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Aus: Ausgabe vom 23.04.2025, Seite 7 / Ausland
Kolumbien

Unbeachtetes Abkommen

Kolumbien: Regierung und ELN-Abtrünnige schließen Friedensvertrag
Von Felipe Orduz, Bogotá
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Petro (im Hintergrund), der Präsident Kolumbiens, steht unter Druck, Erfolge in der Friedenspolitik zu erzielen (Pasto, 5.4.2025)

In Kolumbien richtet sich derzeit alle Aufmerksamkeit auf den Krieg zwischen der Armee und der ELN-Guerilla. In den vergangenen Wochen war es besonders in der nordöstlichen Region Catatumbo erneut zu Gefechten gekommen. Dabei ist ein bedeutendes Ereignis von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt geblieben: Die vom Zentralkommando (Coce) der ELN-Guerilla abtrünnige »Frente Comuneros del Sur« hat ein Friedensabkommen mit der Regierung Gustavo Petros unterzeichnet. In der Übereinkunft von Ende März wurde unter anderem ein »Verfahren zur Vernichtung von Kriegsmaterial« der Guerilleros vereinbart. Die verabredete Niederlegung der Waffen startete schon am 8. Februar und soll am 27. Juni enden. In einer zweiten Phase soll dem Abkommen entsprechend der Übergang der Mitglieder in die Legalität vonstatten gehen. Die Einigung kommt ein Jahr nach der Abspaltung der Gruppierung von der ELN.

Wenn ein Ereignis dieser Größenordnung so wenig Beachtung gefunden hat, offenbart das zwei charakteristische Aspekte des bewaffneten Konflikts in Kolumbien. Erstens die Spannungen unter den Aufständischen selbst, in diesem Fall innerhalb der ELN, der 1964 gegründeten und damit ältesten Guerilla auf dem amerikanischen Kontinent. Die Abspaltung der Frente Comuneros del Sur hatte das Coce dazu veranlasst, die Verhandlungen mit der ersten linken Regierung in der Geschichte Kolumbiens auf Eis zu legen. Die Abtrünnigen werfen dem Zentralkommando vor, sich von der Basis der ELN entkoppelt zu haben und die Verwicklung von Teilen der Guerilla in den Drogenhandel sowie Gewalt gegen Bauern zu tolerieren.

In einem Interview mit dem wichtigsten Sender des Landes, Caracol, kündigten zwei ELN-Kommandeure am 30. März in Anspielung auf Petros Politik des »totalen Friedens« an, dass sie während der verbleibenden Amtszeit des Präsidenten rigoros Krieg führen werden: »Der totale Frieden ist ein totaler Misserfolg, und der totale Frieden wurde zu einem totalen Krieg«. Dies steht im Einklang mit der Position des Zentralkommandos, das wiederholt angekündigt hat, keinen Frieden mit der derzeitigen Regierung zu schließen. Mit der Einkesselung von 23.000 Menschen, der Zwangsumsiedlung von 56.000 Bauern in Catatumbo sowie der Ausrufung eines »bewaffneten Streiks« hat es dem bereits mehrfach Ausdruck verliehen. Während die Gründer der ELN hochbetagt oder schon verstorben sind, hat eine junge Generation das Ruder übernommen. Damit sind die politischen Ziele gegenüber den ökonomischen in den Hintergrund gerückt. Da Petros Regierung mit der Ölindustrie und dem Bergbau brechen will, bedroht das eine wichtige Einnahmequelle der ELN, die diese Wirtschaftszweige in den von ihr kontrollierten Gebieten mit Steuern belegt – ein Grund für die Uneinigkeit zwischen Regierung und Guerilla.

Der zweite Aspekt hat mit der Macht zu tun, die die herrschenden Medien ausüben, um das öffentliche Bewusstsein rund um den bewaffneten Konflikt zu kontrollieren. Außerdem fehlt der Regierung eine passende Kommunikationsstrategie, die die breite Masse der Bevölkerung für ein Ende des Kriegs begeistern könnte. Die 15 Minuten zur besten Sendezeit, die Caracol den ELN-Kommandanten gewährte, um den Friedensprozess zu kritisieren, stehen im Gegensatz zu einer Stellungnahme auf X, die die Sprecher der Dialoggruppe veröffentlicht hatten. In dieser werden die zweieinhalb Jahre Verhandlungen, die den größten Fortschritt in Richtung Frieden mit der ELN während ihres 60jährigen Bestehens gebracht haben und von denen die Bevölkerung größtenteils nichts weiß, anerkannt. Der Kommunikationskrieg wird weiterhin von der konservativen Elite gewonnen, die von den urbanen Zentren des Landes aus, weit weg vom Lärm der Gewehre in der Peripherie, das Land jeden Tag davon überzeugt, den Konflikt fortzusetzen.

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