USA umwerben Lukaschenko
Von Reinhard Lauterbach
Laut einem Bericht der New York Times vom Sonnabend hat sich ein stellvertretender Außenminister der USA vergangene Woche zu diskreten Gesprächen in Belarus aufgehalten. Wie die Zeitung unter Berufung auf westliche Diplomaten in Litauen berichtet, war Vizeaußenminister Christopher W. Smith am Mittwoch offenbar von dort aus mit dem Auto nach Belarus gereist und hatte sich – vermutlich – in einer Residenz des belarussischen Geheimdienstes nahe der Grenze mit Präsident Alexander Lukaschenko getroffen. Für dessen Anwesenheit spricht der Umstand, dass Smith sich anschließend positiv über Lukaschenkos Geistes- und Gesundheitszustand äußerte. Dieser übergab Smith offenbar drei in Belarus festgehaltene Gefangene, darunter einen US-Bürger.
Das diskret anberaumte Treffen blieb nicht lange geheim. Schon am nächsten Tag unterrichtete Smith westliche Diplomaten in Vilnius über die US-Verhandlungsinitiative. Aus deren Kreisen bezog dann die New York Times ihre Informationen. Demnach soll Smith Lukaschenko eine Lockerung oder Aufhebung der bestehenden Sanktionen gegen belarussische Banken und vor allem den Kaliexport des Landes in Aussicht gestellt haben, falls dieser nicht mehr so hart gegen Oppositionelle im Land vorgehe. Der US-Diplomat soll gesagt haben, der belarussische Präsident habe Interesse an diesem Schwenk geäußert. Die Reise war offenbar auch unter polnischer Mitwisserschaft eingefädelt worden. Jedenfalls brüstete sich ein ehemaliger polnischer Geheimdienstchef im dortigen Fernsehen, über die Vorbereitungen informiert gewesen zu sein.
In der belarussischen Emigrantenszene traf der Vorstoß der US-Diplomatie auf ein gespaltenes Echo. Die Schwester der inhaftierten Marija Kolesnikowa – vor ihrer Festnahme 2020 Soloflötistin in Stuttgart – begrüßte die Aussicht darauf, dass Kolesnikowa und andere Gefangene demnächst freikommen könnten. Franak Wjatschorka dagegen, Aktivist der rechtsnationalistischen »Belarussischen Volksfront« und enger Mitarbeiter von »Exilpräsidentin« Swetlana Tichanowskaja, warnte davor, die Sanktionen gegen Lukaschenko zu schnell aufzuheben. Die belarussische Opposition gibt die Anzahl der aus politischen Gründen inhaftierten Aktivisten derzeit mit etwas über 1.200 an.
Aus dem strategischen Ziel ihrer Avancen an die Adresse Lukaschenkos machen die USA kein großes Geheimnis: Es geht ihnen darum, Sanktionen zu beenden, die sich für sie selbst und den Westen generell als politisch kontraproduktiv erwiesen haben. Nachdem der Westen die Präsidentschaftswahl vom August 2020 nicht anerkannt und die Sanktionen gegen Minsk verschärft hatte, hat sich die Abhängigkeit Lukaschenkos und des belarussischen Staates von Russland eher noch vertieft. Ihm jetzt über die Lockerung der Sanktionen wieder zu eigenen Exporteinnahmen zu verhelfen, wird in Washington als Chance zur Rückkehr einer Schaukelpolitik gesehen. Mit dieser hat der belarussische Präsident seit der offiziellen Gründung des russisch-belarussischen Unionsstaates 1999 über 20 Jahre lang jede wirkliche Integration vermieden. Nach 2020 hatte er keine realistische Alternative mehr, als dem russischen Druck nachzugeben. Das in Washington residierende Institute for the Study of War hat im Januar eine längere Studie veröffentlicht, die vor der seitdem enger gewordenen, insbesondere militärischen Integration beider Länder warnte. Sie stelle eine »stille Annexion« von Belarus durch Russland und damit eine strategische Bedrohung der NATO dar. In diesem Sinn ist die Winterexkursion von Christopher W. Smith eine erste Antwort auf das von den Sanktionierern selbstgemachte Dilemma.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (18. Februar 2025 um 13:57 Uhr)Die USA und ihr gescheitertes geopolitisches Spielchen: Die Strategie, Schwachstellen des Gegners zu erkennen und auszunutzen, ist eine bewährte Taktik in der internationalen Politik. Solange die USA die unangefochtene Weltmacht in wirtschaftlicher, militärischer und politischer Hinsicht waren, konnten sie sich viele solcher Manöver erlauben. Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Globalisierung und die digitale Informationsrevolution haben die geopolitische Landschaft grundlegend transformiert. Die einst raffinierten, aber oft durchschaubaren Einflussstrategien des »Wertewestens«, insbesondere der USA, verlieren zunehmend ihre Wirkung. Staaten, die dem Westen kritisch gegenüberstehen, haben diese Taktiken längst erkannt und entsprechende Gegenstrategien entwickelt. Der sogenannte USAID-Skandal, den Donald Trump öffentlich gemacht hat, offenbarte eindrucksvoll, mit welchen finanziellen Mitteln und politischen Instrumenten die USA gezielt Unruhen in anderen Ländern schürten. Doch heute sind die USA nicht mehr in der Lage, allein durch finanzielle und diplomatische Einflussnahme ihre Ziele zu erreichen. Die Welt hat sich weiterentwickelt – Washington hingegen greift immer wieder auf das gleiche alte Repertoire zurück. Während der Nahost-Konflikt eskaliert und der Krieg in der Ukraine ungelöst bleibt, beginnt die US-Regierung bereits mit neuen geopolitischen Manövern – diesmal in Belarus. Dieses Verhalten zeugt nicht von strategischer Weitsicht, sondern vielmehr von Verzweiflung. Die USA haben den Überblick über die neuen Realitäten verloren. Anstatt ihre Politik den veränderten globalen Machtverhältnissen anzupassen, klammern sie sich an überholte Konzepte. Wenn Washington nicht bald eine tiefgreifende Neubewertung seiner Außenpolitik vornimmt, droht der Supermacht ein schleichender, aber dramatischer Bedeutungsverlust auf der Weltbühne.
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