Atomkraftgegner vor Gericht
Von Luc Śkaille, Bure
Mit 20 Hausdurchsuchungen, Verhören, technischer Überwachung und jahrelangen Abhörmaßnahmen ging der französische Atomstaat in den Jahren 2017 und 2018 gegen die Antiatombewegung vor. Die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen zur Durchsetzung eines Endlagers für nuklearen Müll in Bure im Nordosten des Landes wurde mit den Jahren immer deutlicher. Diesen Donnerstag könnte die Episode nun mit abschließenden Freisprüchen vor dem Gerichtshof in Nancy enden.
Von eingangs zehn Beschuldigten, die von Justiz und Medien als »Übeltäterbande« diffamiert wurden, werden am 24. April gerade mal drei Personen zum Berufungsprozess erscheinen. Die spektakuläre Konstruktion einer »kriminellen Vereinigung« fiel über die Jahre und nach bisher drei Instanzen in sich zusammen. Auf 21.000 Seiten wollte der ermittelnde Staatsanwalt Kévin Le Fur belegen, dass die Personen mit der damaligen Besetzung des geplanten Endlagerstandortes die »innere Sicherheit Frankreichs aufs Spiel setzten«. Zwar gibt es seit Jahren anhaltende militante Auseinandersetzungen und Sabotageakte gegen die Atomindustrie in Lothringen, doch stichfeste Beweise für solch weitreichende Vorwürfe brachten die Ermittler nicht zutage.
»Mit Mitteln des Antiterrorismus gegen die Umweltbewegung vorzugehen zeigt die Angst des Staates vor politischer Aufklärung«, so Unterstützer Michel gegenüber jW. »Mittlerweile geht es nur noch um die ›illegale Teilnahme an einer unangemeldeten Demonstration‹. Das hat nichts mehr mit den ursprünglichen Vorwürfen zu tun.« Die Bewegung vermutet, dass hinter dem breit angelegten Angriff das Ziel steht, die Antiatombewegung einzuschüchtern und zu durchleuchten. Bis heute sind die Folgen der Repressionen spürbar – über Jahre hinweg wurden Beschuldigte mit Kontakt- und Betretungsverboten belegt. Eine Sonderkommission verpulverte über eine Million Euro, ohne jemals schwerwiegende Straftaten belegen zu können.
Frankreich will unter den Dörfern Bure, Mandres, Saudron, Bonnet und Ribeaucourt das weltgrößte Atommüllendlager bauen. Es soll über 80.000 Kubikmeter hochradioaktiven Müll zivilen und militärischen Ursprungs in 500 Meter tiefen Tonschichten vergraben und dauerhaft versiegeln. Seit Jahrzehnten gibt es Kritik an den Plänen, die angesichts bisheriger Erfahrungen der geologischen »Tiefenendlagerung« von Experten wie dem Atomingenieur Bernard Laponche als »technisch, sicherheitspolitisch und finanziell unverantwortbar« bezeichnet werden. Teile der Lokalbevölkerung bei Bure wehren sich gegen Enteignungen durch die Endlageragentur Andra. Am ehemaligen Bahnhof von Luméville »La Gare« entsteht ein Hüttendorf auf der vorgesehenen Castortrasse.
In den vergangenen Jahren wurden unter anderem wegen Angriffen auf ein Depot der Andra und die Zulieferfirma Poma weitere Verfahren eingeleitet. Die Proteste gehen auch diesen Sommer mit Camps und Demonstrationen weiter. Doch zunächst hofft die französische Umweltbewegung auf einen zumindest juristisch erfolgreichen Abschluss der achtjährigen »Übeltäter«-Prozedur. Dafür wird für diesen Donnerstag ab 8.30 Uhr vor dem Gerichtshof von Nancy mobilisiert. »Im Zweifelsfall werden wir bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen« so Angélique Huguin, eine der Beschuldigten. »Die unverhältnismäßige Repression zur Durchsetzung der Interessen des Atomstaats muss enden.«
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