Gaza erfriert
Von Jörg Tiedjen
Es vergeht nicht ein Tag ohne alarmierende Nachrichten über die Notlage in Gaza. Am Dienstag berichtete die Nachrichtenagentur WAFA, dass in Anbetracht einer jüngsten Kältewelle wieder drei Neugeborene in der Nacht erfroren seien, mehrere befänden sich in einem kritischen Zustand. In einem auf X verbreiteten Video appellierte Said Salah, der Direktor der Hilfsorganisation »Patient’s Friends Society« in Gaza, an die zuständigen Behörden, endlich Behelfsunterkünfte und mehr Dieseltreibstoff in das kriegszerstörte Gebiet zu lassen. Zwar meldete die UNO am Dienstag, dass eine Hungersnot in Gaza vorerst abgewendet sei. Doch seit Beginn der Waffenruhe im Januar werden Lieferungen etwa von Wohncontainern von Israel behindert.
Ebenfalls am Dienstag veröffentlichte der Londoner Guardian einen Bericht über das Vorgehen der israelischen Besatzungsmacht gegen die medizinische Infrastruktur und das entsprechende Personal in Gaza. Darin wird hervorgehoben, dass seit dem 7. Oktober 2023 »bereits mehr als 1.000 medizinische Mitarbeiter im Gazastreifen getötet und viele Krankenhäuser in Schutt und Asche gelegt worden seien, bevor die Waffenruhe im Januar in Kraft trat«. 27 von 38 Kliniken seien angegriffen worden, was gegen die Genfer Konvention verstößt. Darüber hinaus seien »Hunderte weiterer medizinischer Mitarbeiter, die die Luftangriffe und Bodenangriffe überlebt hatten, verhaftet oder illegal über die Grenze gebracht worden und in israelischen Gefängnissen verschwunden, darunter Dutzende Ärzte«.
In den Interviews des Guardian und der Gruppe Arabische Reporter für investigativen Journalismus (ARIJ) hätten zudem »sieben der renommiertesten Ärzte Gazas«, die die Hölle der israelischen Gefängnisse überlebt haben, »auf erschütternde Weise Folter, Schläge, Hunger und Demütigungen« bezeugt, »die sie während ihrer monatelangen Haft erlitten haben«. Die Berichte stimmten darin überein, dass sie offensichtlich nur deswegen verfolgt wurden, weil sie Ärzte sind. Einige gingen zudem davon aus, dass sie aus eben diesem Grund »von Gefängniswärtern und Vernehmungsbeamten mit besonders schwerer Gewalt bedroht wurden«.
Gegen Palästinenser gerichtete Drohungen und Vernichtungsphantasien sind in Israel ohnehin an der Tagesordnung. So bezeichnete der stellvertretende Sprecher der Knesset, Nissim Vaturi von Benjamin Netanjahus Likud, in einem Interview die Zivilisten Gazas als »Abschaum und Untermenschen«. »Wir müssen die Kinder und Frauen trennen und die Erwachsenen in Gaza töten. Wir sind zu vorsichtig«, sagte Vaturi am Sonntag im ultraorthodoxen Radiosender Kol Barama. Der israelische Sänger Ofer Levy, der 1982 an der Libanon-Invasion teilgenommen hatte, erklärte dann am Montag in einem Videoblog der israelischen Zeitung Maariv, dass er, wenn er heute Soldat wäre, »keine Gefangenen« nehmen würde, vielmehr würde er »alle töten« und »alles niederbrennen«. Derartige Äußerungen sind kein Einzelfall.
Entsprechend unklar ist, wie es mit den Verhandlungen über einen Waffenstillstand weitergeht, zumal die erste Phase der gegenwärtigen Feuerpause am Wochenende ausläuft. Am Sonnabend hatte Israel die Freilassung von 620 Palästinensern auf unbestimmte Zeit verschoben. Zur Begründung wurden Verletzungen der Waffenruhe seitens der Hamas angegeben – und »der zynische Gebrauch von Gefangenen für Propagandazwecke«. Zuvor waren auch am Sonnabend bei der Freilassung israelischer Geiseln wieder geradezu freundschaftliche Gesten derselben gegenüber ihren Hamas-Entführern zu sehen.
Am Montag verweigerte Israel der französischen EU-Abgeordneten Rima Hassan die Einreise. Der israelische Innenminister Mosche Arbel rechtfertigte dies mit dem anhaltenden Engagement der selbst palästinensischstämmigen Politikerin der La France insoumise (LFI) gegen den Völkermord in Gaza. Am gleichen Tag verkündete der deutsche Wahlsieger Friedrich Merz, er werde einen Weg finden, dass Israels Premier Benjamin Netanjahu Deutschland besuchen könne, ohne eine Festnahme fürchten zu müssen – schließlich ist auf ihn ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs ausgesetzt. So beabsichtigt also der neue deutsche Regierungschef in spe, internationales Recht zu stärken.
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