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Aus: Recht auf Wohnen, Beilage der jW vom 19.02.2025
Zwangsräumung mit Schlägertrupps

Terror gegen Mieter

Spanien: Auf Zwangsräumungen spezialisierte Firmen hetzen faschistische Schlägertrupps auf Bewohner im Zahlungsrückstand
Von Carmela Negrete
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Extra viel Rot: Titelseite der Instand-Besetzer-Post vom 1. April 1981

Millionen Menschen in Europa müssen mit der Angst vor extremen Mietsteigerungen leben. In Spanien kommt noch die Furcht hinzu, von einer Nazitruppe belästigt zu werden, wenn man gerade nicht zahlen kann oder sich in einem juristischen Streit mit dem Vermieter befindet. Die Regierung hat daran bisher wenig geändert. Ein Maßnahmenkatalog, den sie beschlossen hat, erlaubt es den rechten Schlägern weiterhin, ihren Job ganz legal zu verrichten, während Mieterverbände betonen, dass die neuen Gesetze nicht das Kernproblem angehen.

Die antifaschistische Forschungsgruppe Sistema 161 veröffentlichte im ­November eine Studie über die sogenannten Zwangsräumungsfirmen. In Spanien gibt es demnach rund 50 solcher Unternehmen, die darauf spezialisiert sind, Mieter zu bedrängen, die ihre Miete nicht gezahlt haben oder eine Wohnung besetzen. Laut Sistema 161 sind 55 Prozent dieser Unternehmen mit ultrarechten, zum Teil offen faschistischen Strukturen verflochten. Die meisten von ihnen werden von Vermietern beauftragt, um Mieter oder Besetzer mit der Androhung von angeblichen rechtlichen Konsequenzen so einzuschüchtern, dass sie ihre Wohnungen verlassen.

Insbesondere jene, die mit den Ultrarechten zusammenarbeiten, nutzen dabei auch illegale Methoden: Sie beschädigen Gebäude, werfen Steine in Fenster, zerstechen Autoreifen oder greifen Mieter und Besetzer sogar körperlich an. Diese Unternehmen – allen voran die Firma Desokupa des Faschisten Daniel Esteve – haben in Spanien ein Klima der Angst geschaffen. Dank bürgerlicher Medien, die die Gefahr durch Besetzungen übertreiben, profitieren sie geschäftlich davon. Gruppen von vermummten, muskelbepackten Männern, begleitet von Schäferhunden, schüchtern Mieter oder Besetzer ein. Doch die Nachbarschaften organisieren Gegenwehr – wie beispielsweise in Madrids Stadtteil Tetuán, wo sich die Bewohner gegenseitig informieren, wenn die faschistischen Räumkommandos anrücken.

Wohnraum als Klassenfrage

In Fernsehsendungen darf Esteve behaupten, es würden täglich rund 40 Besetzungen in Spanien stattfinden. Dabei wird suggeriert, jeder Wohnungsbesitzer könne Opfer einer Besetzung werden – sogar, wenn er nur kurz einkaufen geht. Tatsächlich werden in Spanien jedoch nur etwa sechs Wohnungen pro Tag besetzt, die meisten davon gehören Banken oder Unternehmen wie Blackrock und ähnlichen »Geierfonds«. Doch die spanische Regierung, angeblich eine progressive Koalition, hat bisher nichts gegen diese Truppen unternommen. Im Gegenteil: Wie jW berichtete, lässt das Innenministerium nun sogar Polizeibeamte von Desokupa trainieren.

Dabei ist der Großteil der Bevölkerung von hohen Mieten weit mehr bedroht als von einer möglichen Besetzung – die ohnehin sofort von der Polizei geräumt wird, wenn es sich um den Hauptwohnsitz handelt. Zwangsräumungen wegen Mietrückständen haben in Spanien in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Laut dem Consejo General del Poder Judicial (Generalrat der rechtsprechenden Gewalt) sind 2024 die Mieten im Schnitt um zehn Prozent gestiegen. Das oberste Organ der spanischen Judikative liefert auch genaue Zahlen zu den Tausenden von Menschen, die jeden Monat ihr Zuhause verlieren: Demnach gab es 2024 täglich rund 80 Zwangsräumungen. Doch die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein, da viele Menschen, die sich die Miete nicht mehr leisten können, gar nicht erst auf ein Zwangsräumungsurteil warten – sie ziehen »freiwillig« aus.

»Die Wohnungsfrage geht weit über das bloße Dach über dem Kopf hinaus, denn Wohnen ist tatsächlich die Achse, um die sich unsere Gesellschaften und Städte strukturieren«, sagte Jaime Palomera Zaidel, Mitbegründer des Recherchezentrums IDRA, im November im spanischen Parlament. »Wohnen ist das entscheidende Konzept, um die Klassenstruktur in unseren Gesellschaften zu verstehen, und sollte das zentrale Feld des politischen Kampfes sein«, so der Anthropologe.

Mehr Mieter

Bis 2008 konnten sich die meisten Familien verschulden, um die eigenen vier Wände zu kaufen. Nach der Finanz- und Wohnungsbaukrise wurden Kredite jedoch nur noch an Personen mit höherem Einkommen vergeben. Dies sei eine Art Enteignung und eine Verschärfung der Lebensbedingungen im Kapitalismus, erklärte Palomera, der dies auf das Ende des Wettbewerbs mit den Ländern des real existierenden Sozialismus zurückführt. Mittlerweile wohnt jeder vierte in Spanien zur Miete – weit mehr als vor zehn Jahren.

Doch die Maßnahmen der Koalitionsregierung aus Sozialdemokraten und dem Linksbündnis Unidas Podemos in der ersten Legislaturperiode und dem Linksbündnis Sumar in der zweiten scheinen die Grenzen der Reformen aufzuzeigen: Für jeden neuen Versuch, die Miet- und Wohnungspreise zu regulieren, lassen sich die großen Unternehmen oder Eigentümer mit vielen Wohnungen einen neuen Trick einfallen, oder die Maßnahmen werden von den rechten Regionalregierungen nicht umgesetzt.

Die Regierung von Pedro Sanchez will eine hundertprozentige Einkommensteuerbefreiung für Wohnungen, die mit einer reduzierten Miete auf den Markt gebracht werden. Doch die Verbraucherschutzorganisation FACUA warnte: Diese Maßnahme sei ein Signal, dass es in Ordnung sei, mit Wohnungen Geschäfte zu machen und diese als Spekulationsobjekte zu nutzen. Bevor es überhaupt dazu kommt, muss das Parlament darüber abstimmen, ebenso über sieben andere der zwölf von der Regierung vorgelegten Maßnahmen. Denn diese brauchen eine besondere Finanzierung.

Zurzeit regiert Sánchez aber mit einem Haushalt, der 2024 nicht erneuert werden konnte, da die Parteien sich uneins waren. Darunter die linke Formation Podemos, die für ihre Zustimmung eine Senkung der Mieten um 40 Prozent gefordert hatte. Dabei befürworten 51 Prozent der Bevölkerung laut einer Umfrage von Ipsos für die Tageszeitung La Vanguardia, dass die Preise der Miete staatlich reguliert, also begrenzt werden.

Zweifelhaft ist, ob diese Maßnahmen etwas gegen die sogenannten Geierfonds ausrichten können. 2024 wurden laut einem Bericht der Investmentfirma CBRE für rund 14 Milliarden Euro Häuser und Wohnungen in Spanien gekauft. Nur 55 Prozent der Käufer hatten die spanische Staatsbürgerschaft.

Mehr Gegenwehr

Weil immer wieder mittellose Menschen, darunter Familien mit Kindern, auf die Straße geworfen werden, gibt es Aktivisten, die sich so an Gebäudefassaden festmachen, dass eine Räumung nur möglich ist, wenn sie entfernt werden. Dafür ruft die Polizei regelmäßig die Feuerwehr. Zuletzt weigerte sich eine Gruppe von Feuerwehrleuten aus Madrid, an den Räumungen teilzunehmen. Sie haben die Plattform »Feuerwehrleute gegen Zwangsräumungen« ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe bestehe nicht darin, »Menschen auf die Straße zu setzen, sondern Leben zu retten«, schreiben sie.

In einem Interview mit dem Onlinesender »Spanish Revolution« erzählte Feuerwehrmann Íñigo Campos, dass es solche Aktionen schon früher gegeben habe, sie sich aber nicht sicher seien, welche rechtlichen Konsequenzen heute drohen, da die Gesetze mit dem sogenannten Maulkorbgesetz verschärft worden seien. Doch seien sie keine Streitkräfte, sondern ein Rettungsdienst: Wenn niemand in Gefahr ist, müssten sie diese Aufgabe nicht erfüllen. Campos tritt für eine Art Dienstverweigerung aus Gewissensgründen ein.

Die Brandbekämpfer sind nicht die einzigen, die sich widersetzen. Am 9. Februar demonstrierten erneut Tausende Menschen in mehreren Städten gegen die Wohnungskrise. In Barcelona und in Tarragona hatten Bewohner zweier Wohnblöcke im Januar einen Mieterstreik begonnen. In einem der Fälle sollten die Mieter ursprünglich ein Vorkaufsrecht erhalten, das der neue Eigentümer jedoch ignorierte. Den Bewohnern ließ er nur die Wahl, entweder eine Mietsteigerung zu akzeptieren oder auszuziehen. Mehrere Familien entschieden sich für den Umzug, aber Dutzende weitere wehren sich. Sogenannte Mietergewerkschaften hatten zuletzt in vielen spanischen Städten Komitees für kollektive Mietstreiks gegründet.

Carmela Negrete ist Journalistin und lebt in Berlin.

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