Vorwand Hisbollah
Von Karin Leukefeld, Beirut
Am Freitag hat Israel erneut die libanesische Hauptstadt Beirut bombardiert. Ziel war ein Wohnkomplex im Stadtteil Hadath, der im dicht bewohnten Süden von Beirut liegt. Um 11.08 Uhr am späten Vormittag tauchte auf libanesischen Mobiltelefonen eine »Dringende Warnung« der israelischen Armee an »die Menschen, (…) insbesondere im Stadtteil Hadath« auf. Die Warnung enthielt eine Satellitenaufnahme des Stadtteils, auf der Gebäude in unmittelbarer Nähe der Kunsthochschule und der St.-Georges-Schule rot markiert war. Wer sich in den markierten Gebäuden aufhalte, befinde sich »in der Nähe von Einrichtungen der Hisbollah«, so die Warnung. Man sei »verpflichtet, diese Gebäude sofort zu verlassen und sich mindestens 300 Meter von ihnen entfernt aufzuhalten, wie auf der Karte dargestellt«.
Knapp zwei Stunden später erschütterten zwei schwere Explosionen die Hauptstadt. Erste Aufnahmen vom Angriffsort zeigten einen tiefen Krater und ein Trümmerfeld. Über der Stadt stieg eine gigantische schwarze Wolke auf.
Israel hatte den angeblichen Abschuss von zwei Raketen aus dem Libanon zum Anlass genommen, um Beirut wieder anzugreifen. Es handelte sich um den zweiten Angriff innerhalb einer Woche, teilte das Militär mit. Die libanesische Armee hatte nach dem ersten Mal nach langem Suchen einfache Holzvorrichtungen gefunden, die möglicherweise als Abschussrampen gedient haben könnten. Niemand hatte die Verantwortung für einen Raketenabschuss übernommen. Israel machte die Hisbollah verantwortlich und erklärte, die libanesische Regierung müsse sie entwaffnen. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte, man werde fortan den Waffenstillstand militärisch durchsetzen, damit die Israelis wieder in Frieden im Norden des Landes leben könnten. Jede Rakete auf Israel werde mit einer Bombardierung Beiruts beantwortet.
Der libanesische Präsident Joseph Aoun war zu Gesprächen in Paris, als die israelische Armee ihre Angriffe am Freitag morgen auf den Libanon und die Hauptstadt Beirut ausweitete. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz erklärte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die USA müssten den Druck auf Israel erhöhen, den Waffenstillstand einzuhalten. Aoun erklärte, er gehe davon aus, dass der Raketenabschuss nicht von der Hisbollah zu verantworten sei. Nach seiner Rückkehr am Freitag abend berief er eine Dringlichkeitssitzung der Regierung ein.
Die US-Beauftragte für den Libanon, Morgan Ortagus, machte ebenfalls den Libanon für den Bruch des Waffenstillstandes verantwortlich und stellte sich hinter den Angriff auf Beirut. Die Hisbollah müsse entwaffnet werden, sagte Ortagus dem saudischen Nachrichtensender Al Arabiya. Die libanesische Armee tue nicht genug, um das durchzusetzen.
In einer Erklärung der Hisbollah wurde jede Verantwortung für die Eskalation zurückgewiesen. Die Organisation halte den Waffenstillstand ein. Das Geschehen sei »Teil der Erfindung verdächtiger Vorwände, um die Aggression gegen den Libanon fortzusetzen«, hieß es. Mohammad Raad, Parlamentsabgeordneter der Hisbollah, bekräftigte, dass man dem Waffenstillstand verpflichtet sei. Es sei die Aufgabe der libanesischen Regierung, die Angriffe des Feindes abzuwehren.
Bei einer Rede zum Al-Kuds-Tag, der am letzten Freitag des Fastenmonats Ramadan an die völkerrechtswidrige Besetzung Jerusalems durch die israelische Armee im Jahr 1967 erinnert, sagte der Generalsekretär der Hisbollah, Naim Kassem, es sei Aufgabe des Staates, die Souveränität und territoriale Integrität des Libanon zu verteidigen. Er habe zahlreiche Briefe von Hisbollah-Kämpfern erhalten, die Suizidanschläge verüben wollten. Er habe sie gebeten, Geduld zu haben. Doch die Geduld sei nicht endlos.
Seit Vereinbarung der Waffenruhe zwischen Israel und Libanon am 27. November 2024 hat die israelische Armee mindestens 1.250mal das Nachbarland angegriffen, mehr als 100 Menschen wurden in diesem Zeitraum von ihr getötet. Zahlreiche Orte entlang der »Blauen Linie« wurden während der Waffenruhe nahezu vollständig zerstört, ohne dass die Hisbollah oder sonst jemand im Libanon einen Schuss auf Israel abgefeuert hätte.
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