Gefährliche Zeiten
Von Daniel BratanovicDas Konferenzmotto ließ innehalten, warf, selbst Frage, weitere Fragen auf, irritierte also. »Wie gefährlich ist der Imperialismus im Niedergang?« Abseits der Bühne diskutierten Besucher: Wie weit ist es her mit dem behaupteten Niedergang? Gibt es neben unverkennbaren Anzeichen fortschreitenden Verfalls beziehungsweise – um mit Lenin zu sprechen – solchen der Fäulnis nicht zugleich auch deutliche Hinweise auf seine anhaltende Stabilität? Wie wäre demgemäß »Niedergang« zu definieren? Davon ausgehend mag dann vielleicht die noch tiefer liegende Frage aufgeworfen worden sein: Wie bestimmt sich der Imperialismus unserer Tage? Ist er bloß eine attributive Zuschreibung für einige wenige Staaten oder nicht eher als Weltverhältnis zu betrachten, eben als Stadium eines globalen Kapitalismus? Schließen beide Momente einander aus? Man diskutierte also über den Konferenztitel, und dass man diskutierte, zeigte an, das Motto war gut gewählt.
Auf der Bühne wurden Antworten gegeben. Die geladenen Referenten der 30. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz blickten auf die Frage von ihrem je unterschiedlichen Ort – geographisch, politisch, professionell. An den Bedrohungen, die vom gegenwärtigen Imperialismus ausgehen, hatte aber niemand den geringsten Zweifel. Clare Daly, ehemalige Abgeordnete des EU-Parlaments für die linke irische Partei Independents 4 Change, konstatierte: »Es sind gefährliche Zeiten.« Der Übergang zu einer multipolaren Welt könne bedeuten, dass »die Nationen in Konkurrenz zueinander stehen und sich in einem Ausbeutungswettlauf um die existierenden Ressourcen befinden«. Der Stellvertreterkrieg, den die NATO derzeit in der Ukraine gegen Russland führt, erfolgte seitens der USA auch mit dem Ziel, so Daly, »Europa als Wettbewerber zu eliminieren, alle Verbindungen zu Russland sollten abgebrochen werden, um so die europäischen Eliten dazu zu zwingen, alles zu schlucken, was die USA ihnen vorgeben«. Dreierlei fällt diesen Eliten daraufhin ein: rüsten, rüsten und nochmals rüsten.
Peter Mertens, Generalsekretär der Partei der Arbeit Belgiens, befand nun, dass dieser Militarisierungswahn in der EU, der auch einem Krieg gegen die europäische Arbeiterklasse gleichkomme, die Krise des Staatenbundes immer weiter verfestige: »Die Europäische Union kämpft gegen ihren Untergang, aber mit jedem neuen Schritt gräbt sie sich tiefer in den Sumpf. Diese Krisen- und Kriegsunion ist nicht reformierbar. Wir brauchen ein völlig anderes Europa.«
Dass ein anderes Europa eben auch ein faschistisches sein könnte, war das Thema des Politikwissenschaftlers Yücel Demirer aus der Türkei. Vom deutschen Staat hatte er ebensowenig ein Einreisevisum erhalten wie der ghanaische Journalist Kwesi Pratt. Beide waren daher lediglich per Videobeitrag präsent. Pratt berichtete von der Lage in Westafrika, vom dort weiter bestehenden Neokolonialismus, aber auch von den Fortschritten in dessen Bekämpfung.
Besondere Solidarität verlangt der Kampf der kubanischen Bevölkerung gegen die zerstörerische Blockade, mit der die USA die sozialistische Insel belegt haben, und der Kampf der palästinensischen Bevölkerung gegen Vertreibung und Kriegsverbrechen der israelischen Armee. Dazu sprachen Emilia Neurys Acuña Lemes vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Kubas und George Rashmawi von der Palästinensischen Gemeinde Deutschland.
Eine Antwort auf die Frage, was es mit dem »Niedergang« des Imperialismus auf sich hat, gab der Schriftsteller und Journalist Dietmar Dath: »Dass er für Menschen immer weniger als Lebensweise taugt.« Die Monopole begnügten »sich nicht mehr mit Schweiß und Blut, sie saugen uns die Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit aus dem Leib«. Vor einem »letzten Gefecht« stehe die Frage: »Wollen wir Menschen sein oder Rohstoffe?«
Mehr als 3.000 Menschen lauschten konzentriert den Beiträgen – an neuem Ort. Erstmals fand die Rosa-Luxemburg-Konferenz in den Wilhelm-Studios im Norden Berlins statt, in Hallen einer ehemaligen Eisengießerei. Als Setting, wie viele fanden, eine mehr als passende Veranstaltungsstätte. Dort soll es im kommenden Jahr weitergehen, nach Möglichkeit in einem größeren Saal vor noch größerem Publikum.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 20.01.2025
Germany: 0,3 Punkte
- 10.01.2025
Washingtons Follower
- 09.01.2025
Bewegungen verbinden
Mehr aus: Inland
-
Rechter Bürgerblock stimmt durch
vom 29.01.2025 -
»Vor Ort ist man Einzelkämpfer«
vom 29.01.2025 -
»Nie wieder dürfen Kinder eingezogen werden«
vom 29.01.2025 -
Strategisch gescheitert
vom 29.01.2025 -
Absprachen und Absagen
vom 29.01.2025 -
Business nur mit Budget
vom 29.01.2025 -
Per Express in die Volksrepublik
vom 29.01.2025