Auf Kaisers Spuren
Von Helga Baumgarten, Jerusalem
Der Besuch des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. 1898 in Palästina ist bis heute unvergessen. Das gilt für die Altstadt, denn um seine Staatskarosse problemlos in sie einfahren zu lassen, wurde das Jaffa-Tor verbreitert. Unvergessen ist er auch in der Geschichte des Zionismus, denn Theodor Herzl reiste speziell nach Jerusalem, um dort vom Kaiser die volle deutsche Unterstützung für die zionistische Bewegung zu erhalten – dies blieb sein einziger Besuch dort, er zeigte sich nicht begeistert von der Altstadt. Und unvergessen sollte er auch bei den deutschen Linken sein, die hoffentlich alle das Gedicht »Im heiligen Land« von Frank Wedekind kennen, das Ernst Busch gesungen hat unter dem Titel »Palästinafahrt Wilhelms II.«: »Der du die Schmach vom heilgen Land genommen / Von dir bisher noch nicht besucht zu sein …«
Die Spuren des Besuchs, mit dem Wilhelm II. die deutsche Präsenz in Palästina stärken wollte, sind also bis heute sichtbar, nicht nur am Jaffa-Tor. Mitten in der Altstadt, im Muristan-Viertel, steht die deutsche evangelische Erlöserkirche auf Land, das ein Geschenk des Sultans aus Istanbul an den Kaiser war. Sie wurde während des Besuchs des Kaiserpaares am 31. Oktober 1898 eingeweiht. Am Rande der Altstadt findet sich auch die Dormitio, eine Kirche, die der Kaiser für die deutschen Katholiken bauen ließ, die 1910 fertig wurde. Das Land hatte er von Sultan Abdülhamid II. gekauft, zu dem er eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut hatte. Das Gotteshaus ist heute im Besitz der Benediktiner. Thronend über der Altstadt, vom Osten her, auf dem Ölberg, wurde zudem bis 1910 die Augusta-Victoria-Kirche gebaut. Der Kaiser widmete sie seiner Frau.
Deutsche Siedler
Schon dreißig Jahre vor dem Kaiserbesuch, 1868, siedelten württembergische Pietisten in Palästina. Sie gründeten Templerkolonien in Haifa, Jaffa und Sarona, bis sie 1873 auch nach Jerusalem kamen. Dort kauften sie Land außerhalb der Altstadt im Refaimtal (hebräisch: Emek Refaim). Die Hauptstraße im heutigen Jerusalemer Viertel »German Colony« ist nach dem Tal benannt. Direkt an der Emek-Refaim-Straße liegt die Begräbnisstätte der Templer mit einer interessanten Plakette: »Der Templerfriedhof musste 1878 errichtet werden, weil der protestantische Bischof die Templer nicht auf dem Friedhof auf dem Zionsberg begraben wollte, weil sie in seinen Augen keine Christen waren.«
1894 baute einer der Templer, der Architekt Hermann Imberger, ein katholisches Kloster für die Borromäerinnen, heute Deutsches Hospiz St. Charles. Man kann dort übernachten. Außerdem beherbergt das Hospiz eine arabischsprachige Schule. Auch heute noch geben deutsche Staatsoberhäupter dort bei Besuchen in Israel gerne Empfänge für Deutsche, die im Land bzw. in Palästina leben und arbeiten.
Im Ersten Weltkrieg wurden die Templer nach Einzug der Briten ins bis dahin osmanische Palästina kurzzeitig in Ägypten interniert. Unter der britischen Kolonialherrschaft, schönrednerisch Mandatsherrschaft genannt, konnten sie wieder zurückkehren. In der Nazizeit zeigten sich einige wenige Templer offen als Parteigänger des Faschismus. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden sie deshalb nach Australien deportiert.
Nach Gründung des Staates Israel begann unter dem ersten bundesrepublikanischen Kanzler Konrad Adenauer (CDU) die volle westdeutsche Unterstützung für den neugeschaffenen Staat. Damit wurde Westdeutschland »rehabilitiert« und in die westliche »demokratische« Staatengemeinschaft aufgenommen. Dazu gehörte natürlich auch die NATO-Mitgliedschaft. Nach dem Junikrieg 1967 und trotz aller internationaler Beschlüsse stand die Bundesrepublik weiterhin uneingeschränkt hinter Israel. Nur ab und an wurde verhalten verbale Kritik an der Besetzung geäußert.
In Ostjerusalem stößt der Besucher auf die deutsche Schmidt-Schule, ebenfalls von Borromäerinnen geleitet, und direkt daneben auf das Paulus-Haus, gegenüber dem Damaskus-Tor, das in die Altstadt hineinführt. Die Schule wurde 1886 gegründet, und der Träger ist bis heute der Deutsche Verein vom Heiligen Land mit Sitz in Köln. Seine Vorläufer gehen auf 1855 zurück. Anders als die Templer konnten sie keine katholischen Siedler für Palästina finden.
In der Altstadt steht die 1898 vom Kaiser eingeweihte Erlöserkirche, geleitet von einem deutschen Propst. Auch der evangelische Bischof von Palästina hat dort seinen Sitz. Die Aufteilung des an die Kirche anschließenden Gebäudes spiegelt klare Machtverhältnisse wider: Die Propstei dominiert alles und verfügt über die schönsten und am besten plazierten Räume. Der palästinensische Bischof ist dagegen schon fast in den Keller gedrängt. Wie lange werden sich die palästinensischen Protestanten das wohl noch gefallen lassen?
Religion im Zentrum
Wenn man durch das Zionstor geht, findet man direkt außerhalb der Altstadt die Dormitio. Nach wie vor ist sie in der Hand des Benediktinerordens. Pater Laurentius Klein gründete dort Anfang der siebziger Jahre das »Theologische Studienjahr« für Theologiestudenten aus Deutschland sowie inzwischen auch aus der Schweiz und Österreich. Von dort aus kann man sehr gut den Ölberg und den Turm der Augusta-Victoria-Kirche sehen. Aus dem von Wilhelm II. etablierten Pilgerzentrum wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ein Krankenhaus des UN-Hilfswerks UNRWA für die medizinische Versorgung palästinensischer Flüchtlinge, zunächst nur aus Ostjerusalem und der Westbank, seit 1967 auch aus dem Gazastreifen. Inzwischen wurden Teile davon in ein Privatkrankenhaus umgewandelt. Ibrahim Ladaa, der das Krankenhaus bis dahin geleitet hatte, trat aus Protest gegen diese Privatisierung zurück.
Seit Jahren werden die Kirche, damit verknüpfte Räume und das Krankenhaus renoviert. Wie zu erfahren ist, soll auf dem Gelände wohl ein deutsches Zentrum mit allen im Lande aktiven Organisationen entstehen – vorausgesetzt, die israelische Regierung gestattet weiterhin deren Präsenz. In einem kleinen Haus am Rande des Terrains der Augusta-Victoria-Kirche stoßen wir auf das Deutsche Evangelische Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes (DEI). Es ist eine Forschungseinrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie des Deutschen Archäologischen Instituts.
Die Gründung des Instituts 1900 wurde durch einen Hoheitsakt Wilhelms II. offiziell bestätigt. Der erste Direktor war Gustaf Dalman. Was in deutschen Publikationen übergangen wird – wen erstaunt es –, ist die Tatsache, dass ein palästinensischer Arzt und passionierter Ethnologe, Taufik Kanaan, mit Dalman Kodirektor des Instituts war. Kanaan lebte in dem Haus, ein regelrechtes Kleinod mit einem faszinierenden Blick auf die östliche Berglandschaft bis hinüber nach Jordanien. Kanaan hat viel publiziert, und sein Nachlass mit vielen Sammlungen wird an der Universität Birzeit aufbewahrt.
Dalman bleibt unvergessen durch sein Lebenswerk »Arbeit und Sitte in Palästina«, insgesamt sieben Bände. Zusätzlich hat er einen »Palästinensischen Diwan« publiziert, in dem palästinensische Volkslieder gesammelt sind, transkribiert in Umgangsarabisch und mit Noten. Diese Arbeiten sind faszinierende und bis heute unübertroffene ethnographische Studien. Leider sieht Dalman Palästina um die Jahrhundertwende ausschließlich aus der Perspektive der Bibel. Seine Fragestellung war, wie es in biblischer Zeit gewesen sein könnte bzw. was an biblische Zeiten erinnert. Das schmälert den Wert seiner Arbeit. Das Institut unternimmt heute archäologische Ausgrabungen mit teilweise problematischen Zielen und ist wohl viel zu eng mit der israelischen Archäologie verknüpft.
Kommen wir zurück zum Anfang: der Reise des Kaisers im Jahr 1898. Seit dem 7. Oktober 2023 hatte die scheidende deutsche Außenministerin Annalena Baerbock offensichtlich dasselbe Ziel wie einst Wilhelm II. nach dem Gedicht von Wedekind: die Schmach vom heilgen Land zu nehmen, noch nicht von ihr besucht zu sein …
Helga Baumgarten ist emeritierte Professorin für Politik der Universität Birzeit bei Ramallah.Die junge Welt veröffentlicht regelmäßig von ihr die Kolumne »Brief aus Jerusalem«.
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