Israel schafft Fakten
Von Jakob Reimann
Im Schatten täglicher Massaker an Zivilisten in Gaza verfolgen die israelischen Streitkräfte das von der extrem rechten Führung vorgegebene Ziel: Mehr als zwei Millionen Einwohner sollen vertrieben, der Küstenstreifen zur Vorbereitung der israelischen Neubesiedlung ethnisch gesäubert werden. US-Präsident Trump hatte diesen offensichtlich illegalen Plan Anfang Februar vorgestellt: Er wolle Gaza in die »Riviera des Nahen Ostens« verwandeln. In den vergangenen Wochen hat die Armee ihre territoriale Kontrolle über Gaza »drastisch ausgeweitet«, meldete AP am Montag. Israel hat nun mehr als die Hälfte des Gebiets besetzt »und drängt die Palästinenser in immer kleiner werdende Landstriche«.
Die Bevölkerung werde entlang des gesamten Grenzzauns und des erweiterten Philadelphi-Korridors entlang der Grenze zu Ägypten in Richtung Kerngaza vertrieben und das Gebiet systematisch zerstört. Der Netzarim-Korridor, der die Enklave in Nord und Süd zerschneidet, wurde von der Armee auf eine Fläche von rund 25 Quadratkilometern verbreitert. Israelische Soldaten haben in einem Streifen von mehreren Kilometern sämtliche Gebäude dem Erdboden gleichgemacht und das Gebiet über ein »Netzwerk aus Außenposten und Stützpunkten« militärisch befestigt, schrieb die New York Times Mitte März. Das Ziel scheint zu sein, eine Rückkehr in die Gebiete unmöglich zu machen. Premierminister Benjamin Netanjahu kündigte am Mittwoch voriger Woche zudem einen dritten Korridor namens Morag an, der die südlichen Städte Rafah und Khan Junis trennt. Unter ultrarechten Strategen kursieren nun verschiedene Szenarien zur Beantwortung der Frage: Was geschieht mit den Menschen, die im Gazastreifen leben?
Ende März hatte der israelische Verteidigungsminister Israel Katz die Einrichtung eines neuen Direktorats angekündigt, dessen Aufgabe es sein werde, »die freiwillige Ausreise von Einwohnern des Gazastreifens in Drittländer vorzubereiten«. Bereits zwei Tage nachdem Israel am 18. März den ohnehin täglich von der Armee verletzten Waffenstillstand – bei Luftangriffen, starben 404 Menschen – final versenkte, wandte sich Katz in einer Videobotschaft – auf hebräisch – an die »Einwohner von Gaza«, denn dies sei »eure letzte Warnung«. Katz forderte Millionen geschundener Palästinenser auf, die verbliebenen Geiseln zu befreien und die Hamas zu vertreiben. Sei dies geschehen, dürften »diejenigen, die dies wünschen, in andere Länder umsiedeln«. Die Alternative wäre »völlige Zerstörung und Verwüstung«.
Zuvorderst sollen diese »anderen Länder« Ägypten und Jordanien sein; Saudi-Arabien wurde ebenfalls ins Spiel gebracht. Doch auch wenn korrupte Führer wie Ägyptens Abd Al-Fattah Al-Sisi oder der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman diese Pläne womöglich befürworten, käme eine aktive Beteiligung an der ethnischen Säuberung der Palästinensergebiete politischem Selbstmord gleich. Israels Premier hatte den Geheimdienst Mossad beauftragt, aufnahmebereite Länder zu finden, meldete Axios Ende März. Dabei soll es bereits Gespräche mit Somalia, Südsudan und Indonesien gegeben haben. In der Vergangenheit wurden auch Tschad, die Demokratische Republik Kongo und Ruanda als mögliche Aufnahmestaaten diskutiert. Kein Land hat diesen kolonialen Hirngespinsten bisher zugestimmt.
Israels Regierung ist sich der historischen Chance bewusst, nach 15 Monaten bereits tatkräftiger Unterstützung durch den damaligen US-Präsidenten Joseph Biden nun seit bald drei Monaten einen extrem rechten Bruder im Geiste im Oval Office zu haben. Weil sich dieses Zeitfenster auch irgendwann schließen könnte, versucht sie im Eiltempo, Fakten zu schaffen. Laut einer jüngsten Analyse des israelischen +972 Magazine plane Israel, »durch eine Kombination aus Evakuierungsbefehlen und intensivem Bombardement« die gesamte Bevölkerung Gazas, die nicht »freiwillig« geht, gewaltsam in ein umzäuntes Gebiet zu treiben. Dafür biete sich die »humanitäre Zone« in Al-Mawasi im Südwesten der Enklave an. Personen außerhalb dieses Gebiets würden zum Abschuss freigegeben und die Gebäude im restlichen Gazastreifen zerstört werden. Eventuell würde es einige wenige dieser Lager geben, in denen extrem demütigende Lebensbedingungen geschaffen würden. Die Analyse beruft sich auf die Aussagen eines israelischen Journalisten sowie eines kürzlich geschassten Generals. Die Strategie dahinter, so der Autor Meron Rapoport: »Zuerst die Bevölkerung in eine oder mehrere abgeschlossene Enklaven einpferchen; dann Hunger, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit den Rest erledigen lassen.« Denn die Inhaftierten würden sehen, »dass sie weder eine Gegenwart noch eine Zukunft im Gazastreifen haben« und nach einiger Zeit selbst »auf Ausreise drängen und die arabischen Länder zwingen, sie aufzunehmen«.
Am Mittwoch berichtete die israelische Zeitung Times of Israel darüber hinaus, dass die Armee begonnen habe, das Gebiet südlich des Morag-Korridors, also die gesamte Stadt Rafah, zu annektieren und systematisch zu verwüsten.
Hintergrund: Antwort auf Trump
Nachdem US-Präsident Donald Trump am 4. Februar seinen Annexions- und Vertreibungsplan für Gaza vorgestellt hatte, legten die arabischen Staaten eine Alternative vor. Am 4. März beschlossen sie einen ursprünglich aus ägyptischer Feder stammenden, 53 Milliarden Dollar schweren Wiederaufbauplan. Darin enthalten ist die Garantie, dass die Palästinenser in Gaza bleiben. Bereits kurz nach Trumps Vorstoß hieß es aus dem Außenministerium in Kairo: »Ägypten bekräftigt seine Absicht, eine umfassende Vision für den Wiederaufbau des Gazastreifens vorzulegen, und zwar auf eine Weise, die sicherstellt, dass das palästinensische Volk auf seinem Land bleibt, im Einklang mit den legitimen Rechten dieses Volkes.«
Der Plan sieht den graduellen Übergang von einer Waffenruhe zu Friedensverhandlungen vor und bekräftigt, dass parallel zum Wiederaufbau die Schaffung eines palästinensischen Staates neben Israel die einzige Lösung für einen dauerhaften Frieden sei. Außerdem kehren die arabischen Staaten zur Position der arabischen Friedensinitiative von 2002 zurück und knüpfen die Normalisierung ihrer Beziehungen mit Israel an die Bedingung palästinensischer Staatlichkeit. Für den Weg dorthin sieht der Plan zunächst eine palästinensische Technokratenregierung unter dem Schirm der Palästinensischen Nationalbehörde in Ramallah vor. Die Hamas soll also von der Regierung abtreten – eine Forderung, die diese bereits akzeptiert hat. Lediglich das Abgeben ihrer Waffen hat sie als rote Linie bezeichnet. Die arabischen Staaten, die sich über die zukünftige Rolle der Hamas uneinig sind, schlagen in dem Plan diesbezüglich vor, dass Ägypten und Jordanien palästinensische Sicherheitskräfte aufbauen – die Hamas und andere militante Gruppen sollen unter deren Aufsicht gestellt werden. (dss)
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