Maschine klar, Navigationsgeräte überprüft
Die »Tahrir« ist zum Auslaufen bereit – nur auf der Brücke und im Maschinenraum werden noch letzte Vorbereitungen getroffen.
Die beiden GPS-Geräte (Global Positioning System, ein Satellitensystem zur elektronischen Positionsbestimmung) sind überprüft und eingeschaltet, das Radargerät ist betriebsbereit. Das Seefunkgerät ist auf Kanal 16 eingestellt, dies ist der internationale Arbeits- und Notrufkanal.
Ein roter Schalter an der Vorderseite ist mit einer Plastikkappe gegen unbeabsichtigte Berührungen geschützt: Wenn man ihn drückt, wird automatisch ein SOS-Signal ausgestrahlt, das auch gleich die letzte per GPS gefundene Position durchgibt. Auch der Autopilot, der elektronische Rudergänger, ist überprüft und eingeschaltet.
Eines der GPS-Geräte ist mit einer elektronischen Seekarte ausgestattet, sicherheitshalber kauft die Besatzung bei einem Marine-Ausstatter noch die neuesten Karten der umliegenden Seegebiete ein.
Auch ein neuer Zirkel und Kursdreiecke müssen her. Es soll auch noch das neueste Leuchtfeuerverzeichnis aufgetrieben werden.
Moderne Kommunikationsmittel
Um den Kontakt zur Außenwelt halten zu können – besonders wichtig für die mitreisenden Journalisten, waren einige Umbauten nötig. Die 24-Volt-Gleichstromanlage wurde durch einen Zerhacker (Umwandlung von Gleich- in Wechselstrom) sowie einen Transformator ergänzt, der den Strom in 220 Volt umwandelt.
Somit können die zahlreichen Mobiltelefone, Laptops und Digitalkameras aufgeladen werden. Darüber hinaus wurde das Schiff mit einem Internetanschluß ausgestattet, der über Satellit läuft. Für den Notfall gibt es noch einige Satellitentelefone an Bord.
Die Maschinen- und die Wellenanlage ist überprüft, den beiden jeweils 550 PS starken Caterpillar-Dieselmotoren wurden neue Öl- und Kraftstoffilter spendiert. Sie wurden auch mit frischem Maschinenöl befüllt. Bei zwölf Knoten Fahrt (ein Knoten ist eine Seemeile pro Stunde) haben wir eine Reichweite von 600 Seemeilen (eine Seemeile ist gleich 1,852 Kilometer).
Auch das Seeventil, über die beiden Dieselmotoren mit Kühlwasser versorgt werden, ist überprüft – nicht nur von innen, sondern auch von außen. Mehrere Taucher hatten unter Wasser den Algenbewuchs abgekratzt. »Wir haben aber die kritischen Stellen wie Propeller, Welle und die Umgebung des Seeventils ausgespart«, sagte einer von ihnen. »Falls sich ein Sabotagekommando von israelischen Kampfschwimmern daran zu schaffen gemacht haben sollte, sehen wir das sofort.«
Seerechtsexperte eingeschaltet
Ob die »Tahrir« tatsächlich auslaufen kann, bleibt abzuwarten. Erst gestern ist das spanische Schiff »Gernika«, das westlich von Agios Nikolaos in Hania lag, von der Küstenwache daran gehindert worden. Das US-Schiff »Audacity of Hope« – benannt nach einem Buchtitel von US-Präsident Barak Obama – war bereits am Freitag kurz nach dem Auslaufen aus dem Hafen von Piräus aufgebracht worden. Seitdem liegt es in einem Hafen der Küstenwache, der Kapitän soll heute oder morgen vor Gericht gestellt werden.
In langen Verhandlungen mit dem Hafenamt von Agios Nikolaos, in die sich auch der Parlamentsabgeordnete des Linksbündnisses SYRIZA, Michalis Kritsotakis einschaltete, hatte die Schiffsführung erreicht, daß die »Tahrir« auslaufen darf – allerdings nur bis zu einer Entfernung von 60 Seemeilen. Damit wäre das Schiff schon in internationalen Gewässern – die griechische Seegrenze beträgt nur zwölf Seemeilen.
Andererseits hatte die griechische Regierung das Auslaufen aller acht Schiffe der Gaza-Flottille verboten – eine Entscheidung, die sich gerichtlich wohl nicht halten läßt. Das »Steering Committee« der Lenkungsausschuß der Flottille, hat deshalb in Athen Rechtsanwälte eingeschaltet. Parallel dazu hat die Schiffsführung der »Tahrir« in Agios Nikolaos einen lokalen Anwalt in Gang gesetzt, der auf Seerecht spezialisiert ist. Heute morgen liefen noch letzte Verhandlungen.
Jetzt sind folgende Varianten denkbar: Die erste und wahrscheinlichste ist, daß die Küstenwache die »Tahrir« gar nicht erst auslaufen läßt. Seit gestern hat ein Patrouillenboot der Küstenwache direkt neben dem Schiff festgemacht. Die zweite Möglichkeit ist, daß man die »Tahrir« aus dem Hafen läßt, sie aber nur 60 Seemeilen weit fahren läßt. Dritte Variante: Die Küstenwache gibt sich damit zufrieden, daß die Schiffsführung als Ziel einen türkischen, tunesischen oder ägyptischen Hafen angibt und versichert, nicht nach Palästina zu fahren.