Riads Charmeoffensive
Von Luca Schäfer
Seit Mitte Februar wird in Riad kräftig gepokert. Interessanterweise wurde nicht ein westliches Land oder ein Global Player wie Indien als Austragungsort für Gespräche mit Moskau und Kiew gewählt, sondern Saudi-Arabien. Das macht Sinn: Das wahhabitische Königreich ist geographisch weit entfernt und unbeteiligt, mit keiner der beiden direkten Konfliktparteien verfeindet oder zu eng befreundet. Doch dahinter steckt mehr: Kalkül, Kapital – und ein Risiko für die saudischen Herrscher. Zunächst unterstrich ein Sprecher der saudischen Regierung unter Kronprinz Mohammed bin Salman gegenüber CNN den eigenen Anspruch, Riad wolle nicht nur Gastgeber, sondern »Vermittler« sein. Die EU ist zum Zaungast degradiert.
Das Verhältnis zu Moskau ist vom Öl geprägt. Beide Staaten gehören dem Ölkartell der OPEC an und stimmen sich eng über Fördermengen und Rohstoffpolitik ab. Riad hat bereits mehrfach im Ukraine-Konflikt vermittelt und auch 400 Millionen US-Dollar in Form eines humanitären Hilfsfonds bereitgestellt. Gegenüber Washington wird ein abnehmendes Sicherheitsbedürfnis artikuliert, beide Seiten unterhalten aber wieder engere Beziehungen als zur Eiszeit zwischen 2018 und 2022. US-Präsident Donald Trump nannte bin Salman einen »phantastischen Kerl«, nachdem dieser auf dem jüngsten Weltwirtschaftsforum in Davos angekündigt hatte, Handel und Investitionen zwischen den Staaten in den kommenden vier Jahren um 600 Milliarden Dollar zu steigern.
Die Rolle als Vermittler ist tradiert, Riad gilt als neutral: Bereits 2022 ermöglichte der Golfstaat den größten Gefangenenaustausch zwischen Russland und den USA seit dem Kalten Krieg, im August 2023 war man Gastgeber eines Ukraine-Friedensgipfels. Die Verhandlungen fügen sich nahtlos in die Chronologie der Soft-Power-Charmeoffensive der Golfmonarchie ein. Die De-facto-Herrschaft bin Salmans (de jure regiert König Salman) soll die graue Vorgeschichte der fundamentalistischen Herrschaft übertünchen. Es gibt allerdings Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Reformen. Zur Erinnerung: Als Spitze des repressiven Eisbergs wurde 2018 der saudische Journalist Jamal Khashoggi wegen seiner Regierungskritik im Istanbuler Konsulat erst getötet und dann regelrecht filetiert.
Mit der propagierten »Saudi Vision 2030« soll der jungen Bevölkerungsmehrheit – das Durchschnittsalter liegt bei 29,6 Jahren – eine Perspektive jenseits der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und politischer Liberalismus in einer futuristisch anmutenden Großbaustelle vorgegaukelt werden. Doch die Probleme sind eklatant: Die Ölrente ist endlich, die Jugenderwerbslosigkeit liegt bei 30 Prozent, der aufgeblähte Staatssektor und staatliche Subventionen werden abgebaut, die Steuerlast wird erhöht. Eingebettet sind die aktuellen diplomatischen Angebote in die Ausrichtung sportlicher Großereignisse (Asiatische Winterspiele 2029, Fußball-WM 2034 und 25 Weltmeisterschaften in verschiedenen Sportarten bis 2030), den Ölreichtum des Staatsgiganten Saudi Aramco und die Öffnung des Landes zu den »BRICS plus«.
Das Kalkül bei den Verhandlungen ist einfach: Riad will sich profilieren und seine Wirtschaftsbeziehungen ausbauen. Die Sache hat nur einen Haken. In der Bevölkerung ist das Morden in Palästina weitaus präsenter als der Krieg in der Ukraine. Entsprechend könnte der Ruf nach einer saudischen Intervention auf seiten der palästinensischen »Glaubensbrüder« laut werden. Riad, das sich die Rolle des Gralshüters der islamischen Welt auf die Fahnen geschrieben hat, stand kurz vor einer »Normalisierung« der Beziehungen zu Israel im Rahmen der von Trump initiierten »Abraham-Abkommen«. Bahrain, Marokko und die Vereinigten Arabischen Emirate haben unterzeichnet, die saudischen Herrschenden »rettete« der 7. Oktober. Doch das Königreich braucht dringend Ruhe vor der eigenen Haustür, wo man allerdings schon den Jemen-Krieg losgetreten hat. Ohne wirtschaftlichen Aufschwung könnte die fragile Zwangsgemeinschaft zwischen Klerus, Saud-Clan und einer unterdrückten Gesellschaft merklich ins Rutschen geraten.
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