75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Montag, 9. September 2024, Nr. 210
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 29.07.2024, Seite 6 / Ausland
Kurdistan-Konflikt

Appell für Öcalan

Nobelpreisträger rufen internationale Institutionen auf, sich für eine Freilassung des in der Türkei inhaftierten PKK-Gründers einzusetzen
Von Tim Krüger
imago0442219065h.jpg
PKK-Anhänger demonstrieren gegen Faschismus in der Türkei und fordern »Freiheit für Öcalan« (Brüssel, 25.3.2024)

Insgesamt 69 Nobelpreisträger aus den Bereichen Chemie, Wirtschaft, Literatur, Medizin, Physik und Frieden haben sich vergangenen Freitag mit einem offenen Brief an das Ministerkomitee des Europarates, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) sowie den Menschenrechtsausschuss der UNO gewandt und die Freilassung des in der Türkei inhaftieren kurdischen Politikers und Revolutionärs Abdullah Öcalan gefordert. Die Unterzeichnenden brachten ihre »anhaltende und wachsende Besorgnis über die Bedingungen zum Ausdruck (…), unter denen der kurdische Führer Abdullah Öcalan trotz der beharrlichen Bemühungen seiner Familie, seiner Anwälte und anderer Personen während seiner 25jährigen Haft auf der türkischen Insel İmralı festgehalten wird«, und forderten die EU- und internationalen Einrichtungen zum Handeln auf.

Öcalan war am 15. Februar 1999 aus der griechischen Botschaft in Kenia entführt und in die Türkei verschleppt worden. Er gilt als Vordenker der kurdischen Freiheitsbewegung und befindet sich, seit die 1999 gegen ihn verhängte Todesstrafe im Jahr 2002 in lebenslängliche Haft umgewandelt wurde, in einer immer wieder nur kurz unterbrochenen Isolationshaft auf der Gefängnisinsel İmralı im Marmarameer. Ein großer Teil der kurdischen Bevölkerung betrachtet Öcalan als politischen Repräsentanten, und auch in der Haft trat er immer wieder als Verhandlungsführer der kurdischen Seite in Friedensgesprächen zwischen der PKK und der türkischen Regierung in Erscheinung.

Noch während des Friedensprozesses 2013 bis 2015 ermöglichte die türkische Regierung Abgeordneten der Demokratischen Partei der Völker (HDP) regelmäßige Besuche auf der Gefängnisinsel, um in den indirekten Verhandlungen zwischen der Führung der PKK in den Bergregionen des Nordiraks und der türkischen Regierung als Vermittler zu wirken. Doch 2015 beendete die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan die Verhandlungen mit Öcalan abrupt und kündigte den Waffenstillstand mit der Guerilla der PKK einseitig auf. Seitdem befindet sich Öcalan in nahezu vollständiger Isolation. Schon seit 2011 verwehrte die türkische Regierung seinen Anwälten einen regelmäßigen und geordneten Zugang zu ihrem Mandanten. Nach einem kurzen und aus unbekannten Gründen unterbrochenen Telefonat mit seinem Bruder Mehmed Öcalan am 25. März 2021 hatte der mittlerweile 75jährige Gefangene keinen Kontakt mehr zur Außenwelt.

Die 69 Akademiker, Schriftsteller und Menschenrechtsaktivisten beklagen in ihrem offenen Brief, dass es trotz der offensichtlichen Isolation und der ständigen Verletzungen von Öcalans Rechten an »sinnvollen Bemühungen der hier angesprochenen europäischen Einrichtungen sowie des UN-Menschenrechtsausschusses« mangele. So ist das CPT verpflichtet, die Haftbedingungen in den Gefängnissen der Mitgliedstaaten des Europarates, darunter auch der Türkei, zu untersuchen und etwaige Verletzungen festzustellen. Obwohl Öcalans »Rechte durch die türkische Verfassung« sowie »durch Statuten und Verordnungen der EU und durch internationales Recht garantiert sind, scheint nichts davon von Bedeutung zu sein«, kritisieren die Unterzeichnenden und stellen fest, dass eine Wiederaufnahme der 2015 ausgesetzten Verhandlungen nur mit Öcalan möglich wäre. Die 1997 für ihr Engagement gegen den Einsatz von Landminen ausgezeichnete Jody Williams, die den Aufruf initiiert hat, erklärte gegenüber dem kurdischen Fernsehsender Medya Haber: »Seit die Türkei das kurdische Volk in Syrien und dem Irak angegriffen hat«, sei die Frage »zu einem regionalen Problem geworden«.

Der dringende Appell schließt an die im Oktober 2023 begonnene Kampagne »Freiheit für Öcalan – eine politische Lösung der kurdischen Frage« an. Zuletzt hatten sich Anfang Juni 100 Personen des öffentlichen Lebens aus Deutschland an das CPT gewandt. Kariane Westrheim, emeritierte Professorin an der Universität Bergen, erklärte im Namen der Kampagne gegenüber jW, dass eine »gerechte und demokratische politische Lösung für die jahrhundertealte kurdische Frage« nur möglich sei, indem »Abdullah Öcalan die Teilnahme an einem erneuten Dialog ermöglicht« werde.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Stets im Visier der Staatsgewalt: Tausende Demonstranten fordern...
    04.06.2024

    Petition für Öcalan

    Antifolterkomitee soll Haftbedingungen des PKK-Gründers in der Türkei prüfen
  • Kurdischen Journalisten und Kulturschaffende am Dienstag vor den...
    26.04.2024

    Gehilfen Ankaras

    Parallel zum Einmarsch der türkischen Armee in die Kurdistan-Region des Irak nimmt der Druck auf kurdische Medien und Aktivisten in Europa zu

Regio:

Mehr aus: Ausland