Die Tür öffnen
Von F.-B. Habel
»Sie hat mich ausgiebig gequält, aber schon bald war ich ihr dankbar dafür«, erinnert sich eine Potsdamer HFF-Absolventin der 1980er Jahre an Christiane Mückenberger, eine trotz ihrer gelegentlichen Strenge hochgeschätzte Lehrerin der Filmgeschichte. Ihre besondere Liebe galt den Großen des sowjetischen Films, auch denen, die es gerade schwer hatten, sich durchzusetzen. Die an der Humboldt-Universität promovierte Slawistin hatte sich zunächst der Literaturkritik verschrieben, ehe sie u. a. durch die Begegnung mit dem damals neuen polnischen Film und den jungen Filmemachern aus Prag den Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit verlagerte.
Geboren wurde sie 1928 im schlesischen Gleiwitz, das 1939 durch den von den Nazis fingierten Überfall auf den Sender Gleiwitz in Erinnerung ist, mit dem der Zweite Weltkrieg begann. Zu dem Zeitpunkt lebte sie nicht mehr dort, denn ihr Vater Lothar Bolz war KPD-Mitglied und musste in die Sowjetunion fliehen. In der DDR stand er später der NDPD vor und war zwölf Jahre lang Außenminister.
Christiane Mückenberger lehrte an der HFF, bis sie kurz nach dem 11. SED-Plenum im Dezember 1965 (»Kahlschlagplenum«) wegen »spießbürgerlichem Skeptizismus ohne Ufer, der dem Nihilismus Tür und Tor öffnet«, wie es Erich Honecker auf der Tagung formulierte, fristlos entlassen wurde. Auch ihr Mann Jochen Mückenberger verlor seine Arbeit als Generaldirektor des Defa-Spielfilmstudios. Nun schlug sich Christiane Mückenberger zehn Jahre lang als Übersetzerin durch (u. a. für die verdienstvollen Filmgeschichtsbände des Polen Jerzy Toeplitz), ehe sie 1975 wieder an der HFF lehren konnte – das war auch dringend nötig!
Wahrscheinlich wegen der schmerzlichen Brüche gab es keine Gesamtdarstellung der DDR-Filmgeschichte, von ehrenwerten, aber teils halbherzigen Versuchen in der BRD abgesehen. So, wie Christiane Mückenberger zuvor schon eine Konzeption für das Potsdamer Filmmuseum (das es seit 1981 gibt) erarbeitet hatte, konzipierte sie in den 80er Jahren eine DDR-Filmgeschichte, die 1994 unter ihrer Mitarbeit erschien. Da hatte sie drei Jahre das Filmfestival Dok Leipzig als Intendantin geleitet, filmhistorische Fernsehessays erarbeitet und eine Filmreihe zur Defa im Sender ORB moderiert.
Christiane Mückenberger publizierte weiter, erfuhr mehrere Ehrungen, aber nach dem Tod ihres Mannes Jochen 2020 kam ihr der Mittelpunkt ihres Lebens abhanden. Am 1. April ist sie mit 96 Jahren gestorben.
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