Eine brennende Frage
Von Ronald Kohl
Die Initialzündung für brillante Geschichten ist oftmals eine komplett schräge Idee, die plötzlich aufploppt. Jannis Alexander Kiefer, dem mit »Another German Tank Story« ein unterhaltsames Langfilmdebüt gelingt, ließ in seinem vor einigen Jahren gedrehten Abschlussfilm »Kollegen« einen uniformierten SS-Offizier in Gegenwart eines KZ-Häftlings in den Ofen schieben. Wobei uniformiert ein wenig übertrieben ist, denn der Obersturmbannführer trägt rote Shorts der Marke Adidas; dieser, wie sich später herausstellt, Panzersoldat ist also Komparse in einem Weltkriegsfilm, und der Ofen besteht lediglich aus Sperrholzplatten und Pappe. Aber so ließ sich der Einfall des Regisseurs immerhin sehr plausibel umsetzen. Zudem wirkte schon »Kollegen«, ein Film von einer knappen Viertelstunde Länge, der irgendwo im tiefsten Brandenburg spielt, selbst auf mich als altgedienten Einheimischen hundertprozentig authentisch.
Das Geheimnis der Echtheit, sowohl in »Kollegen« als auch in dem jetzt anlaufenden »Another German Tank Story«, gründet in der Geduld des Regisseurs. Jannis Kiefer arbeitet nicht so, dass er seine Figuren entsprechend den Erfordernissen des Plots gestaltet. Er geht in die Dörfer und sieht sich um, bis die Motive auf ihn zukommen. Manchmal eben auch zurollen, als Panzer. Dazu hat der Regisseur einmal bemerkt: »Es ist einfacher, in Brandenburg einen Panzer aufzutreiben als ein veganes Catering.«
Während seiner Ausbildung zum Regisseur hat Kiefer häufig nebenbei als Komparsenbetreuer gearbeitet. Was er da gesehen und erlebt hat, setzt er in »Another German Tank Story« um.
Susanne (Meike Droste), die Bürgermeisterin eines brandenburgischen Dorfes, ist zunächst hocherfreut, dass ein großes Team aus Hollywood einfliegt, um einen Kriegsfilm zu drehen. Wie es im Krieg und beim Film üblich ist, läuft nicht alles glatt. »Friktionen« nannte das Clausewitz. Am meisten nervt Susanne der Panzer in ihrem Garten, der dort schon seit Tagen auf einem Tieflader steht, so dass sie rund um die Uhr aufpassen muss, dass die Fuhre nicht geklaut wird. Wenn sie Sprechstunde hat, schiebt ihre Mutter Wache. Sohn Tobi (Johannes Scheidweiler), der nach dem Abitur noch nicht so richtig durchstarten kann, weil sich dann niemand mehr um sein Kaninchen kümmern würde, kann die Oma nicht ablösen. Er hat einen Fahrerjob angenommen. Die Filmsternchen aus den USA sitzen im Fond seines geräumigen Wagens und das Kaninchen mit den Möhren auf dem Beifahrersitz. Doch die ländliche Idylle bekommt bald Risse.
Neuerdings läuft Wolffi (Alexander Schuster), Tobis bester und einziger Freund, in Wehrmachtsuniform durch den Ort, am Koppel eine Walther P38, mit der er irgendwann auch auf einen Menschen zielen wird. Das alles kommt allerdings nur daher, dass Wolffi immer das tut, was die Frauen von ihm verlangen. »Ich werde mit jeder Faser meines Körpers zu ihrer Verfügung stehen!« erwidert er der jungen Dame, die ihn nach einem kurzen Casting, das eher einer (militärischen) Musterung gleicht, dazu auffordert, sich für die gesamte Nacht bereit zu halten. Bei den Aufnahmen stellt sich Wolffi dann so geschickt an, dass er auch ein paar Sätze sprechen und als Belohnung seine Uniform behalten darf, die er von da an nicht mehr ablegt. Das wirkt erstaunlicherweise überhaupt nicht verstörend. Kiefer versteht es, mit der Zeitgeschichte, also Nazi und DDR, zu spielen: Wolffi trägt nach meiner Überzeugung seine Wehrmachtsuniform, weil er sich nicht mehr von der Vergangenheit trennen kann, von seiner Nacht als Hollywoodstar. Als ihn seine Mutter auffordert, wenigstens den blöden Reichsadler von der Uniformjacke abzureißen, gehorcht er auf der Stelle und läuft nun durchs Dorf wie ein NVA-Soldat. Inwieweit dem eine Absicht zugrunde liegt, ist für mich eine wichtige Frage. Noch mehr interessierte es mich jedoch, woher die Idee für »Kollegen« stammt, also das mit dem SS-Mann im Ofen.
Nur deshalb besorge ich mir eine Pressekarte für die erste Vorführung von »Another German Tank Story« beim »Achtung Berlin«-Film-festival (2.–9. April). Wie immer bin ich viel zu spät dran. In das »Babylon« am Rosa-Luxemburg-Platz hineinzukommen, ist Stress pur. Wie soll ich in diesem Gewühl den Regisseur finden? Als sich jemand mit einem irgendwie bekannten Gesicht an mir vorbeischiebt, kämpfe ich mich hinterher und rufe: »Herr Kiefer!« Der Mann dreht sich um und sagt: »Das ist ja lustig, dass Sie mich für den Regisseur halten.« Ich kann ihn jetzt zuordnen und sagen: »Sie spielen doch diesen abgebrannten Journalisten, der in sein Heimatdorf zurückkehrt und die Story seines Lebens wittert, weil er das Double für den echten Star hält.« – »Ja, genau.« Draußen nimmt Roland Bonjour noch einen Schluck aus seiner Flasche Becks und dreht sich eine Zigarette. Wir unterhalten uns über die Parallelen zwischen seinem Leben und seiner Rolle; er stammt aus einem schweizerischen Bergdorf. Dann erblicke ich Gisa Flake. Anders als Roland Bonjour hatte sie auch schon in »Kollegen« eine Rolle. Ich beame mich neben sie und frage, woher die Idee stammte, den SS-Mann in den Ofen zu schieben. »Ja weil er da stand.« – »Ja, im Film steht er da. Aber woher stammt die Idee?« – »Das müssen Sie den Regisseur fragen.« – »Den finde ich ja nicht.« Roland Bonjour hat Erbarmen. Er drückt seine halb aufgerauchte Selbstgedrehte aus. Wir zwängen uns wieder hinein, und er geht mit mir auf die Suche.
»Jannis, hier ist jemand, der mit dir sprechen möchte.« Jannis Kiefer gibt mir die Hand, lächelt und schenkt mir sein Ohr. Und das Minuten, bevor der Film anfängt. Leider habe ich mich unvorteilhaft programmiert und frage zuerst nach dem Reichsadler auf der Uniformjacke: »War Ihnen bewusst, dass er ohne den Adler aussieht wie ein NVA-Soldat?« – »Mich hat nur interessiert, ob das Abreißen des Hoheitszeichens den Charakter in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt oder ob es die Uniform ist, die diese Verwandlung bewirkt.« Dann sind auf einmal etliche Leute um uns herum, die zur Eile drängen. »Jannis, du musst noch auf die Bühne!« Er zeigt auf den völlig verstopften Einlass. »Ich komme da doch gar nicht durch.« – »Doch!« Weg ist er. Neben mir steht die Dame von der Pressebetreuung: »Sie können ihn doch auch noch nachher fragen.« – »Das geht leider nicht. Ich muss zum Zug.« – »Dann schicken Sie mir Ihre Frage per Mail. Ich leite sie sofort weiter.« Da ich meinen Notizblock in den Fingern halte, äußere ich die reichlich absurde Idee, die Frage einfach aufzuschreiben und sie ihr jetzt gleich zu geben. »Nein, lieber per Mail.« Ich muss raus an die Luft. Noch ein kurzer Spaziergang Unter den Linden. Innere Manöverkritik. Schon vor Wochen hätte ich mich an die Pressebetreuung wenden können, doch ich hasse es, strukturiert zu arbeiten. Im Zug krame ich mein Smartphone hervor und schreibe die verdammte Mail mit der mich allmählich verrückt machenden Frage: »Woher stammt die Idee, einen SS-Mann in den Ofen zu schieben?« Die Antwort kommt augenblicklich: »Ihre Mail konnte nicht zugestellt werden (das Postfach des Empfängers ist überfüllt).«
»Another German Tank Story«, Regie: Jannis Alexander Kiefer, BRD 2024, 95 Min., bereits angelaufen
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