Gegründet 1947 Sa. / So., 26. / 27. April 2025, Nr. 97
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 05.04.2025, Seite 7 / Ausland
Ukraine-Krieg

Grundkurs in Propaganda

Ukraine-Krieg: Die New York Times spinnt Mythen über den Beginn der militärischen »Partnerschaft« zwischen Washington und Kiew
Von Reinhard Lauterbach
7.JPG
Bidens »gutgemeinte Ratschläge« verhallten in Kiew: So legt es zumindest die New York Times nahe (Troy, 3.5.2022)

»Zwei Monate nach dem Beginn von Wladimir Putins Angriffskrieg in der Ukraine fuhr an einem Frühlingsmorgen eine Kolonne von Autos ohne Nummernschilder an einer Straßenecke in Kiew vor und nahm zwei Männer mittleren Alters in ziviler Kleidung auf.« So beginnt ein großangelegter Text der New York Times (NYT) vom 29. März über »die Partnerschaft« zwischen den USA und der Ukraine. Was er suggeriert: Diese habe an jenem Frühlingsmorgen begonnen. Das stimmt klar nicht. Das Training ukrainischer Militärs durch die NATO fing in kleinem Umfang nach der »orangen Revolution« von 2003 an und wurde 2014 zu Ausbildungsmissionen für ganze Einheiten auf ukrainischen Truppenübungsplätzen aufgestockt. Was im April 2022 begonnen haben mag, war eine neue Phase »amerikanischen Engagements im Ukraine-Krieg«. Aber nicht dieses selbst.

Die beiden Männer »mittleren Alters in Zivilkleidung« in dem Bericht sollen ukrainische Generäle gewesen sein. Gebracht wurden sie demnach »von bis an die Zähne bewaffneten britischen Spezialkräften in Zivil« zum Flughafen Rzeszów in Südostpolen und von dort nach Wiesbaden ins US-Hauptquartier für Europa und Afrika. In ihm habe der Europa-Kommandeur der US-Army, General Christopher T. Donahue, den Ukrainern ein Angebot gemacht: eine Partnerschaft bei der Nutzung von US-Aufklärungsdaten, gemeinsame technologische und operative Planung. Die damalige US-Regierung unter Joe Biden habe damit die Ukraine retten und »die gefährdete Nachkriegsordnung in Europa schützen« wollen.

Man kann auch sagen, es war ein Vorschlag zum Stellvertreterkrieg: Ihr, die Ukrainer, haltet die Köpfe hin für unser Ziel, die »europäische Nachkriegsordnung«. Als wäre nicht der schleichend ins Werk gesetzte Allianzwechsel der Ukraine von der Sowjetrepublik, als die sie 1945 Teil dieser »Nachkriegsordnung« war, über die Bündnisfreiheit, zu der sie sich in ihrer Verfassung von 1996 verpflichtete, bis zum Bestreben nach Anbindung an die NATO nach 2014 bereits ein Angriff auf die »europäische Nachkriegsordnung« gewesen – der Versuch, sie zu revidieren. Wer also ist hier der »Revisionist«, Putin oder Biden?

Die NYT-Recherche beschreibt detailliert, wie sich die Zusammenarbeit der USA mit der Ukraine in den bisherigen drei Kriegsjahren entwickelte. Immer wieder werden Irritationen beschrieben, weil Kiew etwa »gutgemeinte Ratschläge« der USA ignoriert habe – mit dem Subtext, die Ukraine sei für ihre militärischen Misserfolge letztlich selbst verantwortlich. Die in den vielen herangezogenen Interviews mit US-Militärs unausgesprochene Voraussetzung, bei einer hundertprozentigen Befolgung der Anweisungen oder Vorschläge wären diese Niederlagen zu vermeiden gewesen, ist reine Spekulation.

Die Ausstattung der Ukraine mit immer weiter reichenden westlichen Waffen – von M777-Haubitzen mit 15 Kilometern bis zu »Atacms«-Raketen mit 400 Kilometern Reichweite – wird als eine von der US-Seite im Grunde nicht angestrebte Steigerung aufgrund immer weiter gehender ukrainischer Wünsche dargestellt. Aber dass die ukrainische Seite um diese Waffen gebeten haben mag, erklärt noch nicht, warum die USA sie ihr gegeben haben. Hat der ukrainische Schwanz so mit dem amerikanischen Hund gewedelt? Auf seiten Washingtons muss schon der Wille hinzugetreten sein, die Eskalation als Gelegenheit zu nutzen, die »roten Linien« Russlands auszutesten: Was würde sich Moskau gerade noch bieten lassen? Die gewonnenen Erkenntnisse müssen allerdings nicht verallgemeinerbar sein. Kein russischer Präsident ist gezwungen, den Beschuss einer Basis strategischer Bomber hinzunehmen, weil er dies auch bei einem Angriff auf die Krimbrücke getan hat.

Es entsteht das Bild eines über alle Sentimentalitäten und Männerfreundschaften zwischen Generälen beider Seiten hinweg von den USA mit großem Zynismus gesteuerten Stellvertreterkrieges. Man selbst sitzt im Hintergrund und lässt andere sterben. So geht Partnerschaft. Wladimir Putin hat früher gern öffentlich einen Witz erzählt, wie sich Fuchs, Wolf und Bär unterhalten, was sie einem gemeinsam erlegten Hasen aufs Grab schreiben. Schließlich setzt sich der Vorschlag des Bären durch: »Unserem Partner«.

Der Text der New York Times im Original: kurzlinks.de/Partnership-Ukraine

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Volker Wirth aus Berlin (7. April 2025 um 12:45 Uhr)
    Der Kritik an diesem Reinwaschungsversuch der NYT ist voll zuzustimmen. Es gilt offenbar sogar weltweit: 2008 in Georgien bzw. Südossetien, 2021 in Afghanistan – überall, wo es in Stellvertreterkriegen zu Misserfolgen kam (durch den vertraglich vereinbarten Abzug der US-Kampftruppen war Afghanistan auch zu einem Stellvertreterkrieg geworden, ebenso wie 1974-75 Südvietnam), lag das selbstverständlich immer nur daran, dass gutgemeinte US-amerikanische Ratschläge nicht befolgt worden seien. »Wir waren’s nicht! Auf uns hat man ja nicht gehört!«
    Wenn Lauterbach jedoch von einer »neue(n) Phase ›amerikanischen Engagements‹ im Ukraine-Krieg« schreibt, dann müsste er statt »Putins Angriffskrieg in der Ukraine« wohl auch von einer »neuen Phase des russischen Engagements« schreiben. Denn eine den rund 35.000 Milizionären der beiden Donbass-Volksrepubliken vierfach überlegene ukrainische Streitmacht hatte seit dem 17. Februar 2022 die »Separatistengebiete« intensiv beschossen, offenbar um dem »Separatismus« entgegen den Vereinbarungen von Minsk militärisch den Garaus zu machen! Die westlichen »Garantiemächte von Minsk-II« Deutschland und Frankreich erklärten das für »Unsinn« (O-Ton Olaf Scholz) und hätten ohnehin nichts tun können. Diese Vorgeschichte muss erwähnt werden!
    Das russische Volk hätte Putin eine »Oluja 2.0« (nach dem Beispiel der kroatischen Eroberung der serbischen Krajina 1995, mit US-Unterstützung selbstverständlich) gegen Donezk und Lugansk nicht verziehen. Dann wäre Russland nicht mal mehr eine Regionalmacht gewesen. Folglich war es nur insoweit »Putins Krieg«, als dieser primär auf einen erfolgreichen Putsch in Kiew setzte; den vereitelten jedoch v. a. westliche Geheimdienste. Für einen großen, längeren Krieg waren die eingesetzten ca. 120.000 russischen »Manöverteilnehmer« an der ukrainischen Grenze eindeutig viel zu wenig.
    Von Jens Stoltenberg bis W. W. Putin sind sich übrigens alle Kenner der Materie darin einig, dass der russisch-ukrainische Konflikt (Stoltenberg sagte wie soeben wieder André Wüstner als Chef des Bundeswehrverbandes sogar »Krieg«!) 2014 begonnen hat. Davon sollte sich ausgerechnet die jW nicht verabschieden!
  • Leserbrief von Rayan aus Unterschleißheim (6. April 2025 um 13:07 Uhr)
    Yep, in fast allen westlichen Medien versuchen die Propagandisten die Tatsachen zu vertuschen, die zeigen, dass es der Westen/die NATO-Staaten waren, die u. a. den Krieg in der Ukraine von langer Hand und unter massivem Support faschistischer Arschlöcher vorbereitet und provoziert haben. Sie wollten und wollen Russland ruinieren, um China zu schwächen. Dies wiederum, um den unausweichlichen, mindestens relativen Niedergang ihrer eigenen Kapitalfraktionen abzubremsen und um ggf. gemäß gefährlicher Wahnvorstellungen ihrer spinnerten Polit- und Militäreliten in einer günstigen Position für den im Endeffekt anstehenden, globalen thermonuklearen Weltkrieg zu sein. In ihrer dümmlichen Arroganz und Inkompetenz in Kombination des Drucks, Kapital-Wachstum (tm) in einer immer größeren Höhe generieren zu müssen, haben sie wie üblich die geopolitische Lage und Dynamiken falsch eingeschätzt und bluten nun durch ihre eigene »Medizin« selber aus, beschleunigen ihren Niedergang. Und dass, seitdem die USA Weltmachtstatus haben, sie bisher jeden ihrer »Partner« früher oder später über den Tisch gezogen haben, Millionen Menschen direkt oder indirekt deshalb verrecken mussten, sollte nicht zu dem Trugschluss führen, dass das irgendwas mit den USA selbst zu tun hätte. Es sind die dort in global vergleichsweise, mit besonders hoher, regelrecht feudaler Machtfülle ausgestatteten Kapitalisten, denen niemensch vertrauen kann und sollte. Wenn die Menschheit eine Zukunft haben will, die nicht ihre vollständige Selbstvernichtung beinhalten soll, dann wird das nur mit einem vernunftbasierten, antikapitalistischem System gelingen. Erst dann können sich Menschen überhaupt erst wieder grundsätzlich gegenseitig vertrauen. Bis dahin ist weiter Misstrauen, Psychomanipulation/Hirnwäsche durch die kapitaleigenen und entsprechend gesteuerten Medien mit der Folge gegenseitigen Massenabschlachtens angesagt.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (6. April 2025 um 11:37 Uhr)
    Die New York Times beleuchtet in ihrem Beitrag vom 29. März eine bislang wenig bekannte operative Tiefe der transatlantischen Partnerschaft im Ukraine-Krieg. Unbestritten ist: Die militärische Kooperation zwischen der NATO und der Ukraine begann nicht erst im April 2022 – bereits seit 2014 wurden umfassende Ausbildungsprogramme durchgeführt. Ich habe den Originaltext der NYT gelesen, und sie beschreibt dort auch keineswegs eine völlige Neubegründung der Partnerschaft, sondern den Beginn einer neuen, deutlich vertieften Phase operativer Zusammenarbeit – einschließlich gemeinsamer Planungen und direkter Zielaufklärung. Es handelt sich um einen qualitativen Sprung, nicht um einen Neubeginn. Zwar teile ich die Einschätzung, dass die diplomatische Zurückweisung Putins durch Präsident Biden beim Genfer Gipfeltreffen 2021 ein entscheidender Faktor war, der zur Eskalation beigetragen und russische Sicherheitsbedenken ignoriert hat. Ebenso ist es plausibel, dass die USA von Anfang an eine geopolitisch motivierte Stellvertreterrolle verfolgten – die Ukraine als Mittel, um Russland zu schwächen, wie es auch durch öffentliche Äußerungen mehrerer US-Senatoren nahegelegt wurde. Dennoch greift Lauterbachs Deutung des Ukrainekriegs als reinen »Stellvertreterkrieg« zu kurz. Sie negiert die Eigenverantwortung der Ukraine und reduziert Kiew auf einen bloßen Erfüllungsgehilfen westlicher Interessen. Die Ukraine kämpft nicht nur im Namen einer »westlichen Ordnung« – wie oft propagandistisch dargestellt –, sondern in erster Linie um ihr eigenes Überleben als souveräner Staat. Dass sie dabei auf militärische, geheimdienstliche und technologische Hilfe zurückgreift, ist in Anbetracht der asymmetrischen Ausgangslage weder überraschend noch verwerflich, sondern ein längst etabliertes Muster moderner Konfliktführung.
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (5. April 2025 um 04:39 Uhr)
    So geht Partnerschaft. Wladimir Putin hat früher gern öffentlich einen Witz erzählt, wie sich Fuchs, Wolf und Bär unterhalten, was sie einem gemeinsam erlegten Hasen aufs Grab schreiben. Schließlich setzt sich der Vorschlag des Bären durch: »Unserem Partner.« Da bietet sich als Vergleich eine Rollenverteilung zwischen USA, GB und EU an, für den Grundkurs der Propaganda oberflächlich auch Trump – Putin. Hier meine Interpretation: Die Ukraine war bei ihrer Unabhängigkeit kein »Hase«, sondern ein großes europäisches Land, dessen Wissenschaft und Industrie innerhalb der UdSSR zuvor einen führenden Platz eingenommen hatte. Flugzeuge, Raketentriebwerke – alles wurde dort produziert. Sie war sogar in der Lage, Atomwaffen herzustellen. Ihre Möglichkeiten auf dem Gebiet der Landwirtschaft überstiegen die der meisten anderen europäischen Staaten. Die Natur hatte die Ukraine reich beschenkt. Umfangreiche territoriale Gaben von Lenin, Stalin und Chruschtschow kamen hinzu. Da Russland alle Schulden der Ukraine übernahm, war sie im Gegensatz zu Russland und der EU bei Gründung schuldenfrei und besaß große Lagerstätten von Bodenschätzen. Doch die oligarchische Führungsschicht der Ukraine sah sich offensichtlich als den »Fuchs« und ihre eigene Bevölkerung als den »Hasen«. 2014 war dann in der Ostukraine auch die Hasenjagd eröffnet. Die ostukrainischen Hasen hatten die letzte Hasenjagd (1941–45) keineswegs vergessen und riefen den Bären zu Hilfe. Fuchs und Bär hatten zwar bis 1990 über Jahrhunderte ohne größere Schwierigkeiten gemeinsam im Wald gelebt und griffen den Wolf, der seit den Tataren nur noch aus westlicher und nördlicher Richtung in Rudeln auftrat, möglichst nicht an. Der schlaue Fuchs, die Führungsschicht der Ukraine, erhielt dann allerdings ein verführerisches Angebot vom Wolfsrudel: fette Anteile, wenn sie gemeinsam den Bären erlegen.
    Fortsetzung Leserbrief: Das selbst zu tun, waren dieses Wolfsrudel und auch der Fuchs jedoch entweder zu klug oder zu feige. Sie schickten lieber eine Million Hasen vor, die in dieser Anzahl selbst einem Bären zusetzen können. Der wird ja sogar von Bienen in die Flucht geschlagen. Die Sache hatte also durchaus Aussicht auf Erfolg. Außerdem redete man dem Hasen (der ukrainischen Bevölkerung) ein, er sei ja rassisch-intellektuell viel wertvoller und fähiger als die faulen Bären in ihrem ewigen Winterschlaf und hätte überirdische Kräfte. Einige aus der Gegend um Lwiv meinten gar, die schärfsten Wölfe seien ja gerade sie und für eine Führungsrolle im Wald wie geschaffen. In Mariupol stellte sich jedoch heraus, dass auch sie nur »Metall-Hasen« waren (chinesisches Sternbild, leider auch mein Sternbild). Fuchs und Wolfsrudel verrechneten sich gemeinsam und fordern nun, der Bär solle augenblicklich seine Aggression beenden. Der hätte zwar gegen ein gemeinsames Leben im Wald nichts einzuwenden gehabt. Allerdings ist nach den Entwicklungen der letzten 30 Jahre sein Winterschlaf doch nicht mehr so tief wie früher. Bismarck sagte in Bezug auf Russland sinngemäß: »Ich kenne viele Methoden, einen Bären aus seiner Höhle zu jagen, aber nicht eine einzige, ihn wieder hineinzubekommen.

Ähnliche:

Mehr aus: Ausland