Kein Platz für Palästinenser
Von Helga Baumgarten
In den palästinensischen Flüchtlingslagern im Norden des besetzten Westjordanlands ist eine perfide Zerstörungskampagne im Gange, die Erinnerungen an die Nakba von 1948 hervorruft. Sie richtet sich gegen eben die Menschen, die damals von der israelischen Armee und zuvor von zionistischen bewaffneten Verbänden vertrieben worden waren. Genau wie 1948 werden die palästinensischen Bewohner davongejagt, eine Rückkehr wird durch die Armee verhindert. Ihren Plan haben die Regierung und die Armeeführung deutlich proklamiert: Die Zerstörung der Flüchtlingslager im Norden war nur der Anfang. Sämtliche Lager in der Westbank, 18 an der Zahl – ein weiteres befindet sich in Ostjerusalem –, sollen zerstört und die Bewohner vertrieben werden. Es geht hier um etwa 125.000 Menschen.
Teile dieses völkerrechtswidrigen Plans sind die Auflösung des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) und seine Klassifizierung als »terroristische Organisation«. Erst am Mittwoch ist das Hauptquartier in Jerusalem erneut mit Brandbomben attackiert worden. Alle internationalen Mitarbeiter hat Israel schon vor Wochen ausgewiesen. Aus Sicht der israelischen Regierung »löst« man so das palästinensische Flüchtlingsproblem, das Israel 1948 selbst geschaffen hat. Keine Flüchtlingslager, keine UNRWA – das war es dann. So einfach stellt sich das für die israelischen Kriegsverbrecher dar.
Diejenigen, die bereits in der Westbank vertrieben wurden, sind bis dato »nur« einige zehntausend. Doch die Menschen in den weiter südlich gelegenen Lagern wissen, was ihnen blüht: Es wird höllisch werden. An die Stelle der zerstörten Lager oder in ihrer direkten Nachbarschaft sind neue israelische Siedlungen geplant. Der Bau quer durch das gesamte besetzte Gebiet hat bisher ungekannte Ausmaße angenommen. Allein 2024 wurden 59 neue Außenposten errichtet, mit kräftigen Finanzzuschüssen durch den Staat in Höhe von 115 Millionen Schekel. Fünf neue Siedlungen sind in Planung.
Seit Anfang des Jahres, also in nur drei Monaten, sind allein in Ostjerusalem Bauprojekte für 11.575 Wohneinheiten in Angriff genommen worden. Zusätzlich sind mindestens vier neue Siedlungen sowie die Expansion von existierenden Siedlungen – alle wohlverstanden in klarer Verletzung internationalen Rechtes – geplant oder im Bau. Parallel dazu werden palästinensische Bewohner daran gehindert, Pläne für ihre Stadtteile zu entwickeln oder Hausprojekte in Angriff zu nehmen. Das bedeutet schlicht, dass für sie immer weniger Platz bleibt, immer weniger Wohnraum.
Während Ostjerusalem schon 1980 in einem einzigen Akt offiziell annektiert wurde, ist ein Prozess der Annexion in der Westbank derzeit im Gange. Hunderte illegaler Siedlerstraßen – Peace Now spricht von 114 Kilometern – werden gebaut. Fast zehntausend Wohneinheiten sind in der Planung. Etwa 2.400 Hektar Land wurden zu Staatsland erklärt und Billionen von Schekel dafür bereitgestellt. Die Gewalt der Siedler nimmt zu, meist mit Unterstützung durch die Armee. Nach UN-Angaben wurden 2024 in der Westbank und in Ostjerusalem 498 Palästinenser getötet. Die Bewohner von fast 50 palästinensischen Gemeinden sind seit Oktober 2023 durch Siedlergewalt vertrieben worden. Damit verloren 300 Familien ihre Wohnungen, etwa 1.800 Menschen. Die Regierung Netanjahu sieht sich kurz vor dem Erfolg des zionistischen Plans seit Herzl: Palästina ist Israel geworden. Und wenn es nach den Siedlern geht, die immer größere Macht im Staat ausüben, wird schon jetzt die nächste Phase der Expansion vorbereitet: Vorstöße in den Südlibanon und in den Süden Syriens.
Derweil ist Walid Ahmed, ein siebzehnjähriger Teenager aus der Westbank, als erster Jugendlicher unter 18 Jahren in einem israelischen Gefängnis gestorben, wie verschiedene Medien in dieser Woche meldeten. Er saß seit September 2024 in der israelischen Haftanstalt Megiddo. Wie seine Familie berichtete, waren wohl vor allem Mangelernährung, Magen-Darm-Infektionen und fehlende medizinische Betreuung ursächlich für Ahmeds Tod.
Dies ist der 33. »Brief aus Jerusalem« von Helga Baumgarten, emeritierte Professorin für Politik der Universität Birzeit
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