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Aus: Recht auf Wohnen, Beilage der jW vom 19.02.2025
Wohnungskrise in Südafrika

An den Rand gedrängt

In Südafrikas Küstenmetropole Kapstadt ist der Wohnraum knapp. Die Stadtverwaltung stellt Investoreninteressen über die Bedürfnisse der Bevölkerung
Von Christian Selz, Kapstadt
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Sturm auf das Kapital: Titelseite der Instand-Besetzer-Post, Nummer 17 (Berlin, 17.7.1981)

Die Fahrt vom Cape Town International Airport in die Innenstadt führt vorbei an bunt angestrichenen kleinen Häuschen. Kilometerlang stehen die relativ neuen Bauten entlang der Schnellstraße N2 aufgereiht. Die Eigenheime sind Teil des N2 Gateway Project, mit dem die Regierung Südafrikas, die Provinzregierung des Westkaps und die Stadtverwaltung Kapstadts ab 2005 Wohnraum für Menschen schaffen wollten, die zuvor in Wellblechhütten lebten. Geht man etwas tiefer in die Townships entlang der N2 hinein, offenbart sich jedoch nach wie vor ein Meer aus windschiefen Hütten, in denen große Teile der Bevölkerung ihr Zuhause haben. Die Neubauten entlang der Haupteinfallsschneise in die bei Urlaubern aus aller Welt beliebte Küstenmetropole erinnern so ein wenig an die Dorfkulissen Potemkins.

Kritiker sahen das Wohnungsbauprojekt von Beginn an als Aufhübschungsmaßnahme, die vor allem im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft 2010 stand. Diese Sichtweise wurde auch durch Regierungsdokumente belegt, in denen dem Vorhaben explizit aufgrund der Sichtbarkeit in Flughafennähe eine höhere Bedeutung beigemessen wurde. Beklagt wurde zudem, dass für die Baumaßnahmen Hüttenbewohner in einen anderen Stadtteil – hinter dem Flughafen und weiter entfernt von Innenstadt und Arbeitsmöglichkeiten – zwangsumgesiedelt wurden.

Rassistische Stadtplanung

Gerade die Vertreibung von Menschen aus ihrem Wohnumfeld – und sei sie auch nur temporär angelegt – ist dabei gerade in Südafrika ein besonders sensibles Thema, aus historischen Gründen. Ab den 1960er Jahren hatte das rassistische Apartheidregime, das in Südafrika bis 1994 an der Macht war, Wohngebiete ethnisch getrennt. Schwarze Menschen, die in fortan Weißen vorbehaltenen Vierteln lebten, wurden gewaltsam vertrieben. Die Wunden dieser Verbrechen klaffen teilweise bis heute im Stadtbild.

Östlich der Kapstädter City, wo im Stadtteil District Six einst Muslime, Juden und Christen, Weiße und Schwarze Tür an Tür wohnten, prägen noch immer von Gras überwucherte Mauerreste auf weiter Fläche das Bild. Auch drei Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid sind hier, wo das Regime mit Bulldozern sämtliche Straßenzüge dem Erdboden gleichmachte, nur eine geringe Zahl neuer Wohnhäuser entstanden. Einige wenige Familien konnten zurückkehren, doch die große Masse der einst Vertriebenen und ihrer Angehörigen wartet bis heute auf eine neue Bleibe in Innenstadtnähe.

Der staatlich betriebene Rassismus der Apartheidsära ist in Südafrika Geschichte. Die Verfassung von 1995 räumt allen Menschen gleiche Rechte ein. Doch die Folgen der Stadtplanung jener Zeit, die Verdrängung marginalisierter Gruppen an den Stadtrand, reichen bis in die Gegenwart. Mehr noch: Neue Dynamiken verschärfen alte Probleme. Grundlage für Vertreibung sind heute nicht mehr Hautfarbe und ethnische Zuschreibung, sondern Einkommen und Vermögen. Da an den Besitzverhältnissen während des Übergangs zur bürgerlichen Demokratie nicht gerüttelt wurde, besteht so auch ein struktureller Rassismus fort. Heute sind insbesondere die Nachbarviertel des ehemaligen District Six, traditionelle Arbeiterquartiere wie Salt River und Woodstock, stark von Gentrifizierung betroffen.

Für die Immobilienbranche

Befördert wird der gesellschaftliche Umbau auch dadurch, dass die Grundabgaben an die realen Verkaufserlöse von Immobilien gekoppelt sind. Wechselt ein Haus, das viele Jahre lang Zuhause einer Arbeiterfamilie war, für viel Geld den Besitzer, steigen in der Nachbarschaft die Grundsteuern. Peu à peu wirkt das wie eine Kettenreaktion, die die ärmsten Bewohner vertreibt. Die von der rechtsliberalen Democratic Alliance (DA) gestellte Stadtregierung profitiert davon direkt durch höhere Einnahmen und weist die Immobilienverkäufe als von ihr erreichtes Wirtschaftswachstum aus. Es gibt wohl kaum ein Beispiel, das besser veranschaulicht, dass ein ökonomisches Plus keinesfalls eine Verbesserung der Lebensverhältnisse für ärmere Menschen bedeuten muss.

Weiter angefeuert wird dieser Kreislauf von Kapstadts hoher Attraktivität sowohl bei Touristen als auch bei »Digitalen Nomaden«, in der Regel Freiberuflern aus wirtschaftlich stärkeren Ländern des globalen Nordens, die dem dortigen Winter durch einen temporären Umzug in den Sommer der Südhalbkugel entfliehen. Weil es in Südafrika kaum Regelungen zum Mieterschutz gibt, Mietverträge fast immer zeitlich befristet sind und nach einem Jahr neu ausgehandelt werden können, tragen diese einkommensstarken Neuankömmlinge zu einem starken Anstieg der Mieten bei. Auch so werden einheimische Beschäftigte an den Stadtrand verdrängt.

Verschärft wird die Krise dadurch, dass sich die öffentliche Hand nahezu konsequent weigert, Sozialwohnungen in Innenstadtnähe zu errichten. Das hat einerseits mit der bereits erwähnten Kopplung der Abgaben an Immobilienpreise zu tun. Zum anderen ist auch in Kapstadt die politische Verwaltung eng mit der Baubranche verwoben – und die macht mit hochpreisigen Wohnungen einfach mehr Geld. Eine Stärkung von Mieterrechten wird zudem mit dem Verweis auf die Interessen von Investoren abgelehnt. Statt dessen rütteln die Stadtoberen sogar an in der Verfassung verbrieften Regelungen, wonach Menschen, die von Räumung betroffen sind, eine alternative Bleibe in vertretbarer Nähe angeboten werden muss. Die Prioritäten in der Wohnungsfrage umriss Kapstadts Bürgermeister Geordin Hill-Lewis (DA) erst im Januar dieses Jahres in einer Debatte beim Nachrichtensender ENCA eindeutig: »Es macht es schwerer, Investitionen einzuwerben, wenn die Leute wissen, dass es nahezu unmöglich ist, Zwangsräumungen durchzusetzen.«

Gegenwehr zeigt Wirkung

Den Menschen, die aus ihrer Wohnung geworfen werden, bietet die Stadtverwaltung neu gebaute Wellblechhütten in frisch aus dem Boden gestampften temporären Siedlungen am äußersten Stadtrand an: bis zu 40 Kilometer vom Zentrum entfernt, oft zunächst ohne Anbindung an öffentlichen Nahverkehr, Schulen, Gesundheitseinrichtungen oder Supermärkte. Auch die Flächen, die die Stadt für den Bau von festen Sozialwohnungen bereitstellt, liegen in aller Regel weit außerhalb.

Exemplarisch ist in diesem Zusammenhang ein Fall, der jüngst das südafrikanische Verfassungsgericht beschäftigte. Streitobjekt ist eine ehemalige Schule im innenstadtnahen Promenadenstadtteil Sea Point, der direkt am Atlantischen Ozean liegt, mit Blick auf die Tafelbucht. Die Tafelberg-Schule, die dort untergebracht war, schloss im Jahr 2010. Schon lange zuvor war das 1,7 Hektar große Grundstück als idealer Ort für den Bau von Sozialwohnungen ins Auge gefasst worden, teils sogar durch öffentliche Stellen. Zugute kommen sollten diese Einheiten vor allem Hausangestellten, die in dem Reichenviertel arbeiten, häufig in Dienstwohnungen leben, dort aber in ihren Rechten durch die Hausbesitzer eingeschränkt werden und etwa keinen Besuch empfangen oder nicht einmal selbst Essen kochen dürfen.

In insgesamt neun Machbarkeitsstudien zeigten Aktivisten, Architekten und sogar die Provinzregierung des Westkaps die Möglichkeiten der Errichtung von Sozialwohnungen auf. 2016 wurde bekannt, dass die Provinzregierung das Areal an einen privaten Investor verkaufen wollte.

Auf große Proteste folgte schließlich 2020 ein gerichtlich angeordneter Stopp des Verkaufs. Inzwischen scheint der Plan vom Tisch. Die Provinzregierung will das Grundstück aufteilen: Eine Hälfte soll für Einrichtungen der sozialen Daseinsvorsorge reserviert werden, die andere für niedrigpreisige Wohnungen. In der von der Organisation Reclaim the City und der gemeinnützigen Rechtshilfegruppe Ndifuna Ukwazi angestrengten Klage ging es zuletzt auch um die grundsätzliche Frage, ob Stadtverwaltung und Provinzregierung ihre Pflicht verletzt haben, für die Überwindung der Apartheidstadtarchitektur zu arbeiten. Der letzte Verhandlungstag war der 11. Februar, ein Urteil wurde bisher nicht verkündet. Es bedarf allerdings kaum mehr als einer Fahrt zum Flughafen, um sich ein Bild zu machen.

Christian Selz ist freier Journalist und lebt in Kapstadt.

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