Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 05.04.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Grundlage verstärkter Rüstung

Rosa Luxemburg wies 1913 nach: Ein Schutzzollsystem dient im Imperialismus vor allem der Förderung des Militarismus
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Unter Reichskanzler Otto von Bismarck verbanden sich ab 1877 mit der Schutzzollpolitik protektorische Maßnahmen in der Ökonomie mit Militarismus

Der innere Widerspruch der internationalen Schutzzollpolitik ist, gleich dem widerspruchsvollen Charakter des internationalen Anleihesystems, bloß ein Reflex des geschichtlichen Widerspruchs, in den die Interessen der Akkumulation, d. h. der Realisierung und Kapitalisierung des Mehrwerts, der Expansion, zu den reinen Standpunkten des Warenaustausches geraten sind.

Letzteres findet namentlich darin seinen handgreiflichen Ausdruck, dass das moderne Hochschutzzollsystem – entsprechend der kolonialen Expansion und den verschärften Gegensätzen innerhalb des kapitalistischen Milieus – wesentlich auch als Grundlage der verstärkten Militärrüstungen inauguriert wurde. In Deutschland wie in Frankreich, Italien und Russland wurde die Umkehr zum Schutzzoll Hand in Hand mit Heeresvergrößerungen und in deren Dienste durchgeführt, als Basis des gleichzeitig begonnenen Systems des europäischen Wettrüstens erst zu Lande und dann auch zu Wasser. Der europäische Freihandel, dem das kontinentale Militärsystem mit dem Schwerpunkt im Landheer entsprach, hat dem Schutzzoll als der Basis und Ergänzung des imperialistischen Militärsystems, bei dem der Schwerpunkt immer mehr in der Flotte liegt, den Platz geräumt.

Die kapitalistische Akkumulation hat somit als Ganzes, als konkreter geschichtlicher Prozess, zwei verschiedene Seiten. Die eine vollzieht sich in der Produktionsstätte des Mehrwerts – in der Fabrik, im Bergwerk, auf dem landwirtschaftlichen Gut – und auf dem Warenmarkt. Die Akkumulation ist, von dieser Seite allein betrachtet, ein rein ökonomischer Prozess, dessen wichtigste Phase zwischen dem Kapitalisten und dem Lohnarbeiter sich abspielt, der sich aber in beiden Phasen: im Fabrikraum wie auf dem Markt, ausschließlich in den Schranken des Warenaustausches, des Austausches von Äquivalenten bewegt. Friede, Eigentum und Gleichheit herrschen hier als Form, und es bedurfte der scharfen Dialektik einer wissenschaftlichen Analyse, um zu enthüllen, wie bei der Akkumulation Eigentumsrecht in Aneignung fremden Eigentums, Warenaustausch in Ausbeutung, Gleichheit in Klassenherrschaft umschlagen.

Die andere Seite der Kapitalakkumulation vollzieht sich zwischen dem Kapital und nichtkapitalistischen Produktionsformen. Ihr Schauplatz ist die Weltbühne. Hier herrschen als Methoden Kolonialpolitik, internationales Anleihesystem, Politik der Interessensphären, Kriege. Hier treten ganz unverhüllt und offen Gewalt, Betrug, Bedrückung, Plünderung zutage, und es kostet Mühe, unter diesem Wust der politischen Gewaltakte und Kraftproben die strengen Gesetze des ökonomischen Prozesses aufzufinden.

Die bürgerlich-liberale Theorie fasst nur die eine Seite: die Domäne des »friedlichen Wettbewerbs«, der technischen Wunderwerke und des reinen Warenhandels, ins Auge, um die andere Seite, das Gebiet der geräuschvollen Gewaltstreiche des Kapitals, als mehr oder minder zufällige Äußerungen der »auswärtigen Politik« von der ökonomischen Domäne des Kapitals zu trennen.

In Wirklichkeit ist die politische Gewalt auch hier nur das Vehikel des ökonomischen Prozesses, die beiden Seiten der Kapitalakkumulation sind durch die Reproduktionsbedingungen des Kapitals selbst organisch miteinander verknüpft, erst zusammen ergeben sie die geschichtliche Laufbahn des Kapitals. Dieses kommt nicht bloß »von Kopf bis Zeh, aus allen Poren blut- und schmutztriefend« (Karl Marx) zur Welt, sondern es setzt sich auch so Schritt für Schritt in der Welt durch und bereitet so, unter immer heftigeren konvulsivischen Zuckungen, seinen eigenen Untergang vor.

Der Militarismus übt in der Geschichte des Kapitals eine ganz bestimmte Funktion aus. Er begleitet die Schritte der Akkumulation in allen ihren geschichtlichen Phasen. In der Periode der sogenannten »primitiven Akkumulation«, d. h. in den Anfängen des europäischen Kapitals, spielt der Militarismus die entscheidende Rolle bei der Eroberung der Neuen Welt und der Gewürzländer Indiens, später bei der Eroberung der modernen Kolonien, Zerstörung der sozialen Verbände der primitiven Gesellschaften und Aneignung ihrer Produktionsmittel, (…) endlich als Mittel des Konkurrenzkampfes der kapitalistischen Länder untereinander um Gebiete nichtkapitalistischer Kultur.

Dazu kommt noch eine andere wichtige Funktion. Der Militarismus erscheint auch rein ökonomisch für das Kapital als ein Mittel ersten Ranges zur Realisierung des Mehrwerts, d. h. als ein Gebiet der Akkumulation. (…) Auf der Basis der indirekten Besteuerung und Hochschutzzölle werden die Kosten des Militarismus in der Hauptsache bestritten durch die Arbeiterklasse und das Bauerntum.

Rosa Luxemburg: Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus. Buchhandlung Vorwärts, Berlin 1913. Hier zitiert nach: Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke, Band 5, Ökonomische Schriften. Dietz-Verlag, Berlin 1975, Seiten 396–401

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