann übte am Wochenende scharfe Kritik an Äußerungen des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zu Lockerungen der Russland-Sanktionen. »Während Putin weiter Bomben auf die Ukraine wirft, biedert sich Ministerpräsident Kretschmer dem Kriegstreiber wieder an«, sagte sie der dpa. Den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz forderte Haßelmann auf, »die Moskau-Connection in seiner Partei schnellstens abzuwickeln«.

Kretschmer hatte die Ablehnung der Lockerung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland am Sonnabend gegenüber der dpa kritisiert. »Das ist völlig aus der Zeit gefallen und passt ja auch gar nicht zu dem, was die Amerikaner gerade machen«, so Kretschmer. »Wenn man merkt, dass man sich selber mehr schwächt als das Gegenüber, dann muss man darüber nachdenken, ob das alles so richtig ist.«

Haßelmann sieht eine Lockerung der Sanktionen als schweren Fehler. Damit würde man aus dem gemeinsamen Vorgehen Europas ausscheren. Von der CDU-Führung forderte sie eine Distanzierung von den Äußerungen. »Putin-Freunde« wie der sächsische Ministerpräsident, der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß oder der stellvertretende CDU-Fraktionschef in Nordrhein-Westfalen, Jan Heinisch, dürften in den Koalitionsverhandlungen mit ihrem Russland-Kurs keine Rolle spielen. Kretschmer gehört wie Merz zu den zehn Unions-Mitgliedern in der zentralen Verhandlungsgruppe der Koalitionsgespräche mit der SPD. Bareiß und Heinisch sind in den Facharbeitsgruppen Infrastruktur und Energie eingesetzt.

Mitte März hatte Heinisch gegenüber Politico erklärt: »Wenn eines Tages ein gerechter und sicherer Frieden gefunden ist, dann muss man auch wieder über den Kauf russischen Gases sprechen dürfen.« Bareiß hatte sich zu Gerüchten über eine Reaktivierung der Ostseepipeline Nord Stream 2 auf der Plattform Linkedin geäußert. Wenn wieder Frieden herrsche, die Beziehungen sich normalisierten, die Embargos früher oder später zurückgingen, könne »natürlich« auch »wieder Gas fließen, vielleicht diesmal dann in einer Pipeline unter US-amerikanischer Kontrolle«.

Auch Grünen-Parteivorsitzende Franziska Brandtner griff die CDU für die Äußerungen an. Die Grünen erwarteten aufgrund der Spekulationen über die Zukunft des derzeit gestoppten Pipeline-Projekts Nord Stream 2 eine klare Ansage von CDU-Chef Friedrich Merz. »Wenn jetzt Lawrow davon spricht, dass die USA und Russland über eine Inbetriebnahme von Nord Stream 2 verhandeln, muss der zukünftige Bundeskanzler unmissverständlich klarmachen, dass das nicht im deutschen und europäischen Interesse liegt«, erklärte die Grünen-Parteivorsitzende am Freitag. »Wir Grünen haben den Milliardenausgaben für unsere Verteidigungsfähigkeit nicht unsere Stimmen gegeben, damit die zukünftige Bundesregierung die russische Kriegskasse wieder mit Gasgeld befüllt«, so Brandtner über die im Grundgesetzänderungen für höhere Rüstungsausgaben.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte am Mittwoch Gespräche mit den USA über die brachliegenden Nord-Stream-Gasleitungen durch die Ostsee bestätigt. Es werde interessant sein zu sehen, »ob die Amerikaner ihren Einfluss auf Europa nutzen und es zwingen, russisches Gas nicht weiter abzulehnen«, so Lawrow laut der russischen Nachrichtenagentur TASS. Beim Ukraine-Gipfel in Paris hatten sich der geschäftsführende Bundeskanzler Olaf Scholz und andere EU-Regierungschefs am Donnerstag gegen eine Lockerung der Russland-Sanktionen ausgesprochen. Scholz bezeichnete einen solchen möglichen Schritt als »schweren Fehler«. Russland fordert hingegen von den westlichen Ländern, die Strafmaßnahmen zu reduzieren. Aktuell verhandeln die USA mit Russland über eine Waffenruhe in der Ukraine.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (31. März 2025 um 08:23 Uhr)
    Manche, aber sehr wenige, in der Union kommen einem vor wie der sprichwörtliche Rufer in der Wüste. Kretschmer gehört zu diesen Rufern, zumindest was die Wirtschaftssanktionen betrifft. Mit seinen Gedanken steht er links von SPD und den Olivgrünen. Und die Grünen in Bayern schlagen nun auch noch vor, einen »Freiheitsdienst« einzuführen – für alle zwischen 18 und 67. Ich sehe mich schon mit Rollator an der Feldküche stehen und Wassersuppe an die tapferen Helden, die ins Feld für Ruhm und Ehre ziehen, verteilen. Oder brauchen wir dann wieder Luftschutzwarte? Wie krank ist diese Gesellschaft? Was geht in diesen Köpfen vor, die so etwas aushecken? Gehen diese Politiker voran und nehmen ihre Kinder mit – die dann in Kinderbetreungskompanien abgegeben werden? Sicher nicht! Sie werden, da in Regierungs»verantwortung«, sich aus dem Schlamassel raushalten, den sie uns allen einbrocken. Wie die Regierenden in den Jahren 1914–1918 und 1933–1945. Heimatschutzdivision (früher Volkssturm) gibt es auch schon – mit der konkreten Aufgabe, auch bei Protesten im Land gegen die eigenen Bürger tätig zu werden. Bürger – merkt ihr, was hier passiert? Der Militarismus ist zwar nicht nur ein deutsches Phänomen, hat hier aber ein ganz besonders ekliges, nämlich massiv reaktionäres, Gesicht. Am deutschen Wesen … Seit vorletzter Woche ist das Geld dafür da, es kann also losgehen. Aber ohne mich – ich stecke die erste Waffe, die man mir in die Hand drückt, mit dem Lauf in den Sand … Und da bin ich zumindest kompromisslos – im Gegensatz zu Grünen, SPD und der Führung der Partei Die Linke, natürlich auch der CDU/CSU. Mich und meine Kinder bekommt ihr nicht!
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (31. März 2025 um 03:23 Uhr)
    »Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann übte am Wochenende scharfe Kritik an Äußerungen des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zu Lockerungen der Russland-Sanktionen.« Wer sich dafür einsetzt, Handelsbeziehungen wieder aufzunehmen, unterstützt also Kriegstreiber. Wer will, dass Handel durch Sanktionen unterbunden wird, der ist Friedensstifter. Soweit also die Logik der jetzigen deutschen Politik. Selbst Napoleon konnte auf dem Höhepunkt seiner Macht die Kontinentalsperre (ein Instrument des Handelskrieges) nicht durchsetzen und führte vergeblich Krieg, um Russland zu zwingen, daran teilzunehmen. Damals beteiligte sich Sachsen zunächst am Feldzug gegen Russland, andere deutsche Staaten nicht. Es wäre aber besser gewesen, Sachsen hätte sich damals rechtzeitig mit Russland verbündet, nicht erst in der Völkerschlacht bei Leipzig. Möchte Ministerpräsident Kretschmer diesen Fehler von 1812 nun wiedergutmachen? Zu den Sanktionen lässt er sich einige Hintertüren offen. »›Das ist völlig aus der Zeit gefallen und passt ja auch gar nicht zu dem, was die Amerikaner gerade machen‹, so Kretschmer. ›Wenn man merkt, dass man sich selber mehr schwächt als das Gegenüber, dann muss man darüber nachdenken, ob das alles so richtig ist.‹« Ja, wenn es die richtige Zeit für Sanktionen gegen Russland wäre, wenn die USA mitmachen würden (tun sie ja bisher), wenn man Russland mehr schaden würde als sich selbst – dann wäre es scheinbar etwas anderes. Dann wäre ja unter günstigeren Voraussetzungen zu überlegen, ob man Russland weiter schädigt, nach all dem, was Deutschland den Russen unter Hitler angetan hat. Das Argument, dass es sich für Deutsche nach den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs grundsätzlich (!) und in jedem Fall verbietet, Russland schaden zu wollen, existiert in der breiten Öffentlichkeit nahezu überhaupt nicht. Und das finde ich unendlich beschämend. Hinzu kommt der Eigenanteil der NATO an der Entstehung dieses Krieges. Schuldbewusstsein = Null.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christel H. aus Aschersleben (31. März 2025 um 18:38 Uhr)
      Auch in diesem Punkt unterscheiden sich Ostdeutsche von Westdeutschen, wiewohl man das sicher nicht pauschalisieren kann. Uns Ostdeutsche hat man ja zu DDR-Zeiten »indoktriniert«, der Sowjetunion für die Befreiung vom Faschismus dankbar zu sein. Mir allerdings ist immer bewusst, was wir den sowjetischen Soldaten zu verdanken haben.

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