Vormarsch zur Mitte
Von Christoph Butterwegge
Einmal mehr stellt der jüngste Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes unter dem Titel »Verschärfung der Armut« fest, dass die davon Betroffenen und Bedrohten im vergangenen Jahr sowohl zahlreicher wie auch noch ärmer geworden sind. Längst erfasst die Armut nicht mehr nur gesellschaftliche »Randgruppen«, sondern auch Mittelschichtangehörige, die vor der Covid-19-Pandemie, der Energiepreisexplosion und der sich nur langsam beruhigenden Inflation kaum materielle Sorgen hatten.
Hauptbetroffene der vom Paritätischen statistisch belegten Armutsentwicklung sind die »A«-Gruppen: Arbeitslose, Ausländer, Alleinerziehende und Alte. Letztere weisen inzwischen eine höhere Armutsquote als die Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren auf, wobei die Gruppe der 18- bis 24jährigen, in der Auszubildende und Studierende dominieren, noch drastischer betroffen sind.
Offenbar schützt das deutsche Transferleistungssystem mit dem Bürgergeld, der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, der Sozialhilfe und den Asylbewerberleistungen die Anspruchsberechtigten immer weniger vor Einkommensarmut. Daher muss der Wohlfahrtsstaat dringend ausgebaut und wieder armutsfest gemacht werden. Ein deutlich höherer Mindestlohn, eine Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Bürger- oder Erwerbstätigenversicherung, in die auch Selbständige, Freiberufler, Beamte, Abgeordnete und Minister einzahlen, sowie am sozioökonomischen Existenzminimum orientierte Transferleistungen könnten dafür sorgen, dass die Armutsquote wieder sinkt.
Eher scheint es allerdings so, als würde sich die Kluft zwischen Arm und Reich unter dem künftigen Bundeskanzler Friedrich Merz durch Maßnahmen wie die geplanten »Superabschreibungen« für Konzerne und die Senkung der Unternehmenssteuern einerseits sowie härtere Sanktionen, Streichung von Karenzzeiten und die Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs für Menschen im Bürgergeldbezug andererseits weiter vertiefen. Während die Liste mit vorgesehenen Erleichterungen für die Wirtschaft im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ellenlang ist, sucht man vergebens nach entsprechenden Aufstiegssignalen für sozial Benachteiligte, Erwerbslose und Arme.
Konzentriert sich der Reichtum immer stärker bei wenigen (Unternehmer-)Familien, fällt die Gesellschaft auseinander, was sich in einer politischen Spaltung, einer Rechtsentwicklung von Teilen der Bevölkerung und wachsender Unzufriedenheit im Land manifestiert. Neoliberalismus à la Friedrich Merz und Lars Klingbeil ist kein Mittel gegen den organisierten Rechtspopulismus und Rechtsextremismus der AfD – findet er sich doch auch beim Spitzenpersonal dieser Partei. Bei deren Vorsitzenden Alice Weidel sogar noch in ausgeprägter Form.
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