Werber schlagen Alarm
Von Philip Tassev
Mit den durch Bundestag und Bundesrat gedrückten Grundgesetzänderungen ist der Weg frei für die quasi unbegrenzte Neuverschuldung zu Aufrüstungszwecken. Die Herrschenden haben allerdings ein Problem: All die neuen Waffen, die nun angeschafft werden können, müssen von Menschen bedient werden. Und die zeigen bisher eher mäßige Bereitschaft, ihren Kopf hinzuhalten. Gesteigerten Rekrutierungsbemühungen zum Trotz sind die Werber wenig erfolgreich. Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) hatte im März beklagt, dass die Streitkräfte dem selbst gesteckten Ziel, bis zum Beginn der 2030er Jahre 203.000 Soldaten unter Waffen zu haben, einfach nicht näher kommen. Der Personalstand der kämpfenden Truppe stagniert seit Jahren bei um die 180.000, das Durchschnittsalter stieg trotz mehr minderjähriger Rekruten zwischen 2019 und 2024 von 32,4 auf 34 Jahre.
Die Wehrpflicht haben auch die Unterhändler von CDU, CSU und SPD bei den aktuell laufenden Gesprächen zur Regierungsbildung auf ihrer Liste der zu diskutierenden Fragen. Während die Union eine Wiedereinführung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht befürwortet, unterstützt die SPD das Modell eines »neuen Wehrdienstes« ihres Verteidigungsministers Boris Pistorius. Dieses sieht vor, dass alle jungen Männer beim Erreichen ihres 18. Lebensjahres verpflichtet werden, der Armee ihre Interessen und ihre Bereitschaft zum Kriegsdienst mitzuteilen, damit sich die Bundeswehr dann »die Geeignetsten und Motiviertesten« aussuchen kann.
Vor diesem Hintergrund meldete sich am Donnerstag der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes, André Wüstner, zu Wort. Der Oberst warnte die Verhandler gegenüber dpa vor Planungsfehlern. Das Thema Personal sei von diesen noch nicht »als strategische Herausforderung« erkannt und bisher nicht im Entwurf des Koalitionsvertrags berücksichtigt worden. Gelinge in den nächsten Jahren »kein signifikanter personeller Aufwuchs«, werde »die Bundeswehr implodieren«.
Es müsse »auf jeden Fall« noch in diesem Jahr mit der von Pistorius angedachten Erfassung und Musterung begonnen werden, so Wüstner. Weder die »notwendige Aufwuchsfähigkeit« noch die »Bildung einer leistungsfähigen Reserve« seien ohne eine »neue Art der Wehrpflicht« zu erreichen. Eine solche Pflicht möchte Wüstner aber nicht als Kriegsvorbereitung verstanden wissen. Sie diene einzig der Abschreckung und damit einem Leben in »Frieden und Freiheit«. Dabei werde die Stärkung der deutschen »Verteidigungsfähigkeit« nur gelingen, »wenn dies nicht erneut nur ein Projekt des Verteidigungsministers, sondern der Bundesregierung als Ganzes ist«.
Wüstner verwies auch auf Äußerungen des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Carsten Breuer, der kürzlich die Mindestanzahl von 460.000 »kampffähigen« Soldaten und Reservisten genannt hatte. Der Verbandsvorsitzende erklärte nun, die genaue Zahl werde auch davon abhängig sein, ob US-Präsident Donald Trump die in Europa stationierten US-Truppen »weiter ausdünnen wird«.
Laut Wüstner sollten die möglichen Koalitionspartner nicht zu sehr auf die Wirkung von zusätzlichen Milliardensummen vertrauen. Ein steigender Wehretat sei zwar »eine gute Grundlage, macht aber nicht allein glücklich«. Statt dessen brauche es mehr denn je ein Denken »out of the box« und »Mut für echte Weichenstellungen«. Man dürfe »keine Angst vor teils disruptiven Prozessen« haben.
Die »Ursache aller Probleme« sieht Wüstner in »Überregulierung und Zentralisierung, die das gesamte Land und insbesondere die Streitkräfte lähmen«. Auch von einer »dringend benötigten Vollausstattung« sei die Truppe »noch immer Lichtjahre entfernt«.
Da wird er vermutlich die Ankündigung des Verteidigungsministeriums vom Donnerstag begrüßen, endlich mit Sprengsätzen versehene Kamikazedrohnen zu beschaffen. Die Bundeswehr hat bisher aus politischen Gründen keine (semi)autonomen Waffensysteme im Arsenal, aber die Hemmungen werden Stück für Stück fallengelassen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (3. April 2025 um 20:39 Uhr)»Mut für echte Weichenstellungen«: Klon dich, Wüstner, aber lass mich in Ruhe!
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