Grundkurs in Propaganda
Von Reinhard Lauterbach
»Zwei Monate nach dem Beginn von Wladimir Putins Angriffskrieg in der Ukraine fuhr an einem Frühlingsmorgen eine Kolonne von Autos ohne Nummernschilder an einer Straßenecke in Kiew vor und nahm zwei Männer mittleren Alters in ziviler Kleidung auf.« So beginnt ein großangelegter Text der New York Times (NYT) vom 29. März über »die Partnerschaft« zwischen den USA und der Ukraine. Was er suggeriert: Diese habe an jenem Frühlingsmorgen begonnen. Das stimmt klar nicht. Das Training ukrainischer Militärs durch die NATO fing in kleinem Umfang nach der »orangen Revolution« von 2003 an und wurde 2014 zu Ausbildungsmissionen für ganze Einheiten auf ukrainischen Truppenübungsplätzen aufgestockt. Was im April 2022 begonnen haben mag, war eine neue Phase »amerikanischen Engagements im Ukraine-Krieg«. Aber nicht dieses selbst.
Die beiden Männer »mittleren Alters in Zivilkleidung« in dem Bericht sollen ukrainische Generäle gewesen sein. Gebracht wurden sie demnach »von bis an die Zähne bewaffneten britischen Spezialkräften in Zivil« zum Flughafen Rzeszów in Südostpolen und von dort nach Wiesbaden ins US-Hauptquartier für Europa und Afrika. In ihm habe der Europa-Kommandeur der US-Army, General Christopher T. Donahue, den Ukrainern ein Angebot gemacht: eine Partnerschaft bei der Nutzung von US-Aufklärungsdaten, gemeinsame technologische und operative Planung. Die damalige US-Regierung unter Joe Biden habe damit die Ukraine retten und »die gefährdete Nachkriegsordnung in Europa schützen« wollen.
Man kann auch sagen, es war ein Vorschlag zum Stellvertreterkrieg: Ihr, die Ukrainer, haltet die Köpfe hin für unser Ziel, die »europäische Nachkriegsordnung«. Als wäre nicht der schleichend ins Werk gesetzte Allianzwechsel der Ukraine von der Sowjetrepublik, als die sie 1945 Teil dieser »Nachkriegsordnung« war, über die Bündnisfreiheit, zu der sie sich in ihrer Verfassung von 1996 verpflichtete, bis zum Bestreben nach Anbindung an die NATO nach 2014 bereits ein Angriff auf die »europäische Nachkriegsordnung« gewesen – der Versuch, sie zu revidieren. Wer also ist hier der »Revisionist«, Putin oder Biden?
Die NYT-Recherche beschreibt detailliert, wie sich die Zusammenarbeit der USA mit der Ukraine in den bisherigen drei Kriegsjahren entwickelte. Immer wieder werden Irritationen beschrieben, weil Kiew etwa »gutgemeinte Ratschläge« der USA ignoriert habe – mit dem Subtext, die Ukraine sei für ihre militärischen Misserfolge letztlich selbst verantwortlich. Die in den vielen herangezogenen Interviews mit US-Militärs unausgesprochene Voraussetzung, bei einer hundertprozentigen Befolgung der Anweisungen oder Vorschläge wären diese Niederlagen zu vermeiden gewesen, ist reine Spekulation.
Die Ausstattung der Ukraine mit immer weiter reichenden westlichen Waffen – von M777-Haubitzen mit 15 Kilometern bis zu »Atacms«-Raketen mit 400 Kilometern Reichweite – wird als eine von der US-Seite im Grunde nicht angestrebte Steigerung aufgrund immer weiter gehender ukrainischer Wünsche dargestellt. Aber dass die ukrainische Seite um diese Waffen gebeten haben mag, erklärt noch nicht, warum die USA sie ihr gegeben haben. Hat der ukrainische Schwanz so mit dem amerikanischen Hund gewedelt? Auf seiten Washingtons muss schon der Wille hinzugetreten sein, die Eskalation als Gelegenheit zu nutzen, die »roten Linien« Russlands auszutesten: Was würde sich Moskau gerade noch bieten lassen? Die gewonnenen Erkenntnisse müssen allerdings nicht verallgemeinerbar sein. Kein russischer Präsident ist gezwungen, den Beschuss einer Basis strategischer Bomber hinzunehmen, weil er dies auch bei einem Angriff auf die Krimbrücke getan hat.
Es entsteht das Bild eines über alle Sentimentalitäten und Männerfreundschaften zwischen Generälen beider Seiten hinweg von den USA mit großem Zynismus gesteuerten Stellvertreterkrieges. Man selbst sitzt im Hintergrund und lässt andere sterben. So geht Partnerschaft. Wladimir Putin hat früher gern öffentlich einen Witz erzählt, wie sich Fuchs, Wolf und Bär unterhalten, was sie einem gemeinsam erlegten Hasen aufs Grab schreiben. Schließlich setzt sich der Vorschlag des Bären durch: »Unserem Partner«.
Der Text der New York Times im Original: kurzlinks.de/Partnership-Ukraine
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Wenn Lauterbach jedoch von einer »neue(n) Phase ›amerikanischen Engagements‹ im Ukraine-Krieg« schreibt, dann müsste er statt »Putins Angriffskrieg in der Ukraine« wohl auch von einer »neuen Phase des russischen Engagements« schreiben. Denn eine den rund 35.000 Milizionären der beiden Donbass-Volksrepubliken vierfach überlegene ukrainische Streitmacht hatte seit dem 17. Februar 2022 die »Separatistengebiete« intensiv beschossen, offenbar um dem »Separatismus« entgegen den Vereinbarungen von Minsk militärisch den Garaus zu machen! Die westlichen »Garantiemächte von Minsk-II« Deutschland und Frankreich erklärten das für »Unsinn« (O-Ton Olaf Scholz) und hätten ohnehin nichts tun können. Diese Vorgeschichte muss erwähnt werden!
Das russische Volk hätte Putin eine »Oluja 2.0« (nach dem Beispiel der kroatischen Eroberung der serbischen Krajina 1995, mit US-Unterstützung selbstverständlich) gegen Donezk und Lugansk nicht verziehen. Dann wäre Russland nicht mal mehr eine Regionalmacht gewesen. Folglich war es nur insoweit »Putins Krieg«, als dieser primär auf einen erfolgreichen Putsch in Kiew setzte; den vereitelten jedoch v. a. westliche Geheimdienste. Für einen großen, längeren Krieg waren die eingesetzten ca. 120.000 russischen »Manöverteilnehmer« an der ukrainischen Grenze eindeutig viel zu wenig.
Von Jens Stoltenberg bis W. W. Putin sind sich übrigens alle Kenner der Materie darin einig, dass der russisch-ukrainische Konflikt (Stoltenberg sagte wie soeben wieder André Wüstner als Chef des Bundeswehrverbandes sogar »Krieg«!) 2014 begonnen hat. Davon sollte sich ausgerechnet die jW nicht verabschieden!
Fortsetzung Leserbrief: Das selbst zu tun, waren dieses Wolfsrudel und auch der Fuchs jedoch entweder zu klug oder zu feige. Sie schickten lieber eine Million Hasen vor, die in dieser Anzahl selbst einem Bären zusetzen können. Der wird ja sogar von Bienen in die Flucht geschlagen. Die Sache hatte also durchaus Aussicht auf Erfolg. Außerdem redete man dem Hasen (der ukrainischen Bevölkerung) ein, er sei ja rassisch-intellektuell viel wertvoller und fähiger als die faulen Bären in ihrem ewigen Winterschlaf und hätte überirdische Kräfte. Einige aus der Gegend um Lwiv meinten gar, die schärfsten Wölfe seien ja gerade sie und für eine Führungsrolle im Wald wie geschaffen. In Mariupol stellte sich jedoch heraus, dass auch sie nur »Metall-Hasen« waren (chinesisches Sternbild, leider auch mein Sternbild). Fuchs und Wolfsrudel verrechneten sich gemeinsam und fordern nun, der Bär solle augenblicklich seine Aggression beenden. Der hätte zwar gegen ein gemeinsames Leben im Wald nichts einzuwenden gehabt. Allerdings ist nach den Entwicklungen der letzten 30 Jahre sein Winterschlaf doch nicht mehr so tief wie früher. Bismarck sagte in Bezug auf Russland sinngemäß: »Ich kenne viele Methoden, einen Bären aus seiner Höhle zu jagen, aber nicht eine einzige, ihn wieder hineinzubekommen.