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Aus: Ausgabe vom 18.07.2024, Seite 2 / Inland
Tod in Gewahrsam

»Seitdem änderte sich nichts an den Verhältnissen«

Berlin: Bündnis plant zum Todestag von Ferhat Mayouf Gedenkdemo. Neue Broschüre über Leben und Sterben im Knast. Ein Gespräch mit Lotta Maier
Interview: Marc Bebenroth
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Offenbar ohne moderne Brandschutztechnologie: Zellentrakt in der Justizvollzugsanstalt Moabit (Berlin, 7.12.2023)

In der Berliner JVA Moabit ist am 23. Juli 2020 der Gefangene Ferhat Mayouf in seiner Zelle gestorben. Der Anwalt seines Bruders konnte nicht verhindern, dass die Justiz den Fall zu den Akten legte, obwohl die Gefängnisbeamten an dem Tag fragwürdig gehandelt hatten. Wer war Ferhat Mayouf?

Er kam aus Algerien und lebte in Berlin. Ferhat Mayouf hatte keinen legalen Aufenthaltsstatus und musste deswegen wahrscheinlich unter sehr prekären Verhältnissen leben, illegal arbeiten, vermutlich auch durch Kleinkriminalität seinen Lebensunterhalt bestreiten. So wurde er Ende Juni 2020 festgenommen, weil ihm und einigen anderen Personen versuchter Diebstahl vorgeworfen wurde. Weil er keine Meldeadresse hatte und keinen legalen Aufenthalt, kam er direkt in U-Haft.

Wieso starb Ferhat Mayouf?

Es kam am 23. Juli 2020 spätabends zu einem Brand in seiner Zelle. Das haben andere Gefangene bemerkt und die Beamten der JVA darauf aufmerksam gemacht. Aussagen von Mitgefangenen zufolge rief Ferhat Mayouf zu dem Zeitpunkt noch um Hilfe, war also bei Bewusstsein. Er soll auch an die Tür oder die Wände geklopft haben. Dennoch entschieden die JVA-Beamten, seine Tür nicht zu öffnen und statt dessen das Eintreffen der Feuerwehr abzuwarten. Das hat 20 bis 25 Minuten gedauert, die Ferhat Mayouf sehr wahrscheinlich das Leben gekostet haben. Als endlich die Tür geöffnet werden konnte, blieben Wiederbelebungsversuche erfolglos.

Woher wissen Sie vom Hergang?

Wir haben zum einen die Aussagen von Mitgefangenen, die gehört haben, dass es noch die Schreie gab, und die festgestellt haben, dass die Tür nicht geöffnet wurde. Besonders möchte ich den ehemaligen Mitinsassen Kay Schedel erwähnen, der trotz erheblicher Repressionen entschlossen für Aufklärung und gegen das Vertuschen gekämpft hat. Weitere Informationen haben wir von dem Rechtsanwalt Benjamin Düsberg, der im Auftrag von Ferhats Bruder Anzeige gegen die verantwortlichen JVA-Bediensteten gestellt hat. Er hatte zuvor auch Ferhat Mayouf selbst vertreten und wusste so über dessen Haftbedingungen Bescheid.

Wie groß sind nach vier Jahren die Chancen für eine vollständige Aufklärung?

Wir rechnen nicht damit, dass sich rechtlich noch irgendwas tut. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen die JVA-Bediensteten relativ schnell eingestellt, auch eine Beschwerde dagegen war erfolglos. Wir bleiben dennoch an dem Fall dran, weil sich an den Verhältnissen, die zum Tod von Ferhat Mayouf führten, nichts geändert hat.

Heißt das, in der JVA Moabit gab es beim Brandschutz keine Verbesserung?

In Ferhats Fall wurde ein unabhängiges Brandgutachten bei einem britischen Spezialisten in Auftrag gegeben. Der war sehr überrascht darüber, dass es keine Technik in der JVA Moabit gibt, um Feuer zu löschen, ohne die Zellentür zu öffnen.

Sie gedenken jedes Jahr Ferhat Mayoufs mit einer Demonstration. Was planen Sie anlässlich seines vierten Todestages?

Es ist wieder eine Demo in Moabit geplant, mit Redebeiträgen von Gruppen, die zu Repression, Knast und Polizeigewalt arbeiten.

Auch eine Broschüre soll veröffentlicht werden. Was wird darin zu lesen sein?

Die Broschüre informiert zum einen über die Todesumstände von Ferhat. Wir wollten alle verfügbaren Informationen dazu bündeln. Sie enthält darüber hinaus kurze Statements verschiedener Gruppen, die aus ihrer Perspektive zu diesem Fall sowie generell zu Knast und Repression berichten. Zusätzlich bieten wir darin kurze Texte und Interviews zum Zusammenhang von Armut, Migration und Gefängnis.

Für wen ist die Broschüre gemacht?

Uns war wichtig, auf eine »klassische autonome Antiknastästhetik« zu verzichten, um auch Menschen anzusprechen, die sich nicht schon seit Jahrzehnten mit Knastkritik auseinandersetzen. Außerdem ist die Broschüre zwar hauptsächlich auf Deutsch verfasst, sie enthält aber auch kurze Passagen auf Englisch und Arabisch – auch weil Arabisch die Hauptsprache von Ferhat Mayouf war. Wir verteilen die Broschüre auf der Demo, zusätzlich findet man sie auf der Seite der Roten Hilfe Berlin.

Lotta Maier ist aktiv in der Initiative »Death in Custody« und beteiligt sich an der Organisation der diesjährigen Demonstration im Gedenken an Ferhat Mayouf

Demo: 23.7., ab 17.30 Uhr, U-Bhf. Turmstraße, Berlin

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