Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 10.04.2025, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Waffen aus dem Ententeich

»Die drei schönsten Toten von Basel«: Der neue Kriminalroman des leidenschaftlichen Grenzgängers Wolfgang Bortlik
Von Andreas Schäfler
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Auf Tuchfühlung mit dem Alltagswahnsinn: Autor Wolfgang Bortlik

Karneval, Fasching, Fastnacht – grad ging es da und dort wieder rund. Die Fasnacht in Basel, wo man eine Woche später feiert als überall sonst, behauptet bei allem Kommerz noch immer ihren alemannisch-heidnischen Kern, vor allem bei ihrer stimmungsvollen Eröffnung, dem Morgestraich um vier Uhr früh. Dann beginnen für Abertausende einheimischer und angereister Fans die drei schönsten Tage des Jahres.

»Die drei schönsten Toten von Basel« ereignen sich just in time, als Kommissär Britzig und sein Team nicht gerade vor polizeilichem Ermittlungsdrang bersten. So ist es auch in Wolfgang Bortliks sechstem Basel-Krimi wiederum Melchior Fischer, der altersmilde Anarchist und Gelegenheitsdetektiv, der aufklärerisch durch das Schlamassel führt, zumal die titelgebenden Leichen nacheinander ins Naherholungsgebiet vor seiner Haustür drapiert werden – im Basler Vorort Riehen, den dank der Fondation Beyeler ja die ganze (Kunst-)Welt kennt.

Das erste Opfer ist Waldemar Oertli, ein dubioser Geschäftsmann, der sich auch als »Weltretter« und Großmufti eines identitären Geheimordens hervortat. Er hatte zu Umsturzzwecken Waffen geordert und wurde in der stockfinsteren Morgestraichnacht vom Spediteur irrtümlich über den Haufen gefahren – am Übergabeort, wo kurz zuvor und quasi auf Wolke sieben Melchior Fischer vorbeigeradelt war. Denn der ist neuerdings verliebt: in seine Lebensabschnittsenkelin Ivy, die er oft und gern auf seine müden Leihopa-Schultern hebt, und in Antonia, die aparte Dame mit dem Pillboxhut, die er unlängst mit bahnbrechendem Erfolg auf ihre Zuglektüre (die Autobiographie der Punkmusikerin Viv Albertine) angesprochen hatte und die praktischerweise im nahen Weil am Rhein wohnt.

Bortlik spickt auch sein neues Buch wieder mit schönen schweizerdeutschen Wendungen (eine Fasnachtskapelle tschättert) und plaziert als früh ausgewanderter Münchner zudem ein paar bayrische Kraftausdrücke (aus dem Mund von Britzigs Vorgänger Franz Gsöllpointner, dem er drei kurze Gastauftritte gönnt). Und er fährt erneut viel skurriles Personal auf, das er mit erlesenen Namen und schrulligen Hobbys ausstattet: den wichtigen Zeugen Norbert Rudolf Bohne-Quandt etwa, dessen Initialen die Rumpelrockband NRBQ heraufbeschwören. Dieser passionierte Birdwatcher hält sich naturgemäß gern am idyllischen Entenweiher auf, wo er als H.-P.-Lovecraft-Jünger aber auch mit »übelriechendem Plasmagezücht« kommuniziert und insgeheim Landebahnen für UFOs projektiert.

Vollends comichaft werden schließlich die hartgesottenen Waffenlieferanten gezeichnet: Mikkel Mikkelsen, Nils Nielsen, Knud Knudsen und Ole Olsen arbeiten für die Pariser Vertretung der Transportgewerkschaft JCR (Joint de Culasse Rouge = Rote Zylinderkopfdichtung) und haben schon bald ein zweites Opfer auf dem Gewissen: Oertlis Adlatus Henry Kornfeld, der allzu gern das ominöse Paket am Weiher eingesackt und sich dann mit dem Titel »König der Schweiz« geschmückt hätte.

Als ehrgeiziger Nerd füttert Melchior Fischer, Leichenfunde hin oder her, seine neue Herzensdame mit pikanten Details zum immateriellen Weltkulturerbe der Basler Fasnacht, über die Antonia einen Essay für ihr deutsches Intelligenzblatt verfassen soll. Wussten Sie schon, dass der in Basel aufgewachsene Künstler Jean Tinguely als Mitglied der »Kuttlebutzer«-Clique das ehrwürdige Fasnachts-Comité einst mit einer unappetitlichen Konfettiexplosion verschreckte? Eben!

Als Britzig mit seinem »fatalen Hang zu braunen Lederjacken« (die ihm obendrein zu eng sind und auch farblich an Wurstpellen gemahnen) 15 Seiten vor Schluss im Zoorestaurant »Elefantenblick« endlich mal gescheit mit seiner Korporalin Rosolic anbandeln will, fällt ihm nur ein fader dienstlicher Witz ein: »Wenn es drei Tote wären, könnte man den Fall ›Die drei schönsten Toten von Basel‹ nennen, an den drei scheenschte Dääg gestorben.« Der umtriebige Autor tut ihm sogleich den Gefallen und macht den Spediteur Ole Olsen zum dritten Opfer in seiner Geschichte: jämmerlich ertrunken, als er das noch immer herrenlose Waffenpaket aus dem Ententeich bergen und in seinen Besitz bringen wollte.

Im Dreiländereck am Rheinknie wird also hübsch nach allen Seiten ausgeteilt, über selbstzufriedene Schweizer gelästert, deutsche Verbissenheit gegeißelt und ahnungslosen Franzosen übel nachgeredet. Nach 47 Kürzestkapiteln hat man, dem leidenschaftlichen Grenzgänger Bortlik sei Dank, einen weltläufigen Regionalkrimi gelesen, ist mit viel Humor und unnützem popkulturellen Spezialwissen versorgt worden und dennoch stets auf Tuchfühlung mit dem ganz normalen mitteleuropäischen Alltagswahnsinn gewesen.

Wolfgang Bortlik: Die drei schönsten Toten von Basel. Gmeiner-Verlag, Meßkirch 2025, 256 Seiten, 16 Euro

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