Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 11.04.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Rüstungsindustrie

Deutscher Panzerstahl

Thyssen-Krupp und Co. wollen mit Rüstungsaufträgen aus der Krise. Auch der Staat könnte investieren
Von Sebastian Edinger
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Schiffsbau mit Zukunft, der unbegrenzten Aufrüstung sei Dank. Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, bei der Kiellegung eines Flottendienstbootes in der Lürssen-Werft in Wolgast, 25. Februar 2025

Seit Jahrzehnten ist die deutsche Stahlindustrie auf dem absteigenden Ast. Waren 1990 noch 175.000 Beschäftigte in dem Sektor tätig, sind es heute gerade einmal noch 78.000. Beim Branchenprimus Thyssen-Krupp folgte in den letzten Jahren ein Kürzungsprogramm auf das nächste, Tausende Arbeitsplätze wurden vernichtet. Ende 2024 wurden weitere Massenentlassungen angekündigt, denen 11.000 Beschäftigte zum Opfer fallen sollen. Die wettbewerbsstarke Konkurrenz aus China und hohe Energiepreise machen dem Unternehmen zu schaffen. Noch mal 1.800 Jobs sollen wegen der schwachen Nachfrage aus der Automobilindustrie wegfallen, hieß es Anfang März. Zuletzt wurden die Lieferverträge mit der Hüttenwerke Krupp-Mannesmann (HKM) gekündigt (jW berichtete).

Bei anderen Stahlfirmen sieht es kaum besser aus. So hat etwa Arcelor-Mittal Zentralisierungen angekündigt, von denen insbesondere die Standorte Bremen und Eisenhüttenstadt betroffen sind. Bei der Salzgitter AG läuft nach umfassenden Stellenstreichungen in den vergangenen Jahren nun das Kürzungsprogramm »Salzgitter AG 2030«, mit dem laut Management ein weiterer Personalabbau einhergehen wird. Die Liste ließe sich fortsetzen, trotzdem kehrt in der Branche nun die Hoffnung zurück. Denn ein großer Abnehmer hat eine rosige Zukunft vor Augen und könnte aus strategischen Gründen verstärkt auf inländische Zukäufe setzen: die Rüstungsindustrie. Deutschland soll kriegstüchtig werden, dafür ist die Bundesregierung bereit, sich unbegrenzt zu verschulden.

Staatseinstieg?

Wie ausgelassen die Partystimmung in den hiesigen Waffenschmieden ist, zeigt nicht zuletzt der Aktienkurs von Rheinmetall: Seit letztem Herbst hat sich der Preis dieser Wertpapiere fast verdreifacht. Nicht einmal der von US-Präsident Donald Trump angezettelte Zollkrieg konnte den Optimismus der Kriegsinvestoren schmälern. Dass sich Thyssen-Krupp und andere Stahlfirmen berechtigte Hoffnungen machen, an der Aufrüstung mitzuverdienen, liegt daran, dass man für die Waffenproduktion Stahl braucht – viel Stahl, guten Stahl und am liebsten deutschen Stahl: »In den letzten Jahren war die Qualität nicht mehr verfügbar – vor allem der Panzerstahl. Wir qualifizieren die Stahlhersteller langsam wieder, und dann würden wir gerne wieder aus Deutschland kaufen«, frohlockte zuletzt Rheinmetall-Chef Armin Papperger.

Auch in der Politik mehren sich die Mahnungen, bei der Kriegsvorbereitung auf Unabhängigkeit von ausländischen Lieferanten zu achten und im Zweifelsfall mit staatlichen Mitteln einzusteigen, um den Niedergang der einheimischen Produktion zu verhindern. »Stahl ist urnotwendig, um unsere zivile Infrastruktur kriegstüchtig zu machen. Oder um für die Streitkräfte ausreich-end Ressourcen zu haben«, zitiert tagesschau.de den CDU-Politiker Roderich Kiesewetter. »Auch aufgrund der Gefahr, dass die deutsche Stahlerzeugung nicht mehr konkurrenzfähig wird oder aus dem Ausland aufgekauft wird, ist es bestimmt für eine bestimmte Übergangszeit notwendig zu prüfen, ob wir nicht eine deutsche Stahl-AG mit staatlicher Beteiligung gründen.«

Und der Duisburger Bundestagsabgeordnete und HKM-Betriebsrat Mirze Edis (Die Linke) weiß: »Wir brauchen eine Verteidigungsarmee. Und wenn du eine Verteidigungsarmee gut aufstellen willst, brauchst du auch Stahl.« An jedem Stahlarbeitsplatz hingen »fünf bis sechs weitere – das ist der Imbiss, die Trinkhallen, der Friseursalon«, betont er. Der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linken NRW, Nils Böhlke, fordert ein Engagement des Landes bei HKM. Es werde »immer offensichtlicher, dass für die Rettung der Arbeitsplätze bei HKM eine Beteiligung oder gar eine Komplettübernahme durch das Land notwendig sein wird«. Die Landesverfassung sehe in solchen Fällen die Überführung in Gemeineigentum vor.

Kriegsschiffe

Die Produktionskapazitäten könnte der Staat schließlich gut brauchen, wenn es an die Umsetzung der ambitionierten Aufrüstungspläne geht. Auch der Chefebene bei Thyssen-Krupp ist klar, dass hier Profite zu machen sind, wie der gerade angekündigte Ausbau des Standorts Wismar durch die Rüstungssparte Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS) zeigt. Die Firma gehört zu den führenden Herstellern konventioneller U-Boote, hat auch Fregatten im Angebot und beliefert neben dem deutschen Heer unter anderem das israelische. Bis 2029 soll der Personalstab von derzeit 100 auf dann 1.500 Beschäftigte ausgebaut werden. Neue Aufträge sind bereits in Aussicht, und die Rüstungspläne der EU- und NATO-Staaten versprechen langfristig ausgelastete Kapazitäten. Thyssenkrupp-CEO Miguel Lopéz will TKMS noch in diesem Jahr an die Börse bringen.

Auch bei der zuständigen Gewerkschaft kam die Ankündigung gut an: »Das lange Warten hat ein Ende, jetzt startet der Personalaufbau am Werftstandort Wismar«, frohlockte Heiko Messerschmidt, Branchenbeauftragter Schiffbau bei der IG Metall. Das Unternehmen biete den Beschäftigten »unbefristete Verträge zu den Bedingungen des Flächentarifvertrages der Metall- und Elektroindustrie an«. Über die Ausschreibungen seien zuerst die IG-Metall-Mitglieder aus der Fertigung von Meyer Wismar informiert worden, die derzeit noch mit dem Bau eines Kreuzfahrtschiffes für den Disney-Konzern beschäftigt sind. Der Umbau des Vergnügungsschiffs soll bis Dezember abgeschlossen sein. Danach könnten die dort eingesetzte Arbeitskräfte in der Produktion der weniger unterhaltungsorientierten Wasserfahrzeuge von TKMS zum Einsatz kommen.

Hintergund: Unbegrenzte Kriegskredite

Im Wahlkampf hatten es die Vertreter von Union, SPD und Grünen geschafft, dichtzuhalten. Erst kurz nach der Bundestagswahl ließen sie die Bombe platzen, und riefen in einem beispiellosen Akt der Missachtung demokratischer Prinzipien ein letztes Mal den alten Bundestag zusammen. Schließlich sollte die Verfassung geändert werden, um eine massive, schuldenfinanzierte Aufrüstung zu ermöglichen. Im neu gewählten Parlament hätte es dafür nicht mehr die erforderliche Zweidrittelmehrheit gegeben, man wäre auf Linkspartei und/oder AfD angewiesen gewesen. Vor allem CDU-Chef Merz hatte im Wahlkampf konsequent behauptet, an der Schuldenbremse sei nicht zu rütteln.

Dann wurde kräftig daran gerüttelt. Nicht nur wurde ein weiteres Sondervermögen von 500 Milliarden Euro beschlossen, um den schnell fortschreitenden Verfall der öffentlichen Infrastruktur zu bremsen. 100 Milliarden davon sollen an die Länder gehen. Vor allem aber wurden Rüstungsausgaben sowie Ausgaben für Zivilschutz, Nachrichtendienste und Cybersicherheit quasi komplett aus den Regeln der Schuldenbremse ausgenommen. Alle Ausgaben in diesen Bereichen, die ein Prozent der Wirtschaftsleistung – derzeit rund 44 Milliarden Euro – übersteigen, dürfen schuldenfinanziert werden, ohne dass dies für die in der Verfassung verankerten Grenzwerte für die jährliche Neuverschuldung und die Gesamtverschuldung angerechnet wird.

Die Mehrheiten für neue Kriegskredite waren schnell organisiert. Im Bundestag konnten die angehenden Koalitionspartner Union und SPD die Grünen dafür gewinnen. Im Gegenzug bekamen sie ein Bekenntnis zu perspektivischer Klimaneutralität mit Verfassungsrang. Im Bundesrat enthielten sich lediglich die Länder, an deren Regierung BSW oder FDP beteiligt sind. Die Linke stimmte zwar im Bundestag gegen die Reform, aus den Ländern, in denen sie an der Regierung beteiligt ist, kam dann jedoch Zustimmung. (se)

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