Moskau verhandelt mit HTS in Syrien
Von Wiebke Diehl
Russland und die De-facto-Machthaber in Syrien sollen kurz vor dem Abschluss eines Abkommens über die Beibehaltung einer begrenzten russischen Militärpräsenz stehen. Ein Teil des Personals und der Ausrüstung könne trotz des Sturzes der Regierung von Baschar Al-Assad durch dschihadistische Milizen der Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) am 8. Dezember im Land verbleiben, berichtete die US-Agentur Bloomberg am Montag. Den Informanten, die namentlich nicht genannt werden wollen, zufolge hofft der russische Präsident Wladimir Putin, insbesondere den Marinestützpunkt in Tartus, Russlands einzigen Hafen am Mittelmeer, und die Luftwaffenbasis Hmeimim bei Latakia behalten zu dürfen. Russland solle auch »im Kampf gegen den ›Islamischen Staat‹« helfen.
Nach der Machtübernahme durch die HTS haben zahlreiche hochrangige westliche Politiker die von den Dschihadisten installierte Regierung aufgefordert, Russland »aus dem Land zu werfen«. Moskau, das die HTS und andere dschihadistische Milizen jahrelang an der Seite der syrischen Armee bekämpft und damit Gefahren für Syrien und auch den angrenzenden Libanon abgewendet hatte, schwenkte allerdings ausgesprochen früh um und nahm Gespräche zu »allen syrischen Oppositionsgruppen«, darunter auch den De-facto Machthabern, auf. Die zuvor als »Terroristen« Bezeichneten wurden urplötzlich zur »Opposition«. In seiner Rede zum Jahresende hatte Putin erklärt, man habe die eigenen Ziele in Syrien – nämlich zu verhindern, dass das Land eine »terroristische Enklave« werde – weitgehend erreicht. Russische Medien verbreiteten, Assad, dem Russlands Geheimdienst zur Flucht nach Moskau verhalf, nachdem die russische Armee noch versucht hatte, die vorrückenden Milizen aus der Luft zu stoppen, sei allein für die Niederlage verantwortlich. Die Frage, warum der russische Geheimdienst die wachsende Bedrohung erst zu spät bemerkte oder aber auf diese nicht hinwies, bleibt allerdings bis heute unbeantwortet.
Bereits am 28. Dezember hatte Russlands Präsident ein Gesetz unterzeichnet, das es ermöglicht, nicht nur die afghanischen Taliban, sondern auch den Al-Qaida-Ableger HTS von der Terrorliste zu streichen. Ende Januar reiste eine ranghohe Delegation mit dem stellvertretenden Außenminister Michail Bogdanow und dem Syrien-Beauftragten Alexander Lawrentjew nach Damaskus. Die HTS forderte während der Zusammenkunft russische »Entschädigungen« sowie die Auslieferung von Assad. Das Außenministerium sagte zu, Hilfe beim Wiederaufbau des Landes zu leisten. Man wolle »eine Zusammenarbeit auf Grundlage der Prinzipien der Freundschaft« entwickeln. Am 12. Februar telefonierte der russische Präsident mit dem »Interimspräsidenten« Abu Mohammed Al-Dscholani, der inzwischen wieder unter seinem bürgerlichen Namen Ahmed Al-Scharaa firmiert, und sagte Hilfe bei wichtigen Handelsaktivitäten und der Ankurbelung der syrischen Wirtschaft zu. Nur zwei Tage später erhielt die Zentralbank neue Geldscheine, um den Bargeldmangel zu lindern. Eingeflogen worden waren sie aus Russland.
Auch der Iran, der zweite der wichtigsten staatlichen Verbündeten der Regierung Assad in den Kriegsjahren, steht in Kontakt mit den Machthabern in Syrien. Dies hat zuletzt ein Sprecher des Außenministeriums in Teheran bestätigt: »Das Schicksal des syrischen Volkes« müsse »vom syrischen Volk selbst und ohne destruktive ausländische Einmischung bestimmt werden«. Ein »stabiles und sicheres Syrien, frei von Terrorismus und gewalttätigem Extremismus«, liege »im Interesse der Region und aller Länder in der Region«. Allerdings plündern, terrorisieren, foltern, entführen und massakrieren HTS-Mitglieder seit Monaten Angehörige syrischer Minderheiten und greifen Ortschaften im Libanon an. Im Nordosten und Süden ist das Land von US-Truppen besetzt, im Nordwesten von der Türkei. Seit der Machtübernahme der HTS hat die israelische Armee neun Militärstützpunkte auf syrischem Gebiet errichtet und 30 Prozent der syrischen Wasserversorgung unter ihre Kontrolle gebracht. Die sogenannte syrische Regierung sieht all dem tatenlos zu.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (18. Februar 2025 um 23:40 Uhr)Wie bereits in früheren jW Artikeln beschrieben, gaben sich die arabischen und europäischen Staaten nach der »Ausschleusung« Al-Assads die Klinke in die Hand. Die Türkei unterstützte bereits zuvor die Dschihadisten. Ein tristes Spektakel, dem sich Iran und Russland anschließen. Denn all diesen Ländern geht es nicht um das Wohl der syrischen Bevölkerung, die weiterhin ein Bauernopfer im geopolitischen «Schachspiel» ist. AlewitInnen, JesidInnen, KurdInnen können erneut verfolgt und ermordet werden, solange die noch vor kurzem als Terroristen geführten Dschihadisten dem Westen und Russland wohl gesinnt sind. Irak, Libanon, Libyen, Südjemen, Syrien sind Staaten, welche sich der «Diktatur» des Westens (USA und Europa) entzogen haben. Sie waren – und sind – autoritär (mit Ausnahme Libanons) und betrieben eine (Wirtschafs-) Politik, die nicht im Interesse des Westens war. Es gibt kein Interesse, dass diese Länder sich stabilisieren und wirtschaftlich erholen. Dies ermöglicht die Ausbeutung von Rohstoffen, politische und wirtschaftliche Einflussnahme – um nicht zu sagen Diktat – und sie als «Spielball» der verschiedenen Interessen zu unterwerfen.
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