Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 11.04.2025, Seite 10 / Feuilleton
Landlust

Einkaufsprobleme

Aus der Provinz
Von Jürgen Roth
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Nun sei es allerdings so gewesen, dass dieser spezielle Biber ein Holzkopf gewesen sei

Freund Ludwig hatte einen Stammtischshuttle organisiert. Nach zwei Stunden freitäglicher Regulärgespräche brachen wir auf und fuhren zur »Lindenstube«. Dort tagte eine Jagdgesellschaft, die ihre Trophäen von einem Beutezug in Ungarn präsentierte. Trophäenschau nennt sich das.

Vier Herren in Tracht und mit beeindruckenden Hüten riefen Kommandos in einer Sprache, die wie das Idiom eines kleinen Volkes aus dem pazifischen Raum klang, unterbrochen vom Anblasen und vom Abblasen. Das sind die Signale zum Auftakt und zum Ende des Treibens.

Das Essen wurde zunächst den Hornbläsern und den Jägern serviert. Danach flossen mehrere Hektoliter Schnaps, um insbesondere die Jagdfreunde aus Bad Segeberg zu beglücken. Bad Segeberg – ich fand das im Rahmen einer Veranstaltung rund ums Schießen plausibel.

Der Jagdpächter Herr K., ein First-class-Rhetor, erzählte, dass ein Biber die Bahnstrecke gen W. unterminiert und den Damm fast zum Einsturz gebracht habe. Der Biber führe sich sowieso überall unmöglich auf, meinte er.

Nun sei es allerdings so gewesen, dass dieser spezielle Biber ein Holzkopf gewesen sei. Vor kurzem sei er nämlich in das stillgelegte, leere Klärbecken gestürzt und nicht mehr herausgekommen. Da habe er ihn also »derschießen« müssen, auch, um die Infrastruktur zu retten.

Freund Ludwig rieb sich in Erwartung einer saftigen Bibersalami, die er gegen ein Walfilet tauschen würde, das er aus Norwegen mitgebracht hatte, die Hände. Was willste sagen? Ich hab’ in Mosambik Krokodil gegessen.

Die »Lindenstube« ist so etwas wie eine gehobene Wärmestube, ein wohlgeratenes Kopfverheerungslokal, das die vorzüglichsten Charaktere beherbergt, zum Beispiel den Bernhard, den Murr Michl und den Riegler Hannes, den Sohn vom Riegler Horst, eines engen Freundes meiner Eltern, der uns Kindern immer kistenweise Negerküsse und Bifis schenkte.

Neulich traf ich den Hannes in der »Lindenstube« wieder. Im Besenbeck, im größten Supermarkt in N., einzukaufen sei eine Tortur, sagte ich. »Du suchst einen herabgesetzten Joghurt, und den findest du im Kühlregal nicht, weil da zweitausend verschiedene Joghurts stehen«, klagte ich. Ganz recht, replizierte der Hannes, der Besenbeck sei arg unübersichtlich, das Angebot überbordend und erdrückend, und deshalb habe er vor längerer Zeit seine Einkaufsstrategie geändert, und er sei fortan ausschließlich zum Netto gegangen.

Jetzt berichtete er in riesiger Ausführlichkeit vom Ausbruch einer, genaugenommen seiner Netto-Krise. Der Netto sei jahrelang eine vorbildlich schlichte Einkaufsstätte gewesen. Dann habe »irgendein Arsch« beschlossen, ihn umzubauen, und danach sei absolut alles in die Grütze geritten gewesen.

Das Ergebnis des Umbaus, sagte der Hannes, sei ein einziges Debakel, die gesamte Ladenstruktur seither eine Katastrophe. Nichts habe man mehr geschwind gefunden. Und den Gipfel habe der Netto vor zwei Jahren am Gründonnerstag erklommen. Stets weniger Kassen habe es gegeben, und als er in der Mittagspause ein Brot und einen Käse habe erwerben wollen, sei er zur einzigen geöffneten Kasse gegangen, und nachdem zwanzig Leute vor ihm geblecht hätten, sei der Computerschrott zusammengebrochen, und er habe nicht bezahlen können.

Er habe die Filialleiterin rufen lassen, und die habe ihm sodann frech ins Gesicht gesagt, er solle sich gedulden. Er könne sich nicht gedulden, habe er erwidert, er müsse zurück auf die Baustelle. »Leckts mich doch am Arsch!« habe er hinzugesetzt, »und euer G’raffel sortierts selber wieder ein!« Er kaufe hier in diesem Netto nie mehr ein.

Vergangene Woche sei er im Netto in Heilsbronn gewesen. Und was sei passiert? An den Auslagen mit dem Gemüse sei ihm genau diese infernalische Filialleiterin über den Weg gelaufen.

»So schaut’s aus«, grummelte der Hannes. Vielleicht sollte sich der Hannes mit Lebensmitteln künftig durch Jagdaktivitäten auf dem Kläranlagengelände versorgen. Bibersalami ist ein erstklassiger Proteinlieferant.

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