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Aus: Ausgabe vom 18.07.2024, Seite 5 / Inland
Stadtentwicklungspolitik

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Berlin: Pilotprojekt will »Fehlnutzungen« beenden. Linke kritisiert Geldfluss an Toilettenbetreiber Wall
Von Oliver Rast
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»Stadtplanung« auf berlinisch: Öffentliche Toilettenanlagen des Branchenprimus Sperrgebiet für Subs

Der öffentliche Raum ist ihr zu Hause. Parkanlagen sind ihre Begegnungsstätte. Toilettenhäuschen ihr stiller Ort, sprichwörtlich. Bloß, alles kein Ersatz für die eigene Butze, kein Ersatz für das wohlige Gefühl, die Wohnungstür hinter sich zumachen zu können. Völlig stressfrei. Wohnungs- und Obdachlose haben das nicht. Zahlreiche Kommunalpolitiker verwünschen »Umherirrende«, würden sie am liebsten aus Innenstädten verbannen. Und dafür lassen sie sich einiges einfallen.

Etwa das »Pilotprojekt zur mobilen Betreuung öffentlicher Toiletten«. Eine Maßnahme aus einem Bündel, ersonnen auf dem »Berliner Sicherheitsgipfel« Anfang September. Unter der Regie des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) und der Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Hauptergebnisse: mehr Polizeistreifen, mobile Drogenkonsumräume, Zaun um den Görlitzer Park (Görli) in Kreuzberg. Nach der Lesart der »schwarz-roten« Koalition verfolgen die Sicherheitsgipfler damit einen »gesamtstädtischen und interdisziplinären Ansatz« – inklusive ein bisschen soziale Arbeit für Drogenuser.

Oppositionelle im Hauptstädtischen Abgeordnetenhaus haben da so ihre Zweifel. Dazu gehört Katalin Gennburg (Die Linke). Die Fraktionssprecherin für Stadtentwicklung und Umwelt hatte kürzlich eine Schriftliche Anfrage gestellt – Titel: »Toilettenreinigung mit Klobürste und Knüppel«. Die Antwort der zuständigen Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr und Umwelt von Ute Bonde (CDU) liegt jW vor. Demnach sei das Kooperationsprojekt von Senatsverwaltung und Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg zunächst auf zwei Jahre angesetzt. Insgesamt seien »13 Toilettenstandorte im Bereich rund um den Görlitzer Park bis hin zum Kottbusser Tor und zur Warschauer Brücke« betroffen. Das Projektziel: »Die öffentlichen Toiletten in den durch Drogenkonsum belasteten Sozialräumen mit hohem Nutzungsdruck wieder für die Allgemeinheit nutzbar zu machen und zu halten.« Sogenannte Fehlnutzer würden aufgefordert, »die Toilette unverzüglich zu verlassen«. Notfalls über »110«.

Betreiber der Anlagen ist die Wall GmbH. Im Klosettranking der Branchenprimus. Und der ist vertraglich verpflichtet, einen fachgerechten Tipptoppzustand der »Null-Null-Anlagen« zu gewährleisten. Was offenbar am Görli nicht gut klappt. Deshalb musste der Bezirk einen weiteren Reinigungsdienst beauftragen. Zusatzkosten. Denn für das Pilotprojekt waren aus Mitteln des »Sicherheitsgipfels« 1,6 Millionen Euro veranschlagt worden. Wie rechtfertigt der Senat die Extragelder? Sperrig: Der Park habe »eine gesamtstädtische Bedeutung durch die bezirksübergreifende Ausstrahlungswirkung und stadtweiten Bedeutung einer offenen Drogenszene und eines damit verbundenen Kriminalitätsschwerpunktes erlangt« (Sic!).

Gennburg überzeugt das nicht. Die CDU-geführte Stadtstaatregierung verbrenne mehr als anderthalb Millionen Euro, »statt den Konzern Wall zur Einhaltung seiner Vertragspflichten zu zwingen«, betonte die Linke-Politikerin am Mittwoch im jW-Gespräch. Inakzeptabel, durchweg. Weil: Wall mache seit Jahrzehnten Big Business mit Stadttoiletten, Werbetafeln, Bushaltestellen. Und mittels CDU-Wall-Kumpanei werde der Görli weiter zum Hochrisikogebiet stilisiert – und nebenbei die Debatte um kostenfreie Toiletten für alle vom Tisch gefegt. Also: der Notraum für Wohnungs- und Obdachlose dichtgemacht.

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