Eine krasse Niederlage
Von David Maiwald
Arbeitszeitverlängerung, Spaltung der Beschäftigten, Gesinnungsschnüffelei: Der Schlichterspruch im öffentlichen Dienst ist nicht bloß ein »schwieriges Ergebnis«, er ist für Gewerkschafter unannehmbar. Im Grunde war die Gewerkschaft in der Tarifrunde für mehr Geld und mehr Freizeit angetreten, nun stehen angesichts »neuer politischer Verhältnisse« Nullmonate und Arbeitszeitverlängerung im Papier. Angesichts großer Streikbereitschaft bei den Kolleginnen und Kollegen nicht in die Urabstimmung zu gehen ist eine tarifpolitische Niederlage für Verdi.
Womöglich war den 51 Angehörigen der Bundestarifkommission (BTK), die mit Ja stimmten, nicht klar, welche Tragweite ihr Beschluss auch weit über den öffentlichen Dienst hinaus haben wird. Womöglich wollten sie verhindern, dass sich die Kollegen in einer Urabstimmung gegen die Einigung aussprechen könnten, aber zu schwach für ein Streikmandat wären. Wie schon bei der Post hätte sich Verdi auch im öffentlichen Dienst dann die eigene Schwäche, mangelnde Fähigkeit oder Willen zu überzeugen eingestehen müssen. Für die Kolleginnen und Kollegen ist beides fatal.
Jetzt soll bis zu 42 Wochenstunden gearbeitet werden. Für Krankenhausbeschäftigte soll die »Geld-gegen-Zeit«-Regelung – für drei freie Tage anstelle Jahressonderzahlung – nicht gelten. Und wer im öffentlichen Dienst ausgebildet wird, kann übernommen werden, »wenn auch nicht bedingungslos«, so Verdi. Denn fortan soll man sich »durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen«. Also besser nicht mehr demonstrieren, es sei denn für die eigene Regierung. Die Deutungshoheit hat in solchen Fragen letztlich der Verfassungsschutz.
Der TVöD betrifft mehr als 2,5 Millionen Beschäftigte der öffentlichen Verwaltung und -Daseinsfürsorge direkt. Viele weitere Branchen verwenden das Tarifwerk als Orientierung, gestalten ihre Arbeitsverträge »in Anlehnung«. Alleine durch die freiwillige Arbeitszeitverlängerung ist die Möglichkeit geschaffen, in zig Branchen massenhaft zusätzliche Arbeitsstunden ableisten zu lassen. In den Einigungstext wurde der Zusatz geschrieben, diese freiwillige Option sei nur von Beschäftigten wählbar, die nicht mehr in Probezeit sind. Das schützt nicht vor Druck durch die Chefs und zeigt, dass den Gewerkschaftern bewusst ist, was »freiwillig« im betrieblichen Alltag bedeuten kann.
Ein Tarifergebnis sei immer Ausdruck von Kräfteverhältnissen, erklärte Verdi nun. Das stimmt: Von den BTK-Delegierten hat mehr als ein Drittel gegen den Schlichterspruch gestimmt. Beachtlich ist das, wird das Gremium doch sogar innerhalb von Verdi mitunter als »Abnickveranstaltung« tituliert. Vor »schwierigen Zeiten« muss also keiner zurückstecken. Die Verdi-Mitglieder können der Einschätzung der 51 Verhandler noch widersprechen. Auch deren Ja gilt lediglich für den Moment.
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