Kampf um die Jugend
Mittags an der Metrostation Chacaito, in einem eher mittelständisch geprägten Viertel der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Einige hundert Studenten der Katholischen Universität Andrés Bello (UCAB) haben sich hier versammelt, um für ihren Kandidaten Henrique Capriles Radonski zu werben.
Sie tragen weiße T-Shirts, auf denen sie sich zu »Helden der Demokratie 2012« erklären. Die Hemden werden zu Dutzenden kostenlos an die Teilnehmer verteilt, mancher nimmt sich auch gleich zwei oder drei mit, und auch ein Straßenkehrer deckt sich mit neuer Wäsche ein.
Inhalte
sind bei dieser Kundgebung, zu der die meisten der Teilnehmer mit der
U-Bahn aus Nobelvierteln wie Chacao im Osten der Hauptstadt gekommen
sind, Fehlanzeige. »Studenten! Studenten!« oder »UCABista!« lauten ihre
Sprechchöre, und auf den in Massen verteilten Aufklebern wird »die
Zukunft« beschworen. Von Vorschlägen und Forderungen, was sich in
Venezuela konkret ändern muß, ist nichts zu hören. Nur daß Hugo Chávez
weg muß, darin sind sich hier alle einig.
Gelangweilt
betrachten vielleicht hundert Meter entfernt einige Anhänger des
amtierenden Präsidenten, die auch nicht älter sind als die Jugendlichen
dort, das lautstarke Treiben. Sie haben einen »roten Punkt« aufgebaut.
So heißen die Infostände mit Werbematerial für Hugo Chávez, die in
diesen Tagen an nahezu jeder Straßenecke der Innenstadt zu finden sind.
Plakate, das Wahlprogramm, Broschüren mit Reden und kleine Flyer über
die Errungenschaften des nun schon 13 Jahre dauernden revolutionären
Prozesses werden zu Tausenden verteilt. »Das ist eine Minderheit«, sagt
einer der Chavisten schulterzuckend und deutet auf die
Capriles-Anhänger. »Vielleicht ein Drittel oder ein Viertel der
Studenten sind so drauf.«
Tatsächlich haben Umfragen gezeigt,
daß Hugo Chávez auch unter den Jungwählern mit einer Mehrheit rechnen
kann, doch wird sie in dieser Altersgruppe knapper ausfallen als etwa
unter den 35- bis 50jährigen. »Die Gefahr, daß die Revolution die Jugend
verliert, besteht«, räumt Gustavo Rodríguez, der im lokalen
Rundfunksender La Son del 23 eine wöchentliche Sendung moderiert, im
Gespräch mit junge Welt ein. »Wir haben eine große
Verantwortung, das zu verhindern.« Er selbst hat erlebt, wie die
Realität Venezuelas vor dem Amtsantritt von Hugo Chávez aussah. Er wuchs
in einem Rancho, einer selbstgebauten Hütte, auf, die direkt an einem
Abwasserkanal lag. Von der Polizei wurde er in demselben Gebäude
mißhandelt, in dem heute sein Rundfunksender installiert ist.
Nachdem
die Beamten der damaligen Hauptstadtpolizei Policía Metropolitana aus
dem Gebäude vertrieben worden waren, richtete sich dort vor sieben
Jahren die Coordinadora Simón Bolívar ein, ein Bündnis linker Gruppen
aus dem für seine kämpferischen Traditionen bekannten Stadtviertel 23 de
Enero. An eine Polizeiwache erinnert hier heute nichts mehr. Die
Außenwände sind mit den Bildern Che Guevaras und Simón Bolívars bemalt,
drinnen rufen Plakate zur Solidarität mit Palästina auf oder zeigen das
Porträt des legendären Comandante der kolumbianischen FARC-Guerilla,
Manuel Marulanda. In einem Nachbargebäude arbeitet ein »Infocentro«:
Rund zwei Dutzend moderne Computer stehen hier zur Nutzung bereit, in
Kursen wird den Nachbarn, von denen die wenigsten selbst bereits einen
Rechner besitzen, der Umgang mit der neuen Technik vermittelt. Auch
andere Missionen, die unter Chávez eingeführten Sozialprogramme, haben
hier ihren Sitz. »Am Sonntag wird im 23 de Enero Fiesta sein. Das ganze
Viertel wird auf der Straße sein, um den Sieg unseres Präsidenten und
der Bolivarischen Revolution zu sichern«, ist sich Gustavo Rodríguez
sicher. Er wolle sich nicht ausmalen, was in diesem Land passieren
würde, wenn entgegen allen Erwartungen doch Capriles und die Opposition
die Präsidentschaftswahl gewinnen würden: »Dann herrscht hier wieder
Krieg.«
Damit das nicht passiert, nutzt auch Gustavo Rodríguez
seine Sendung, um die Hörer zur Besonnenheit aufzurufen. »Reagiert nicht
auf die Gerüchte, die gestreut werden, um die Lage zu destabilisieren!«
Am Sonntag komme es darauf an, die Wahl mit möglichst großem Vorsprung
zu gewinnen, um den Manipulationsgerüchten jede Grundlage zu entziehen.
»Wir werden unseren Wahlsieg verteidigen – selbst wenn er nur mit einer
Stimme Mehrheit erreicht worden sein sollte«, zeigt sich Gustavo
Rodríguez überzeugt. »In diesem Land darf es kein Zurück geben.«