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Aus: Marx in Afrika, Beilage der jW vom 03.07.2024
Marx in Afrika

Aufbruch ins Unbekannte

Die westliche Hegemonie in Afrika scheint am Ende. Was darauf folgt, ist noch unklar
Von Jörg Tiedjen
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Die Illustrationen in dieser Beilage stammen von der brasilianischen Künstlerin Thaís Silva. Mit traditionellen Techniken wie der Collage, aber auch moderner Bildbearbeitung erschafft sie in ihren Werken afrofuturistische Welten. Für die Künstlerin aus Petrópolis im Bundesstaat Rio de Janeiro ist dies ein Weg, sich selbst zu begegnen und sich ihrer afrikanischen, aber auch indianischen Wurzeln zu vergewissern.

Die Länder Afrikas wollen nicht mehr wie der Westen. Unverkennbar ist dies in der Sahelregion. Im Niger, der als gesichertes Terrain angesehen worden war, putschte vor einem Jahr unerwartet das Militär. Die frühere Kolonialmacht Frankreich sah ihre Interessen gefährdet und setzte auf eine Intervention, bei der die Truppen der regionalen Wirtschaftsgemeinschaft ​ECOWAS vorangehen sollten.

Die ECOWAS-Verbände warteten auf den Einsatzbefehl, um in den mit harschen Sanktionen belegten Niger einzumarschieren. Doch die Nachbarländer Mali und Burkina Faso stellten sich hinter die Putschisten in Niamey, die zudem die Unterstützung breiter Teile der Bevölkerung genossen. Algerien wandte sich gegen ein bewaffnetes Vorgehen, verweigerte Frankreich Überflugrechte und startete eine Friedensinitiative. In Nigeria, dessen Präsident Bola Tinubu den Vorsitz der ECOWAS innehatte, scheiterten die Angriffspläne am Senat.

Unter dem Beifall der Menschen nicht allein im eigenen Land schlug Nigers neue Regierung einen antikolonialen Kurs ein. Wie bereits zuvor in Mali und Burkina Faso wurden französische Truppen des Landes verwiesen. Auch die USA mussten ihre Armee abziehen, die bei der Stadt Agadez einen der größten Drohnenstützpunkte der Welt unterhielt. Statt dessen rückten russische »Berater« ein. Mittlerweile muss Frankreich sogar fürchten, die Lizenz für den Uranabbau in dem Sahelstaat zu verlieren.

Niger, Mali und Burkina Faso schlossen sich zu einer »Allianz der Sahelstaaten« zusammen, die sich nun als Alternative zur ECOWAS darstellt. Zumal im Senegal entgegen allen Versuchen, dies zu verhindern, mit Diomaye Faye ein »panafrikanischer« Kandidat die Präsidentschaftswahlen gewann, werden Erinnerungen wach an die Aufbruchszeit der »ersten Unabhängigkeit« Anfang der 1960er Jahre, als mit Politikern wie Malis Staatschef Modibo Keïta Panafrikanismus und Marxismus Hand in Hand gingen.

Das alles ist Zeichen eines dramatischen Einflussverlustes des Westens, der durch dessen Haltung im Gazakrieg noch gesteigert wird. Zugleich geschieht es aber vor dem Hintergrund, dass Länder der EU nicht zuletzt angesichts des Konflikts mit Russland wieder den Blick nach Afrika richten. Nach wie vor scheint dem Kontinent die Rolle zugedacht zu sein, billige Ressourcen zu liefern, deren Förderung angesichts der Klimakatastrophe mit »grünem« Anstrich forciert wird.

Auch Länder wie Algerien und eben Niger sind in Projekte eingebunden wie Pipelineverbindungen über den Kontinent hinweg. Marokko benutzt »Energiepartnerschaften«, um seine Kolonisierung der Westsahara voranzutreiben. In der Demokratischen Republik Kongo und auch in Ländern des Sahel wird das Rohmaterial für die »Energiewende« und die »digitale Revolution« mit bloßen Händen aus der Erde gegraben. Im Sudan werden Verteilungskämpfe ausgetragen, die das Land vollends in die Katastrophe gestürzt haben.

Im ersten Beitrag dieser Beilage nimmt Sabine Kebir das Thema »Marx in Afrika« zunächst einmal wörtlich. Denn der Begründer des Marxismus hat Afrika tatsächlich besucht. Doch sein Aufenthalt in Algier war in jeder Hinsicht eine Enttäuschung. Gesundheitlich schwer angeschlagen, versagte er vor der kolonialen Realität. Bis heute hat die europäische Arbeiterbewegung Schwierigkeiten mit ihrer Positionierung zum Kolonialismus. Auch davon schreibt Reinhart Kößler in seinem Überblicksartikel.

Das heißt nicht, dass Marxismus keine Rolle gespielt hat im antikolonialen Befreiungskampf und in der Politik der unabhängigen Staaten. Im Gegenteil. Matthew Read und Nathan Macé erinnern an die von französischen Kommunisten und Gewerkschaftern in den Kolonialgebieten gegründeten kommunistischen Studiengruppen. Auch Joaquín Mbomío Bacheng kommt am Beispiel Kameruns auf dieses Thema zu sprechen – und beschreibt, wie der revolutionäre Aufbruch grausam niedergeschlagen wurde.

Shamim Nyanda berichtet aus Daressalam in Tansania, einer Metropole, die wie Algier als »Mekka der Revolution« galt. Sie hebt hervor, wie Schulden neoliberaler Kahlschlagpolitik das Tor geöffnet und Souveränität untergraben haben, worauf auch »grüne« Projekte aufbauen. Daran knüpft Georges Hallermayers Text über Sambia und den Kampf der dortigen Sozialisten an, in dem auch die Rolle Chinas in Afrika gewürdigt wird. Zuletzt schildert Christian Selz, wie durch gezielte koloniale Politik in Südafrika das System der Wanderarbeit entstand.

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