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Aus: Ausgabe vom 12.04.2025, Seite 8 / Ansichten

Ein Hauch von Sykes-Picot

Türkisch-israelische Syrien-Gespräche
Von Nick Brauns
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Ausgebranntes Fahrzeug nach israelischem Luftangriff auf Militärflugplatz bei Hama am 3. April

Hochrangige Militärdelegationen aus der Türkei und Israel sind in dieser Woche im aserbaidschanischen Baku zusammengekommen, um über einen Mechanismus zur Vermeidung von Konflikten in Syrien zu beraten. Zwischen beiden Regionalmächten ist nach dem Sturz von Präsident Baschar Al-Assad ein Hegemoniekampf um Einfluss in Syrien entbrannt. Beide Länder halten syrisches Territorium besetzt. Ankara pflegt enge Beziehungen zur neuen islamistischen Regierung in Damaskus und zielt, angeleitet von neoosmanischen Visionen, auf die Kontrolle des Nachbarlandes. So weitgehende Ambitionen hat Tel Aviv, das sich als Schutzmacht von Minderheiten wie den Drusen zu inszenieren sucht, nicht. Auf israelischer Seite besteht die Sorge, dass die Operationsfreiheit der eigenen Luftwaffe über Syrien und dem Libanon durch das türkische Militärengagement behindert wird. Zudem fordert Tel Aviv eine entmilitarisierte Zone südlich von Damaskus.

In der Nacht zum 3. April eskalierten die Spannungen, als israelische Kampfjets den T4-Militärflughafen in der zentralsyrischen Provinz Homs, den die Türkei zum eigenen Luftwaffenstützpunkt ausbauen wollte, zerstörten. Aus Israel hieß es, dies sei eine Warnung an Ankara gewesen. Dann lenkten die Außenministerien beider Länder ein und erklärten, keine Zusammenstöße in Syrien anzustreben.

Das Treffen in Baku erfolgte im Anschluss an den Washington-Besuch des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu. Dort hatte US-Präsident Donald Trump seinen türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan als »schlau« gelobt, zugleich aber Netanjahu Unterstützung bezüglich der Türkei zugesagt. Dafür müsse sich Israel aber auf »vernünftige Forderungen« beschränken, wie etwa die Verhinderung iranischer Waffentransporte an die libanesische Hisbollah durch Südsyrien.

Anschließend bot sich der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew den beiden »engen Freunden« als Vermittler an. Der Türkei gilt Aserbaidschan als Brudernation, während Israel der wichtigste Waffenlieferant der Kaukasusrepublik ist und von dort den Großteil seines Ölbedarfs deckt. Allen drei Staaten gemeinsam ist zudem die Rivalität mit dem Iran.

In Baku wurde über die Aufteilung von Einflusszonen in Syrien verhandelt. Israelische Medien zogen den Vergleich zum Sykes-Picot-Abkommen von 1916, mit dem britische und französische Diplomaten im Ersten Weltkrieg ihre kolonialen Interessengebiete im Nahen Osten abgrenzten. Aus der willkürlich gezogenen »Linie im Sand« folgten bis heute blutige Konflikte.

Entsprechend droht die türkisch-israelische Verständigung die Fragmentierung und Instabilität Syriens zu verstetigen. Sie legitimiert weiter ausländische Interventionen und bereitet längerfristig neuen Kriegen an der Levante den Boden. So agieren Ankara und Tel Aviv bei der von Washington vorangetriebenen Neuordnung des Mittleren Ostens als die rechte und die linke Hand des Teufels.

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