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Aus: Ausgabe vom 08.04.2025, Seite 3 / Ausland
Recht auf Wohnen

Mietermacht auf der Straße

Spanien: Hunderttausende protestieren landesweit für bezahlbares Wohnen. Lage besonders in Großstädten und an den Küsten dramatisch
Von Frederic Schnatterer, Madrid
In Barcelona gingen am Sonnabend 100.000 Demonstranten für bezahlbaren Wohnraum auf die Straße

Die Mieterbewegung in Spanien zeigt Stärke. Am Sonnabend protestierten in mehr als 40 Städten im ganzen Staatsgebiet Hunderttausende unter dem Motto »Beenden wir das Geschäft mit dem Wohnen«. Den Schlüsselbund in die Luft gestreckt, forderten sie beispielsweise in Madrid ein Ende von Zwangsräumungen und der sich immer weiter zuspitzenden Wohnungsnot. Während die Veranstalter für die Hauptstadt von 100.000 Teilnehmern ausgehen, sprechen die Behörden von rund 15.000. Auch in Barcelona gingen laut der Mietergewerkschaft 100.000 Personen für das Recht auf bezahlbaren und guten Wohnraum auf die Straße.

In Madrid bezeichnete Valeria Racu, Sprecherin der Mietergewerkschaft, die Mobilisierung als den Anfang vom Ende eines »parasitären Systems, das die Gehälter und die Zukunft« von Millionen von Spaniern auffresse. »Nie wieder werden wir unsere Viertel und Städte verlassen, nie wieder werden wir uns vertreiben lassen.« Racu kritisierte außerdem die Untätigkeit der Regierenden: »Wenn sie die leerstehenden Wohnungen und Häuser, die sich in privaten Händen befinden, nicht zurückholen, werden wir das selbst in die Hand nehmen.« Carme Arcarazo, Sprecherin der Gewerkschaft in Barcelona, betonte: »Die Vermieter sind schuld an der Misere, aber auch die Regierenden stehen in der Verantwortung. Sie sind sich anscheinend nicht darüber im klaren, dass, wenn sie der Immobilienlobby nicht die Stirn bieten, die Wohnungskrise sie hinwegfegen wird.«

Es war das erste Mal seit der Wirtschaftskrise 2008, als die Immobilienblase platzte, dass in Spanien so viele Menschen für das Recht auf Wohnraum auf die Straße gingen. Bereits im vergangenen Jahr hatte es in mehreren Städten massenhafte Proteste gegeben. So gingen in Madrid im Oktober mehrere zehntausend Personen auf die Straße. Auf den Balearen, in Barcelona, im andalusischen Málaga und auf den Kanarischen Inseln kam es zu großen Demonstrationen gegen die Wohnungsmisere, die durch das Modell des Massentourismus noch angeheizt wird. Und auch im Baskenland sowie Kantabrien in Nordspanien kam es zu Mobilisierungen.

Seit Dezember steht die Sorge um Wohnraum bei den Spaniern offiziell an erster Stelle. Das ergab eine Umfrage des Statistikamts CIS. Kein Wunder, stiegen die Mietpreise zwischen 2015 und 2023 im landesweiten Durchschnitt doch um 58 Prozent an. Die Einkommen halten mit derartigen Verteuerungen schon lange nicht mehr Schritt. Bis 2022 stiegen sie im Durchschnitt um rund 17 Prozent an. Das entspricht gerade einmal den inflationsbedingten Preissteigerungen. In Spanien wird der Großteil der Wohnungen zeitlich befristet vermietet. Die Folge sind oftmals heftige Mietsteigerungen, sobald ein neuer Vertrag aufgesetzt wird.

Hinzu kommt, dass Spanien eines der Länder in Europa ist, wo es nur extrem wenige Wohnungen gibt, die sich in öffentlicher Hand befinden. Gerade einmal 2,5 Prozent sind Sozialwohnungen. In Deutschland sind es mit drei Prozent geringfügig mehr. Auch wenn die Regierenden Gegenteiliges behaupten: Trotz der problematischen Lage wird dagegen nicht viel unternommen. Offizielle Daten belegen, dass seit 2015 gerade einmal zwölf Prozent aller in Spanien gebauten Gebäude sozialpreisgebunden waren. Und selbst für diese gibt es keine Garantie, dass sie nicht auf dem freien Immobilienmarkt landen. Die Hälfte aller zwischen 2005 und 2018 mit (teilweise) öffentlichen Mitteln gebauten Wohnungen befindet sich heute im Privatbesitz.

Besonders drastisch gestiegen sind die Mietpreise in Regionen wie Madrid (63 Prozent), Katalonien (57 Prozent) und den Balearen (63 Prozent). In der Hauptstadt zahlen Mieterinnen und Mieter im Durchschnitt 1.677 Euro pro Monat für ihre Wohnung. Laut der Beobachtungsstelle Observatorio del Alquiler gaben die Bewohner der Autonomiegemeinschaft Madrid im vergangenen Jahr durchschnittlich 36 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus.

In der Folge wohnen immer mehr junge Erwachsene lange bei ihren Eltern; von den 18- bis 34jährigen sind es heute zwei von drei. Und auch die Zahl der Zwangsräumungen nimmt zu. Wie der Consejo Regional del Poder Judicial angibt, stieg die Zahl der 2024 in Spanien vollstreckten Zwangsräumungen von Personen, die ihre Miete nicht zahlen konnten, um 4,5 Prozent an. Insgesamt 27.564mal wurden Menschen gewaltsam aus ihren Wohnungen geschmissen.

Hintergrund: Katalysator Tourismus

Spanien ist das meistbesuchte Land der Welt. Allein im vergangenen Jahr kamen 94 Millionen Touristen aus dem Ausland – so viele wie nie zuvor. Viele von ihnen mieten sich in Ferienunterkünften ein, oft über die Buchungsplattform Airbnb. Da die Gewinnmarge mit dem Betrieb solcher Unterkünfte deutlich größer ist als mit längerfristiger Vermietung, nimmt ihre Zahl stetig zu. Heute sind es oft Immobilienunternehmen, die systematisch Mieter aus ihren Wohnungen schmeißen lassen, um sie zu Touristenunterkünften umzugestalten. Studien belegen, dass die Mieten in Bezirken mit vielen Kurzzeitunterkünften besonders schnell ansteigen.

Besonders im vergangenen Jahr nahmen Proteste gegen Airbnb und Co. an Fahrt auf, viele fordern ein komplettes Verbot von derartigen Touristenunterkünften. Während Barcelona ein komplettes Verbot ab 2028 beschlossen hat, unternimmt die Stadtregierung von Madrid wenig bis nichts gegen das ausufernde Problem. Das zeigte sich Ende März erneut, als das von Sumar-Politiker Pablo Bustinduy geführte Ministerium für soziale Rechte und Verbraucherschutz dem Rathaus der Hauptstadt eine Liste mit 15.204 über Internetplattformen angebotenen Ferienunterkünften überreichte, die über keine Lizenz verfügen.

Mit der öffentlichkeitswirksamen Übergabe verband Bustinduy die Aufforderung an Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida von der rechtskonservativen Volkspartei PP, endlich etwas gegen den illegalen Markt zu unternehmen. Dessen Regierung hatte zwar im vergangenen Jahr neue Strafen für den Betrieb nicht genehmigter Unterkünfte eingeführt. Passiert ist seitdem allerdings wenig.(fres)

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