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Aus: Auschwitz, Beilage der jW vom 25.01.2025

Buna-Suppe

Von Maxi Wunder

Wer hat noch nicht von ihm gehört, dem ehrenwerten »Kampf gegen den Hunger«? Diese Rezeptkolumne erlaubt es sich, »kraft ihrer Wassersuppe« darüber zu lästern, die Formulierung »Kampf gegen den Hunger« ist ein Hohn. Den Hunger bekämpft man mit Essen. Dass Menschen nicht an genug Nahrungsmittel kommen, um das zu tun, ist es, was bekämpft werden muss, also unsere hochsubventionierte industrielle Landwirtschaft, den kapitalistischen Welthandel mit Saatgut und Lebensmitteln, Waffenindustrie und Kriege. Nichts davon haben die Hungernden veranlasst, alles trifft sie mit voller Wucht, Folgen des Klimawandels und Mangel an frischem Trinkwasser kommen dazu. 6,6 Millionen Menschen leben laut UN-Flüchtlingshilfe in Lagern, in denen sich die Missstände konzentrieren – Kriminalität, Krankheiten, Seuchen. Der Mensch ist nicht geschaffen für Lagerhaltung.

Was die eingangs erwähnte Wassersuppe betrifft, so drängt sich am 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz eine Erinnerung an die Hauptmahlzeit in den deutschen Konzentrationslagern auf: die Buna-Suppe, benannt nach dem Gummiersatz für Autoreifen von der benachbarten IG-Farbenfabrik. Gerhard Maschkowski, der als junger Mann KZ und Todesmarsch überlebte, berichtet: »Die hat drei Farben gehabt. Manchmal war sie braun, manchmal war sie grün, manchmal war sie gelb.« Circa ein dreiviertel Liter pro Häftling. Nesseln, Gras und Grünzeug schwammen darin, manchmal eine Kartoffel. Die Plörre hatte so gut wie keinen Nährwert. Zweimal am Tag gab es eine Portion, eine mittags und eine abends nach dem Appell. Zwei Kesselträger brachten die großen Thermosbehälter zum Block, wo der Blockälteste die Suppe ausgab. Das wenige Gemüse war am Boden des Kessels, wer gegen Ende dran war erhielt also etwas mehr. Oft gab es für mehrere Häftlinge nur einen Suppennapf; Löffel wurden nicht ausgegeben, sie mussten gegen mindestens eine halbe Brotration im Schwarzhandel eingetauscht werden. Die Häftlinge erhielten weder Zucker noch Milch, Käse oder Obst, geschweige denn Trinkwasser, obwohl das Leitungswasser in der Gegend von Auschwitz ungenießbar war. Die eiweiß-, vitamin- und fettlose Ernährung führte häufig zu Durchfall, da der Körper so gut wie keine Magensäure und Darmsäfte mehr produzieren konnte, was die Menschen zusätzlich schwächte. Viele waren so verhungert, dass sie nach der Befreiung zunächst mit Blutplasma und Nährlösung versorgt werden mussten, richtige Nahrung hätten ihre völlig ausgezehrten Körper nicht verarbeiten können. Einige starben infolge unbedachter, plötzlicher Fettzufuhr oder nach dem Verzehr roher Kartoffeln.

Erzwungener Hunger ist ein Folter- und Mordinstrument, damals wie heute. Aus Respekt vor den Opfern verzichtet die »Coole Wampe« in dieser Ausgabe auf ein Rezept und dankt der 322. Infanteriedivision der 60. Armee der I. Ukrainischen Front unter dem Oberbefehl von Generaloberst Pawel Alexejewitsch Kurotschkin für die Befreiung von Auschwitz. In dem evakuierten Komplex fand die Rote Armee noch 7.600 Überlebende vor, darunter knapp 500 Kinder und Jugendliche.

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