Massaker an Touristen in Kaschmir
Von Thomas Berger
Die Kleinstadt Pahalgam an der Südflanke des Himalaja gehört zu den landschaftlich reizvollsten Gegenden Kaschmirs. Szenen für etliche Bollywood-Filme wurden dort schon gedreht. Die Bergwiesen, Lichtungen und Täler tragen den Spitznamen Mini-Schweiz und sind gerade bei Touristen beliebt. Am Dienstag machte eine Wandergruppe auf einer Bergwiese gerade ein Picknick, als Angreifer auf sie zu schießen begannen. Mindestens 26 Menschen kamen bei der schlimmsten Attacke seit 25 Jahren in der politisch aufgewühlten Teilregion Indiens ums Leben. Wegen mehrerer Schwerverletzter könne die Zahl der Todesopfer sogar noch steigen, hieß es am Mittwoch in der Tageszeitung The Hindu. Premier Narendra Modi brach seinen Staatsbesuch in Saudi-Arabien am Mittwoch vorzeitig ab, Innenminister Amit Shah traf sich mit Überlebenden und Angehörigen. UN-Generalsekretär António Guterres und viele Staatsführer weltweit verurteilten in Beileidsbekundungen den Anschlag. Auch ein israelischer sowie italienischer Staatsbürger sollen unter den Toten sein.
Die islamistische Gruppe The Resistance Front, ein Ableger der bekanntesten, von Pakistan aus operierenden kaschmirischen Miliz Lashkar-e-Taiba, reklamierte die Tat für sich. Sie drückte ihre Unzufriedenheit darüber aus, dass mehr als 85.000 »Fremde« in der Region angesiedelt wurden, was zu einem »demographischen Wandel« geführt habe, berichtete Reuters am Mittwoch. In einer weiteren Erklärung vom selben Tag hieß es demnach, dass es sich bei den angegriffenen Personen nicht um gewöhnliche Touristen gehandelt habe, sondern um Personen, die mit indischen Sicherheitsbehörden in Verbindung stünden. »Es handelte sich um eine Undercover-Gruppe, die mit Nachforschungen beauftragt war.« Der Angriff sollte »nicht nur für Delhi, sondern auch diejenigen, die dessen fragwürdige Strategien unterstützen, als Weckruf dienen«.
Wie tagesschau.de berichtete, gibt es unterschiedliche Zeugenaussagen. Einige gaben wohl an, Bewaffnete seien hinter Bäumen hervorgekommen und hätten willkürlich auf Menschen geschossen. Demgegenüber stünden Zeugenaussagen, denen zufolge die Angreifer gezielt fragten, ob ihre Opfer Hindus seien, und erst dann das Feuer eröffneten. Das bis 1947 eigenständige, mehrheitlich von Muslimen bewohnte Fürstentum Kaschmir ist seit Jahrzehnten Zankapfel zwischen den Atommächten Pakistan, das rund ein Drittel der Fläche kontrolliert, und Indien, das den größten Teil beansprucht. Nach der Aufspaltung Britisch-Indiens hatte sich der damalige hinduistische Herrscher unter dem Druck erster Angriffe von pakistanischer Seite Indien angeschlossen. Es folgten zwei Kriege. Die Region ist hoch militarisiert, seit 1989 hat Indien unzählige Militärs stationiert und geht gewaltsam gegen Aufständische vor. Im August 2019 entzog Modi Jammu und Kaschmir zudem die Autonomierechte, teilte das Gebiet und stellte es unter Zentralverwaltung.
Infolge des Angriffs kam das öffentliche Leben zum Erliegen. Behörden und Geschäfte in der Provinzhauptstadt Srinagar hatten am Mittwoch geschlossen, meldete die indische Nachrichtenagentur PTI. So ausgestorben seien die Straßen Srinagars und anderer Orte im Kaschmirtal seit 35 Jahren nicht mehr gewesen, heißt es übereinstimmend in diversen Medien. Einsatzkräfte der Armee, Polizei und paramilitärischer Einheiten durchkämmten weiträumig das Gebiet im Umkreis des Angriffsorts. Auch Spezialkräfte, Spürhunde und besondere technische Ausrüstung seien im Einsatz, um die Täter aufzuspüren. An Highways wurden Kontrollen hochgerüstet oder neu installiert und Checkpoints verstärkt.
Am Mittwoch drohte Indiens Verteidigungsminister mit einem drastischen Vorgehen gegen die Täter. »Wir werden nicht nur diejenigen erreichen, die diese Tat begangen haben, sondern auch diejenigen, die sich hinter den Kulissen verschworen haben, um solche ruchlosen Aktivitäten auf indischem Boden durchzuführen«, sagte Verteidigungsminister Rajnath Singh auf einer Konferenz in Neu-Delhi. Pakistan erwähnte er damit zwar nicht direkt, Beobachter fürchten nun jedoch eine erneute Eskalation zwischen den beiden Atommächten.
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