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Aus: Ausgabe vom 03.04.2025, Seite 7 / Ausland
Rassemblement Nationale

Justiz kontert Mordaufrufe

Frankreich: Extreme Rechte riskiert für Hasskampagne gegen Le Pens Richter weitere Strafverfolgung
Von Hansgeorg Hermann
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Frankreichs Ultrarechte inszeniert sich als zu Unrecht verfolgt und ruft zur Unterstützung für die der Korruption überführte Le Pen auf (Hénin-Beaumont, 1.4.2025)

Die drei Richter, die am Montag die Anführerin der extremen Rechten Frankreichs, Marine Le Pen, in einem international Aufsehen erregenden Strafprozess schuldig sprachen, mussten unter Polizeischutz gestellt werden. Die Vorsitzende des mit Le Pens Akte befassten Pariser Strafgerichts, Bénédicte de Perthuis, wurde in den sogenannten sozialen Netzwerken nicht nur hundertfach mit Mord und wüsten Beleidigungen bedroht: Anhänger der Verurteilten stellten auch ihr Foto ins Internet und bliesen zum Angriff gegen die Justiz des Landes. Die bisherige Fraktionschefin des Rassemblement National (RN) in der Nationalversammlung hatte den Aufruhr am Tag ihrer Verurteilung mit dem Aufruf zum Widerstand gegen die »Tyrannei der Richter« selbst befeuert.

Le Pen war am Montag zu 100.000 Euro Geldstrafe, vier Jahren Haft – zwei auf Bewährung und zwei mit elektronischer Fußfessel – sowie dem auf fünf Jahre festgesetzten, unmittelbar rechtskräftigen Verlust des passiven Wahlrechts bestraft worden. Das Verdikt – sollte es in einem von der Politikerin beantragten und von der Justiz bereits für Sommer 2026 anberaumten Berufungsprozess bestätigt werden – würde ihre geplante vierte Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten bei der Wahl im Frühjahr 2027 ausschließen. In ihrem Urteil machten die Richter Le Pen verantwortlich für ein über Jahre hin großangelegtes Betrugsystem: Die RN-Fraktion im EU-Parlament, die Le Pen im fraglichen Zeitraum führte, habe von 2009 bis mindestens 2011 mit der Bezahlung fiktiver Assistentenstellen aus der EU-Kasse in Wirklichkeit ihre damals hochverschuldete Partei finanziert. Ein Rechtsbruch, der – wie andere Strafprozesse mit ähnlichen Anklagepunkten in den vergangenen 15 Jahren bewiesen – bis in die Gegenwart hinein eher als übliches, kaum nachweisbares »politisches« Vergehen meist straflos blieb.

Entsprechend fielen am Montag und Dienstag die Reaktionen aus. Vor allem Le Pens Lager machte aus der verurteilten Straftäterin ein Opfer »politischer Justiz«. Ihr Parteivorsitzender und voraussichtlicher Ersatzmann für die Präsidentschaftskandidatur, der erst 29 Jahre alte Jordan Bardella, erhöhte das Urteil zur »Exekution der Demokratie«. Unter dem Beifall eines großen Teils auch der bürgerlichen Rechten wurde – ähnlich wie in den USA des Donald Trump – aus dem Gericht eine fragwürdige »politische« Instanz, die »mich davon abhalten will, Präsidentin der Republik zu werden«, klagte Le Pen. Für Stimmung im rechten Lager hatte der aktuelle Justizminister Gérald Darmanin bereits Ende November 2024 bei der Vorbereitung des Prozesses gesorgt. Er fände es »zutiefst schockierend«, ließ der Rechtsausleger der Regierung damals wissen, »falls eine zum Verlust des passiven Wahlrechts verurteilte (Marine Le Pen) sich den Franzosen nicht zur Wahl stellen könnte«.

Zu den stirnrunzelnden Bedenkenträgern gesellte sich auch der amtierende Premierminister François Bayrou. Politische Anführer wie Le Pen und andere müssten sich dem »demokratischen Urteil« der Wähler »an den Urnen« stellen – und nicht vor einem Gericht. Der Rechtsliberale wusste, wovon er sprach: Als einer der ersten Unterstützer und Förderer des im Juni 2017 erstmals zum Präsidenten gewählten »Freundes« Emmanuel Macron war er seinerzeit zum Innenminister ernannt worden. Lange freuen konnte sich Bayrou allerdings nicht. Er trat knapp einen Monat später zurück, weil er als Chef seiner eigenen politischen Formation Modem (Demokratische Bewegung) die Verantwortung übernehmen musste für ein Delikt, das dem des am Montag abgeurteilten extrem rechten RN entsprach: Bezahlung fiktiver Assistentenstellen aus dem EU-Haushalt zur Finanzierung der leeren Parteikasse.

Am Mittwoch machte der gesamte Justizapparat Front gegen die Attacke von rechts. Rémy Heitz, Generalstaatsanwalt des obersten französischen Gerichtshofs in Paris, warnte die Angreifer, die Bénédicte de Perthuis als »Kollaborateurin« und »Feindin Frankreichs« beschimpft hatten: Personen, die Richter bedrohten, riskierten Verfolgung, Ermittlungen und hohe Strafen durch die Justiz des Rechtsstaats.

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