Der Moment des Nachsinnens
Von Peter Michel
Im Jahr 2011 gründete sich die Initiative »Private Künstlernachlässe im Land Brandenburg«. Sie stellt sich seitdem die komplizierte Aufgabe, möglichst lückenlos jene Nachlässe digital zu erfassen, die nicht mehr in die Sammlungen von Museen, Archiven oder anderen Einrichtungen aufgenommen werden können. Bis jetzt sind 34 solcher Verzeichnisse entstanden, die für jedermann im Internet einsehbar sind. Seit dem 25. Februar steht nun auch das Verzeichnis »Ludwig Engelhardt, Skulptur und Plastik« der kunstwissenschaftlichen Forschung zur Verfügung. Damit wird eine Lücke geschlossen, die es bisher für jene gab, die an Teilaspekten einer Kunstgeschichte arbeiten, bei der die in der DDR entstandenen Werke nicht ausgeschlossen werden.
Ludwig Engelhardt wurde am 18. August 1924 in Saalfeld geboren und starb am 18. Januar 2001 in Berlin. Er gehörte nach seinem Studium und seiner Meisterschülerschaft bei Heinrich Drake (1951 bis 1959) zu den prägenden Bildhauern in der DDR. Von 1959 bis 1964 war er Assistent in der Abteilung Plastik der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Als Mitglied der Akademie der Künste bildete er Meisterschüler aus, darunter Emerita Pansowová und Rolf Biebl, der erst kürzlich den Rosa-Luxemburg-Preis der jungen Welt und der Zeitschrift Melodie und Rhythmus gestaltete.
Bereits Engelhardts Diplomarbeit »Lesender Arbeiter« war für den öffentlichen Raum gedacht, vermied äußerliche Monumentalität, orientierte sich an der Denkweise Brechts und erfasste den Moment des Nachsinnens über das Gelesene. Für die Skulpturensammlung der Waldsiedlung Bernau schuf er die bekannte »Sitzende Schwimmerin«. Die menschliche Gestalt blieb zeit seines Lebens der Mittelpunkt seines Schaffens. Typisch für Engelhardts Darstellungen ist ein Zug des In-sich-Ruhens, einer Vergeistigung, die sich vor allem in den Gesichtern zeigt. Das trifft auch für die Porträtköpfe der Figurengruppe des Marx-Engels-Denkmals zu, das in seinem Sommeratelier in Gummlin auf Usedom entstand und im Mittelpunkt des Berliner Marx-Engels-Forums steht. An diesem Forum arbeiteten neben ihm die Bildhauer Margret Middell und Werner Stötzer sowie die Fotografen Arno Fischer und Peter Vogt mit.
Engelhardts Werkverzeichnis ist mit 39 Arbeiten nicht sehr umfangreich. Die Initiatoren der »Künstlernachlässe« begründen das mit der angegriffenen Gesundheit des Kriegsheimkehrers und der langsamen Gründlichkeit seiner Arbeitsweise. Dieses Verzeichnis macht in der Zusammenschau erstmals die Qualität und Vielfalt seines Schaffens sichtbar. Es dokumentiert nicht nur die Arbeiten im öffentlichen Raum, sondern auch weniger bekannte Porträtplastiken und Torsi. Alle Werke werden abgebildet; es gibt eine detaillierte, faktenreiche Biographie, Nachweise für 84 Veröffentlichungen und 22 Ausstellungen. In der Schau »DDR-Bildhauerkunst«, die 1987 in Bonn, München und Mannheim gezeigt wurde, war er repräsentativ vertreten.
Dieser Bildhauer gehört gemeinsam mit Cremer, Grzimek, Graetz, Lammert, Stötzer, Balden und anderen in die erste Reihe der Schöpfer humanistischer deutscher figürlicher Plastik. Ludwig Engelhardts Stellung in der deutschen Kunstgeschichte wird nun eindeutiger bestimmt. Sein digitales Werkverzeichnis wurde unter der Verantwortung von Dr. Liane Burkhardt und Thomas Kumlehn erarbeitet; es sollte nicht nur von Kunsthistorikern genutzt werden.
https://private-kuenstlernachlaesse-brandenburg.de
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