Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 31.03.2025, Seite 2 / Inland
Stadtentwicklungspolitik

»Es geht darum, wie Ostarchitektur angesehen wird«

Berlin: Investoren planen den Bau von Luxuswohnungen am Helene-Weigel-Platz. Anwohner wollen das verhindern. Ein Gespräch mit Bjoern Tielebein
Interview: Max Ongsiek
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Highlights der DDR-Architektur: Hochhäuser am Helene-Weigel-Platz in Berlin-Marzahn

Ein Ende der 1970er Jahren erbautes Ensemble aus drei Doppelhochhäusern und ergänzenden Flachbauten umfasst den Helene-Weigel-Platz im Berliner Ortsteil Marzahn. Es gilt als architektonisches Highlight der Ostmoderne. Jetzt wollen Privatinvestoren im Rahmen zweier Bebauungspläne des Bezirkes Marzahn-Hellersdorf den Platz mit Luxustürmen »aufwerten«. Was ist da los?

Der Helene-Weigel-Platz ist eine reine Fußgängerzone. Niemand muss hier die Straße überqueren, um zur Tram oder Kaufhalle zu gelangen. Die Bebauungspläne, die 2023 von der Bezirksverordnetenversammlung, BVV, eingeleitet wurden, hatten ursprünglich lediglich den Zweck, durch Koordination der baulichen Entwicklung eine Verunstaltung des Platzes zu verhindern. Heike Wessoly, CDU, die jetzige Stadträtin für Stadtentwicklung, nutzt diese Pläne aber inzwischen dafür, die Interessen der Investoren, statt die der Bürger umzusetzen.

Wie kann man sich denn die dortige Anwohnerschaft vorstellen?

Die Einwohnerschaft um den Platz ist bunt gemischt. Neben Erstbezieher leben dort auch junge Leute und Familien.

Welche Stadtentwicklung sehen denn die Bebauungsplanverfahren vor?

Im westlichen Teil des Helene-Weigel-Platzes sollten – so der ursprüngliche der Plan der Investoren – die Einzelhandelseinrichtungen abgerissen werden. Anschließend würden diese durch sechs Wohntürme mit Gewerbe im Erdgeschoss ersetzt werden. Das eigentliche Ensemble aus den drei großen Wohnhochhäusern sollte also quasi verstellt werden. Statt dessen hat das Bezirksamt eine Studie in Auftrag gegeben, die das Entwicklungspotential des Gebietes erarbeiten will. Da wir dort aber eine gute, gewachsene Stadtstruktur haben, stellt sich für mich natürlich die Frage, was der Bezirk da überhaupt entwickeln will. Tatsächlich ist die Planung des Bezirksamts an vielen Stellen sehr intransparent. Die Planung, die da forciert werden soll, ist der Nachbarschaft ja nicht bekannt. Im östlichen Teil, da wo das ehemalige Kino »Sojus« steht, sind wiederum zwei Hochhäuser mit Gewerbefläche geplant.

Inwiefern sind die Erkenntnisse der Studie an die Bebauungsverfahren gekoppelt?

Na ja, bindend ist die Studie für das Verfahren nicht. Aber die ist natürlich nicht völlig sinnlos in Auftrag gegeben worden. Tatsächlich versucht das Bezirksamt so auszuloten, was im Bebauungsplan umgesetzt werden kann und was nicht. Das Prozedere kennen wir auch von anderer Stelle. So wollten Investoren das kleine Tal-Center in der Oberweißbacher Straße abreißen. Auch hier gab das Bezirksamt Studien in Auftrag. Das Verfahren wiederum läuft noch.

Inwieweit kann denn die Bezirksverordnetenversammlung die Bauprojekte steuern?

Die BVV beschließt ja die Bebauungsplanverfahren. Linke und Grüne haben versucht, diese durch Anträge zu beeinflussen. Unsere Initiativen wurden aber von SPD und CDU abgelehnt. Da aber die Pläne wiederum öffentlich ausgelegt werden müssen, haben die Bürger so die Möglichkeit, Einspruch einzulegen. Das hat die Anwohnerinitiative Helene-Weigel-Platz jetzt getan, über 2.000 Unterschriften gesammelt und diese – samt Einwohnerantrag –auf der letzten Bezirksverordnetenversammlung überreicht. Dieser Antrag muss innerhalb von zwei Monaten von der BVV behandelt und abgestimmt werden. Ich bin gespannt, ob sich jetzt beide Parteien wieder gegen die Interessen der Bewohner stellen oder ob sie auf diese eingehen.

Die Bezirksrätin für Stadtentwicklung sucht also nicht den Dialog mit den Anwohnern?

Im vergangenen Jahr gab es ein Gespräch mit der Stadträtin. Der Einwohnerinitiative wurde ein Workshop versprochen, mit welchem diese die Möglichkeit gehabt hätte, sich ins Bebauungsplanverfahren einzubringen. Jetzt sagt die Stadträtin allerdings: Sie habe nie einen Workshop versprochen. Es geht ja letztlich darum, wie Ostarchitektur in diesem Land angesehen wird. Würden sich in Berlin-Mahlsdorf oder Berlin-Biesdorf junge Leute für ein Einfamilienhaus – statt für eine Plattenbausiedlung – engagieren, dann wäre die CDU direkt vor Ort.

Bjoern Tielebein ist Vorsitzender der Fraktion Die Linke in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) des Berliner Bezirks Marzahn-Hellersdorf

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (31. März 2025 um 09:41 Uhr)
    Die Architektur der DDR, insbesondere die Ostmoderne, verdient Anerkennung und Schutz als bedeutender Teil der Baugeschichte und Stadtentwicklung. Ensembles wie der Helene-Weigel-Platz sind nicht nur funktional durchdacht, sondern verkörpern auch einen sozial geprägten Städtebau, der gemeinschaftliche Räume in den Mittelpunkt stellt. Der geplante Bau von Luxustürmen würde diese gewachsene Struktur zerstören und das kulturelle Erbe verdrängen. Anstelle der Kommerzialisierung solcher Orte braucht es eine Stadtentwicklung, die den Erhalt und die behutsame Weiterentwicklung dieser architektonischen Zeugnisse fördert – im Sinne der Menschen, die dort leben, und der Geschichte, die sie erlebt haben und bewahren wollen.

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