Zurück bleiben die Kränze
Von Nico Popp, Seelow
Das sind, sagt ein älterer Herr zwischen den Gräbern, ja sogar mehr Leute als 2015, als am 70. Jahrestag zu Füßen des bereits im November 1945 eingeweihten Monuments mit dem hinab ins Oderbruch blickenden bronzenen Rotarmisten an die Schlacht um die Seelower Höhen erinnert wurde. Eine Frau meint, dass das auf jene im Vorfeld des 80. Jahrestages bis auf die kommunale Ebene durchgestellte »Handreichung« des Auswärtigen Amtes für Gedenkveranstaltungen zum Kriegsende, in der unverhohlen Ausschluss und Hinauswurf von Vertretern aus Russland und Belarus empfohlen werden, zurückzuführen ist. Den offenkundig auf die Herbeiführung von Zwischenfällen abzielenden Ukas hatte zuletzt sogar der Vize-Landrat des Kreises Märkisch-Oderland, Friedemann Hanke (CDU), als »Quatsch« bezeichnet.
Der Landkreis und die Stadt Seelow haben die Veranstaltung, ein »stilles Gedenken«, ausgerichtet. Sie hatten Vertreter aus Russland und Belarus nicht eingeladen, aber auch deutlich gemacht, dass sie einem Besuch keine Steine in den Weg legen werden. Am Mittwoch sind etwa 300 überwiegend ältere Menschen da, als der russische Botschafter Sergej Netschajew um kurz vor 11 Uhr mit einer kleinen Delegation die Treppenstufen zum Monument emporsteigt und einen Kranz niederlegt. Auch Andrej Schupljak, der belarussische Gesandte, ist vor Ort.
Viele Kamerateams und Fotografen sind da, können aber keine spektakulären Szenen festhalten. Auffallend ist ein Mann mit AfD-Kappe, der sich bei Interviews zielstrebig ins Kamerabild drängt. Ansonsten läuft alles ruhig und ohne Zwischenfälle ab. Als Netschajew, begleitet von Hanke und vom Seelower Bürgermeister Robert Nitz, die Stufen wieder herabsteigt, löst sich nach und nach die anfänglich durchaus spürbare Anspannung. Der Botschafter wird auf Schritt und Tritt angesprochen und wirkt schließlich sogar etwas überrascht von den vielen Menschen, die ihm die Hand schütteln wollen. Ab und an wird geklatscht, wenn er vorbeikommt. Etwas abseits singt eine kleine Chorgruppe Lieder aus der Arbeiterbewegung und den Kriegsjahren. Die Polizei hält sich betont zurück; fünf oder sechs uniformierte Beamte sind auf dem Gelände der Gedenkstätte und in deren Umfeld zu sehen – kein Vergleich zu den Polizeiaufmärschen, die seit 2022 in Berlin veranstaltet werden, um am Tag des Sieges das Zeigen von »sowjetischen Symbolen« zu unterbinden. An derlei denkt an diesem Tag in Seelow kein Mensch.
Es gibt sogar zwei kleine »offizielle« Termine, an denen der Botschafter teilnimmt. Drei Tafeln mit den Namen von Rotarmisten, die bei den schweren Kämpfen im April 1945 getötet, aber bis heute nicht geborgen wurden, werden eingeweiht. Und am Ende hilft Netschajew dabei, das Tuch von einer neu am Museum der Gedenkstätte angebrachten Plakette der »Liberation Route Europe« zu ziehen. Dann fährt er wieder ab.
Zurück bleiben die Kränze auf der kleinen Anhöhe. Jeweils einer von der russischen, der belarussischen und der kirgisischen Botschaft. Die BSW-Landtagsfraktion hat auch einen Kranz abgelegt. »Ewiger Dank für die Befreiung« steht auf der Schleife. Jeweils einen Kranz haben die Kreisebenen von Linkspartei, SPD und CDU beigesteuert. Einen anderen der Traditionsverband der Fallschirmjäger der NVA. Auch der Verband zur Pflege der Traditionen der NVA und der Grenztruppen der DDR ist vertreten. Etwas am Rande liegt ein Kranz der AfD-Landtagsfraktion, die im März einen Entschließungsantrag in den Landtag eingebracht hat, in dem die Befreiung vom Faschismus zum Auftakt für »ein halbes Jahrhundert der kommunistischen Diktatur« erklärt wird. Auf der Kranzschleife steht »Den Toten zum Gedenken«.
Überhaupt nicht gefallen hat die ganze Veranstaltung dem ukrainischen Botschafter Oleksij Makejew. Er erklärte im Sender Welt, dass es »unangebracht« sei, dass »ein Vertreter eines Verbrecherregimes, das mein Land jeden Tag mit Raketen, Bomben und Drohnen angreift«, in Seelow zugelassen werde. Damit entschuldigten »wir« die »Kriegsverbrechen, die seit 2014 von den Russen begangen werden«. Die Teilnahme des russischen Botschafters sei »ein Zeichen dafür, wie die Russen diesen Zweiten Weltkrieg für sich selber instrumentalisieren«, sagte Makejew weiter. Weder er noch andere Vertreter der ukrainischen Botschaft traten bei der Gedenkveranstaltung in Erscheinung.
Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sprang Makejew am Mittwoch laut AFP bei. Für die Bundesregierung sei es »ganz klar«, dass das Andenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges und an die Rolle der Sowjetunion »in Ehren gehalten werden« müssten. Zugleich sei jedoch wichtig, »dass dieses Gedenken nicht instrumentalisiert wird«. Was genau am Auftritt Netschajews als »Instrumentalisierung« bewertet werden könnte, erläuterten weder er noch Makejew.
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Ukrainer kämpften auch auf seiten der Deutschen Wehrmacht, »in der 14. Waffen-Grenadier-Division der SS (galizische SS-Division Nr. 1), sie war eine Division der Waffen-SS, (die auch an den Massenmorden an den Juden in Babi Jar beteiligt war) (…) Die Mannschaften wurden vorwiegend vom Melnyk-Flügel der Organisation Ukrainischer Nationalisten gestellt.« (Wikipedia)
Unser Auswärtiges Amt hat die inzwischen bekannt gewordene Empfehlung gegeben, russische und belorussische Vertreter für das Gedenken an die Toten dieses sinnlosen Schlachtens eines bereits verlorenen Krieges nicht zuzulassen. Wie geschichtsvergessen ist denn das? Weiß das Auswärtige Amt Deutschlands, dass mit einer solchen Empfehlung die Toten entehrt werden? Indem man ihnen die Ehre des Gedenkens verweigert, macht man ihren sinnlosen Tod noch sinnloser. Außer toten sowjetischen Russen liegen hier auch tote sowjetische Ukrainer, Kasachen, Georgier und andere Soldaten des Vielvölkerstaats Sowjetunion unbegraben. Und viele deutsche junge Männer. Und möglicherweise auch Ukrainische Nationalisten ihrer galizischen Waffen-SS -Division.
In meiner Regionalzeitung wird Russland bereits als Feind bezeichnet. Vielleicht müssen wir dann auch alle Denkmäler und Friedhöfe schleifen, so wie die regierenden Nationalisten in der Ukraine es bereits geschafft haben, alles Russische ungesehen zu machen? Bereitet man uns bereits wieder auf einen großen Krieg vor gegen ein großes Land?
Brauchte man die Reste der Wehrmacht noch für die »Operation unthinkable« (von Churchill vorgeschlagener Krieg von GB, USA und den Resten der Wehrmacht gegen die UdSSR ab 1. Juli 1945)? Auf jeden Fall sollte den Truppen der UdSSR auf den letzten Metern noch so viel Blut wie möglich abgezapft werden. Oleksij Makejew erklärte dass es »unangebracht« sei, dass »ein Vertreter eines Verbrecherregimes, das mein Land jeden Tag mit Raketen, Bomben und Drohnen angreift«, in Seelow zugelassen werde. Damit entschuldigten »wir« die »Kriegsverbrechen, die seit 2014 von den Russen begangen werden«. Es kann froh sein, dass er in Staaten, wo man beide Augen vor den Tatsachen verschließt, solche Reden schwingen darf. Die Ukraine war es, die den Krieg 2014 im Donbass eröffnete. Die überwiegende Anzahl der 14.000 Toten vor 2022 waren von der Ukraine getötete Zivilisten. Jeder getötete Zivilist, auch durch russischen Beschuss, ist einer zuviel. Doch Russland betrachtet die Territorien, in denen die Kämpfe jetzt statt finden, als seine Territorien, und die dort lebenden Menschen als seine Bürger. Die Ukraine dagegen sieht die dort lebende russische Bevölkerung als »fünfte Kolonne«, als Abtrünnige, die sich seit Ende der UdSSR nie mit der Zugehörigkeit zur Ukraine abfinden können, die seit 1990 in zahlreichen Abstimmungen für Russland votierten. Dieser Bevölkerungsanteil ist für Kiew verzichtbar. Man betrachtet es offen als positiv, sie zu töten oder nach Russland zu verjagen. Russland dagegen wird diese Gebiete niemals zurückgeben. Das ohnehin sehr dünn besiedelte Russland braucht in den jetzt umkämpften Gebieten nach dem Krieg jeden Ortsansässigen, jede helfende Hand für den Wiederaufbau. Dort hinziehen werden wenige Menschen wollen. Wer aber dort geboren wurde, kehrt auch in sein zerstörtes Dorf zurück. Deshalb ist es doch vollkommen klar, auf welcher Seite höchstwahrscheinlioch die meisten Kriegsverbrechen gegen Zivilisten in der Ostukraine verübt werden.
Da Sie, Herr Katz , Ihren Beitrag auf englisch eröffneten, möchte ich den meinigen ebenso beschließen mit einem Ausspruch von Präsident Trumaen: »If we see that Germany is winning we ought to help Russia and if Russia is winning we ought to help Germany, and that way let them kill as many as possible«. Und das wurde in Seelow in überzeugender Weise erreicht - durch unterlassene Hilfeleistung.