Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 14.04.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Handelskrieg

Keiner wird gewinnen

US-Zollattacken mischen global Wirtschaft auf. EU und ASEAN knicken ein. China hält weiter dagegen
Von Klaus Fischer
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Staatenlenker sind im Welthandel den Interessen der Kapitallobbyisten verpflichtet: Hafen in Oakland, Kalifornien

Donald Trump fühlte sich bestätigt. Der Versuch des US-Präsidenten, seinen defizitären Staatshaushalt mit Hilfe kräftiger Einfuhrzölle vor dem nächsten Kollaps zu bewahren, zeigte in der zurückliegenden Woche erste Erfolge. So verzichteten sowohl die EU als auch das südostasiatische Staatenbündnis ASEAN auf Gegenzölle. Weitere Staaten wie Britannien, Brasilien oder Indien hielten sich bedeckt, und viele hoffen auf einen Deal. Sie »küssen meinen Arsch«, merkte Trump an.

Allerdings ist Welthandel keine alleinige Angelegenheit von Staaten. Deren Anführer sind – neben ihrem eigenen Hintern – meist den Interessen mächtiger Kapitallobbyisten oder anderer einflussreicher »Stakeholder« verpflichtet. Und weil das so ist – und die Wirtschaft den Gesetzen des kapitalistischen Verwertungsprozesses unterliegt –, sind die Auswirkungen drastischer Eingriffe in die internationalen Austauschbeziehungen schwer abzusehen oder gar kontrollierbar. Mit einer Ausnahme: Es wird chaotisch zugehen.

Chaos ist dem Kapitalverwertungsprozess inhärent. Hunderte Millionen Akteure agieren und reagieren (meist) unabhängig voneinander und versuchen, sich den wechselnden Bedingungen anzupassen. Keiner wartet auf Ratschläge oder Vorgaben. Daraus entwickeln sich finanzielle und materielle Bewegungen, die – wenn sie einen Trend stützen – zuvor nicht ersichtliche Wirkungen auf das ökonomische Geschehen haben.

Eine solche Trendsetzung ist zuerst an den Kapitalmärkten sichtbar. Anleger verkaufen oder kaufen nach Mutmaßungen, wie sie ihre Investitionen profitabel halten können. Die erratisch anmutenden Auf-und-ab-Bewegungen bei Dow Jones, Nikkei oder Dax vergangene Woche unterstreichen das. Zwei Haupttrends – die eher auf Erfahrungen der Akteure beruhen – zeigten sich zunächst. Die Flucht aus Aktion (Kurse fallen) war oft mit Flucht in den Anleihemarkt verbunden, wo Staaten und Unternehmen ihre Schulden zur Vermarktung freigegeben haben. Und die weitere Steigerung des ohnehin auf Allzeithoch schwebenden Goldpreises macht deutlich: Die Unsicherheit derer, die Vermögen besitzen, ist längst offensichtlich.

Das hatten Trumps Berater offenbar einkalkuliert, als sie ihre Zollbazooka abfeuerten. Auch die Einschüchterungstaktik gegenüber dem »scheuen Reh« Kapital zeigt weiter Wirkung. So kündigte am Freitag der Schweizer Pharmariese Novartis Milliardeninvestitionen in den USA an. Es werden dort also – wie ersehnt – Arbeitsplätze geschaffen. Novartis kann dann Profite dort generieren, wo sie steuerlich günstiger sein dürften (Zölle eingerechnet) als in der Schweiz, der EU oder anderswo. Doch für die USA läuft nicht alles rund.

Der erste Schock kam, als die als Gesetzmäßigkeit missverstandene Flucht der Anleger in den US-Anleihemarkt nicht erfolgte. Im Gegenteil, Staats- und Firmenschuldpapiere wurden im großen Stil abgestoßen. Das Team Trump reagierte pragmatisch: Man setzte alle Zollerhöhungen bis auf wenige Ausnahmen zunächst aus. Das löste große Freude in der EU und konsequentes Handeln in China aus. Denn eine der Ausnahmen waren die Zölle auf chinesische Waren – die sich nach Berechnung von US-Experten auf (wahnsinnige) 145 Prozent belaufen. In Beijing hatte keiner die Absicht, Trump am Allerwertesten zu küssen. Statt dessen verkündete die Regierung der Volksrepublik weitere Gegenzölle auf US-Waren. Auf nun 125 Prozent.

Fazit: Die Topwirtschaftsmächte der Welt üben, wer länger die Luft anhalten kann. Das ist ein riskantes Spiel. Beide haben viel zu verlieren. Denn Fakt ist, wenn dieses Luftanhalten länger dauert, könnte der Warenaustausch zwischen den Riesen auf nahezu Null reduziert werden. Dann müssten in der Konsumweltmacht USA beispielsweise die meisten Bau- und auch viele Textilmärkte schließen. Es gäbe dort kaum noch etwas zu verkaufen. Die wenigen gehandelten Waren würden für Hersteller unprofitabel – und für Verbraucher zu teuer sein. Andere Wirtschaftszweige wären ebenfalls betroffen. Rezession plus Inflation wären kaum zu vermeiden.

Auch für China ist das Ganze problematisch. Die gigantischen Kapazitäten (Fabriken, Logistik, Finanzierung), die allein für den US-Markt vorgehalten werden, würden ebenso überflüssig wie Millionen Jobs. Ein Umlenken dieser Waren in die EU oder andere Staaten wäre kaum möglich und würde dort zudem Abwehrreflexe auslösen. Bald fänden sich beide Kontrahenten in einer ökonomischen Abwärtsspirale wieder, die den Rest der Welt mitreißt. »Make America Great Again« wäre so nicht erreichbar. Und die Rolle Chinas als stabile globale Industriemacht in Gefahr.

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