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Aus: Ausgabe vom 26.04.2025, Seite 5 / Inland
Gesundheitspolitik

Krankenkassen im Kostenstrudel

Höhere Beiträge für gesetzlich Versicherte. Problem: Versicherungsfremde Leistungen und Privatkassen
Von Oliver Rast
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Beitragsspirale der GKV dreht sich munter weiter: Für immer mehr Geringverdiener ist das ein akutes Abgabenproblem

Sie dreht sich unverdrossen, unaufhörlich: die Beitragsspirale für Versicherte. Der allgemeine Beitragssatz etwa der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) liegt aktuell bei 14,6 Prozent. Kostendeckend sei das laut Krankenkassen nicht. Deshalb gibt es einen sogenannten Zusatzbeitrag. Der war erst zum Jahreswechsel um 0,8 Prozentpunkte auf 2,5 Prozent gestiegen. Je nach Kasse summiert sich der Gesamtbeitrag auf bis zu 18,5 Prozent. Und ein Kostenende sei nicht in Sicht, berichtete die Frankfurter Rundschau (FR) am Freitag.

Andreas Storm befürchtet gar einen »Beitragstsunami«. Allein die »konjunkturbedingte Einnahmeschwäche« zwinge die Kassen, ihre Zusatzbeitragssätze 2026 um weitere 0,2 Prozentpunkte zu erhöhen, wurde der DAK-Chef gleichentags im Tagesspiegel zitiert. Wohlgemerkt »zusätzlich zu den Beitragserhöhungen, die bereits im laufenden Jahr wegen des starken Anstiegs der Leistungsausgaben erwartet werden«.

Was sagt das künftige »schwarz-rote« Kabinett? Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht, dass sie die »Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung auch langfristig stabilisieren« wollen. »Hierzu setzen wir auf ein Gesamtpaket aus strukturellen Anpassungen und kurzfristigen Maßnahmen.« Allgemeinplätze, mehr nicht. Unverständlich, zumal die koalitionären Verhandler Storm zufolge nach einem Kassensturz 2025 und 2026 mehr als 20 Milliarden Euro für die GKV und neun Milliarden Euro für die soziale Pflegeversicherung (SPV) bereitstellen wollten. »Als verfassungsrechtlich gebotener Ausgleich für versicherungsfremde Leistungen«, so Storm. Finanzmittel, die in der Endfassung des Vertragswerks aber gestrichen worden waren. Ersatzlos.

Hinzu kommt: Statt Antworten auf die akuten Finanzprobleme der GKV und der SPV zu geben, will die Neukoalition zunächst eines: Kommissionen gründen, bemerkte ein AOK-Sprecher am Freitag auf jW-Nachfrage. Gremien, die Arbeitsergebnisse erst in zwei Jahren liefern wollen. Zu spät. Tempo sei notwendig, so der Sprecher weiter, »vor allem bei der wirksamen Begrenzung der Ausgaben«.

Nur, um welche kostenträchtigen Fremdleistungen geht es beispielsweise? Etwa um die Mitfinanzierung der Beiträge für Bürgergeldempfänger. Jobcenter zahlen nur eine fixe Summe, die tatsächlichen Kosten seien aber nach Berechnungen des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) zirka dreimal höher. Für die Differenz kämen dann die Krankenkassen auf. Oder: Rückzahlungen in Höhe von mehr als fünf Milliarden Euro an die Pflegeversicherungen für Vorleistungen der Kassen während der Coronakrise stünden aus. Sunna Gieseke, Unternehmenssprecherin der Barmer, bestätigt das am Freitag gegenüber jW – und sagt: Würden diese Leistungen vollständig aus Steuermitteln finanziert bzw. an die Pflegekassen zurückgezahlt, »könnte die neue Bundesregierung ad hoc in einer Größenordnung von rund 15 Milliarden Euro einen sehr wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzlichen Kranken- und in der Pflegeversicherung leisten.«

Die Kritik reicht aber weiter. Steigende Ausgaben aufgrund des demographischen Wandels und des medizinischen Fortschritts würden »einseitig den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten aufgebürdet«, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Joachim Rock, am Freitag jW. Das anachronistische Zweiklassensystem aus GKV und privater Krankenversicherung (PKV) fördere soziale Ungleichheit, denn einkommensstarke Versicherte verabschiedeten sich aus der Solidarität in Privatkassen.

Bleibt das so, bleibt auch das: Krankenkassen bleiben in der Kostenfalle, Beitragszahler bleiben Draufzahler.

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