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Aus: Ausgabe vom 05.02.2025, Seite 3 / Ausland
Kolumbien

Krieg im Catatumbo

Kolumbien: Kämpfe bewaffneter Gruppen in Grenzregion führen zu humanitärer Katastrophe
Von Frederic Schnatterer
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Ein Soldat patrouilliert am Montag nach Auseinandersetzungen mit der linken ELN-Guerilla auf einer Straße in Tibú

War das der Todesstoß für die Friedensbemühungen der kolumbianischen Regierung? Weniger als ein Jahr ist es her, dass Präsident Gustavo Petro ankündigte, im Jahr 2025 würden die Waffen der ältesten Guerilla des südamerikanischen Kontinents, der Nationalen Befreiungsarmee (ELN), schweigen. Heute sehen selbst die größten Optimisten dieses Ziel in weite Ferne gerückt. Der Grund ist die Eskalation der Lage in der nordostkolumbianischen Region Catatumbo im Departamento de Norte de Santander vor fast drei Wochen, direkt an der Grenze zu Venezuela.

Am 16. Januar startete die im Catatumbo aktive Kriegsfront der ELN eine Offensive gegen Kämpfer des Frente 33, einer Splittergruppe der ehemaligen FARC-Guerilla. Seitdem ebben die Gefechte zwischen den beiden Organisationen nicht ab. Offiziell fielen den Kämpfen bereits bis zu 80 Personen zum Opfer. Hinzu kommen mehr als 50.000 Vertriebene – laut Vereinten Nationen so viele wie seit fast 30 Jahren nicht mehr in Kolumbien. Andere flohen über die Grenze ins Nachbarland Venezuela, wieder andere trauen sich seit Tagen nicht aus ihren Häusern.

Nur einen Tag nach Aufflammen der Kämpfe, am 17. Januar, brach Petro die Friedensverhandlungen mit der ELN ab. Zudem reaktivierte er die Haftbefehle gegen 31 Anführer der Guerilla, die infolge der Gespräche ausgesetzt gewesen waren. Eine Woche später verhängte er den Ausnahmezustand über die Region, der für eine Dauer von 90 Tagen gelten soll. Verteidigungsminister Iván Velásquez entsandte mehr als 9.000 Soldaten in den Catatumbo, wo diese insbesondere gegen Einheiten der ELN vorgehen.

Doch was war der Auslöser für das Aufflammen der Kämpfe? Dazu weichen die Versionen erheblich voneinander ab. Die meisten Medien – sowohl in Kolumbien selbst als auch im Ausland – waren sich rasch einig, dass die Eskalation von der ELN ausgegangen sei. Deren Kämpfer hätten die des konkurrierenden Frente 33 mit dem Ziel attackiert, die Kontrolle über die strategisch gelegene und rohstoffreiche Region zurückzugewinnen. Hintergrund seien insbesondere der Kokaanbau – nirgendwo sonst auf der Welt werden so große Flächen dafür genutzt – sowie die unmittelbare Nachbarschaft zu Venezuela, ebenso wie illegaler Bergbau und Menschenhandel. Besonders rechte Kommentatoren gaben der Regierung in Caracas eine Mitverantwortung für die Eskalation der Lage oder sahen in ihr gar die Strippenzieherin.

In einer Erklärung, die am 31. Januar veröffentlicht wurde, liefert die ELN unter der Überschrift »Diesen Krieg haben nicht wir begonnen« eine andere Lesart. Demnach habe sich der Frente 33 in letzter Zeit von einem »aufständischen« zu einem »destabilisierenden Akteur in der Region« entwickelt, »der sich immer weiter von einer revolutionären Perspektive entfernte« und statt dessen vor allem auf illegale Geschäfte ausgerichtet gewesen sei. Die Gruppe, die in einer eigenen Erklärung von »Verrat durch diejenigen, die wir als unsere Brüder betrachteten« spricht, ging aus der früheren FARC-Guerilla hervor, die sich 2016 im Rahmen eines Friedensvertrags mit der kolumbianischen Regierung auflöste. Manche der damaligen Guerilleros weigerten sich, ihre Waffen niederzulegen, andere gingen später infolge von Perspektivlosigkeit, gebrochenen Versprechen oder fehlendem Schutz durch die Regierung wieder in den Untergrund.

Anfang Februar bezichtigte ELN-Kommandant Antonio García den Frente 33, mit der kolumbianischen Regierung zusammenzuarbeiten. Präsident Petro warf er gegenüber CNN en Español vor, die Friedensverhandlungen mit der Guerilla bewusst torpediert zu haben. Allerdings waren die Gespräche, die Petro als erster linker Präsident Kolumbiens 2022 wieder aufgenommen hatte, bereits seit mehreren Monaten faktisch eingefroren, nachdem sich beide Seiten nicht auf eine Verlängerung des Waffenstillstands einigen konnten. Zuletzt hatte die ELN ihre Attacken gegen das Militär, aber auch gegen die Zivilbevölkerung, wieder intensiviert.

In der Region aktive soziale Organisationen werfen der Petro-Regierung vor, nicht früh genug aktiv geworden zu sein. So hätten sie bereits im September den Friedensbeauftragten Otty Patiño über die zunehmenden Spannungen im Catatumbo informiert und ihn dazu aufgefordert, mit den bewaffneten Akteuren in Verhandlungen zu treten. Auch die offizielle Ombudsstelle warnte am 15. November vor einer »unverhältnismäßigen Krise mit hohen humanitären Kosten«. Zu Beginn der Woche organisierten verschiedene Organisationen aus Kolumbien sowie die UNO und die katholische Kirche eine »humanitäre Karawane« in den Catatumbo. Dabei sollten auch die Folgen der staatlichen Militarisierung der Region thematisiert werden.

Hintergrund: »Totaler Frieden«

Als Gustavo Petro im August 2022 als erster linker Präsident in der Geschichte des Landes sein Amt antrat, waren die Hoffnungen in Kolumbien groß. Ein Grund dafür lag in seinem Versprechen, das südamerikanische Land nach Jahrzehnten des bewaffneten Konflikts zu befrieden. Denn trotz der Demobilisierung bewaffneter Akteure – zuletzt infolge des Friedensschlusses mit der Guerilla FARC-EP 2016 – existiert weiterhin eine Vielzahl aktiver bewaffneter Akteure im Untergrund.

Das Ziel des »totalen Friedens«, wie Petro den Ansatz nennt, wurde rasch in Gesetzesform gegossen, um so den juristischen Rahmen für Verhandlungen mit verschiedensten im Land aktiven bewaffneten Gruppierungen zu setzen. Fortan sollten Gespräche über eine Niederlegung der Waffen nicht mehr nur mit dezidiert politisch auftretenden Organisationen wie der linken ELN-Guerilla möglich sein. Auch solche, die eher der organisierten Kriminalität zugerechnet werden – beispielsweise aus paramilitärischen Verbänden hervorgegangene Gruppen wie der Clan del Golfo – sind nun legitime Gesprächspartnerinnen.

Zum zweiten Jahrestag des Amtsantritts von Petro veröffentlichte die NGO Pares Ende Juli 2024 einen Bericht zum Stand des »totalen Friedens«. Darin legte sie dar, dass die Gewalt während der Amtszeit Petros sogar zugenommen hatte. Insgesamt sei kein eindeutiger Plan der Regierung erkennbar, das Ziel eines vollumfassenden Friedens im Land zu erreichen. Insgesamt neun neue Verhandlungen mit unterschiedlichsten Akteuren habe die Regierung einrichten können, wobei die Ergebnisse bisher überschaubar seien. Dass nun ausgerechnet die Verhandlungen mit der ELN kurz vor dem endgültigen Scheitern stehen, bedeutet einen heftigen Rückschritt für die Bemühungen um einen »totalen Frieden«. (fres)

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