Bücherkrieg um Mumia Abu-Jamal
Von Jürgen Heiser
Im Staatsgefängnis SCI Mahanoy im US-Bundesstaat Pennsylvania sei »ein Krieg gegen Bücher ausgebrochen«. Das meldete das kalifornische Prison Radio Ende März. Wer wie der politische Gefangene Mumia Abu-Jamal zu lebenslanger Haft ohne Aussicht auf Bewährung verurteilt sei, so Prison Radio, habe immer mit der Beschränkung grundlegender Bedürfnisse wie »frische Luft, gesunde Mahlzeiten und Nahrung für den Geist, sprich Bücher«, zu kämpfen. Als der Bürgerrechtler anfangs fast 30 Jahre im Todestrakt saß, durfte er nur zehn Bücher in seiner Zelle haben. Das wurde besser, als er 2011 in den Normalvollzug verlegt wurde.
Kürzlich ist nun im Knast Mahanoy eine neue Richtlinie in Kraft getreten. Zur »Begrenzung des Zelleninhalts« schreibt sie »Insassen im Normalvollzug« einen Stauraum für die persönliche Habe vor, der nur noch »vier Archivboxen oder einen Spind plus zwei Archivboxen« umfassen dürfe. Abu-Jamal ist aber ein in der Haft per Fernstudium ausgebildeter Wissenschaftler, der an der University of Santa Cruz mit seiner Promotion über Franz Fanon kurz vor dem Abschluss steht. Die neue Verordnung zwingt ihn zuzusehen, wie der Großteil seines Quellenmaterials aus der Zelle entfernt wird. Vor dem Studio von Prison Radio in Philadelphia standen am 22. März plötzlich »neun Kisten mit Mumias Bibliothek, jede 14 Kilogramm schwer«, vor der Tür. Ein halbes Dutzend weitere seien auf dem Weg.
Prison Radio, das sich seit 1992 für Abu-Jamal einsetzt, musste handeln. »Wir richten nun in unserem Büro eine Bibliothek ein und werden Mumia eine Liste aller seiner Forschungsmaterialien und Bücher zukommen lassen«, erklärte Radiomacherin Noelle Hanrahan gegenüber jW. Je nach Bedarf werde ihr Team ihm dann die Materialien zusenden, die er brauche. Dutzende von Praktikanten und Freiwilligen seien derzeit damit beschäftigt, Bücher und Artikel zu katalogisieren.
Der seit 43 Jahren unschuldig inhaftierte Bürgerrechtler kann die Richtlinie nur als erneute Schikane empfinden. Erst kürzlich war ihm auf der Ebene der juristischen Auseinandersetzung mit der US-Justiz ein weiterer Schlag versetzt worden, als der Oberste Gerichtshof Pennsylvanias seine dem Grunde nach berechtigte Berufung und damit neue Unschuldsbeweise nicht zuließ. Die Beschränkung seiner Forschungsmaterialien bedeutet nun, dass ihm ein weiteres Mal die Ausübung seines Berufes erschwert wird. Ursprünglich wegen seines kritischen investigativen Journalismus über Rassismus und Polizeigewalt 1981 zum Staatsfeind erklärt und eingesperrt, werden ihm nun bei der Erforschung der historischen Bedeutung des Revolutionärs Fanon offenbar aus ähnlichen Beweggründen Steine in den Weg gelegt.
Dabei genießt er wegen seiner Expertise schon länger im wissenschaftlichen Diskurs einen guten Ruf. Als 2020 in den »Studien zu kritischen Sozialwissenschaften« der Band »Frantz Fanon and Emancipatory Theory: A View from the Wretched« (Frantz Fanon und die emanzipatorische Theorie: Die Sicht der Verdammten) erschien, hatten die Herausgeber Dustin J. Byrd und Seyed Javad Miri ihren Historikerkollegen Abu-Jamal um das erste Kapitel zum Thema »Frantz Fanon und sein Einfluss auf die Black Panther Party und die schwarze Revolution« gebeten. Der Band mit Aufsätzen verschiedener Wissenschaftler setzt sich mit dem bleibenden Einfluss des Psychiaters und Sozialtheoretikers Frantz Fanon auseinander. »Fanons Werk gab nicht nur den ›Verdammten‹ im algerischen Unabhängigkeitskrieg (1954–1962) eine Stimme«, so die Herausgeber, »sondern prägte auch den radikalen Widerstand gegen Kolonialismus, Imperium und Rassismus in weiten Teilen der Welt.«
In seiner jW-Kolumne vom 4. Oktober 2022 schrieb Abu-Jamal über Fanon: »Sein Herz war mit denen, die er ›Die Verdammten dieser Erde‹ nannte – mit allen Besitzlosen dieser Welt.« Sein gleichnamiges Buch gelte bis heute »von Accra in Ghana bis nach Oakland in Kalifornien als das ›Handbuch der schwarzen Revolution‹«. Wegen seiner Verdienste um das Vermächtnis von Fanon hatte die Pariser Fanon-Stiftung Abu-Jamal bereits 2012 in »Anerkennung als antikoloniale Persönlichkeit des Jahres« mit dem »Frantz-Fanon-Preis« ausgezeichnet.
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