»Es muss erst Aufklärung erfolgen«
Interview: Yaro AllisatBei den sogenannten U 18-Wahlen, die vor der Landtagswahl in Sachsen und Thüringen stattfanden, sind Sie bedroht worden. Was ist passiert?
Wir organisierten eines der »Wahllokale«, bei denen die »U 18-Wahl« in Plauen stattfand. Schon morgens kam eine Berufsvorbereitungsklasse rein. Da gab es einen »rechten Block«, der immer wieder Kommentare in unsere Richtung gemacht hat. Die Lehrerinnen haben mich aber fast noch mehr aufgeregt: Von einer Pädagogin wurde sogar die Hufeisentheorie bedient. Im Nachgang wurden wir von einer Lehrerin verantwortlich gemacht, wir seien doch selbst schuld, dass ihre Schüler hier so reden.
Am Nachmittag kamen dann fünf Jungs rein und meinten: »Wir wollen die NSDAP wählen.« Ich habe gesagt, dass das zum Glück nicht mehr geht und dass alles weitere auf den Wahlzetteln steht. Dann haben sie die Peace-Fahne auf einem Tisch entdeckt. Die wollten sie mitnehmen und verbrennen, meinten sie. Ich habe ihnen gesagt, dass das nicht geht. Sie haben sich in die Tür gestellt und gesagt: »Aber zum CSD am Samstag, da kriegt ihr richtig auf die Fresse.« Ich habe sie gefragt, ob sie sich nicht schämen, ich könnte ihre Großmutter sein. Dann sind sie abgezogen.
Vor einiger Zeit haben wir auch eine anonyme Drohung per Mail bekommen, dass uns demnächst mal gezeigt werde, wo es langgeht.
Dass Sie rechten Angriffen und Bedrohungen ausgesetzt seid, ist nicht neu?
Nein. Neu ist aber, dass es so viele junge Leute sind. 54 Prozent haben im Vogtlandkreis bei den »U 18-Wahlen« für die AfD gestimmt. Diese »Vogtland-Revolte«, so nennen sie sich, gibt es sichtbar seit ungefähr vier Wochen, seit dem CSD in Bautzen, der massenhaft von Nazis angegriffen wurde. Auf Social Media hieß es: Das können wir im Vogtland auch. Aber es sind nicht mehr die Springerstiefel von früher, sondern das sind Milchreisbubis, so hätte man die früher genannt, ohne Bartwuchs und auch Mädchen. Wer die anführt und anheizt, wissen wir noch nicht. Die vielen Stimmen für die Höcke-AfD in Thüringen hängen sicher auch damit zusammen, dass dort mit 16 Jahren gewählt werden durfte. Ich war immer dafür, dass auch junge Menschen wählen dürfen. Aber es muss erst Aufklärung erfolgen, und da leistet die Schule zuwenig.
Was ist die Konsequenz für Sie aus dieser Bedrohungslage?
In Greiz ist Höcke mit jungen Menschen Moped gefahren. Wir waren dort zum Demokratiefest »Dreibart wählt«. Auf dem Rückweg kamen uns vier Jugendliche entgegen. Der eine streckte den Arm und sagte: »Der Führer grüßt.« Ich habe nur noch auf den Boden geschaut. Wird es so werden in Zukunft, dass wir nur noch auf den Boden schauen? Dass es jetzt wieder losgeht, finde ich furchtbar. Dieses Weggucken, damit man nicht als Andersdenkende erkannt wird.
Wie geht es jetzt mit Ihrer Arbeit weiter?
Noch sind wir knapp an der Sperrminorität in Sachsen vorbei. Es gibt schon Stimmen, die sagen, dass wir einfach aufhören sollten. Das werden wir nicht tun. Hinzu kommt, dass Ministerpräsident Kretschmer von der CDU schon gesagt hat, dass wir froh sein sollen, wenn bis Weihnachten eine Koalition zustande kommt. Das heißt, dass Demokratieförderrichtlinien für das nächste Jahr frühestens danach verhandelt werden – da werden wir also erstmal gar nichts bekommen. Wir müssen jetzt dafür kämpfen, dass der Vogtlandkreis die Demokratie leben!-Fördergelder vom Bund beantragt, denn daran hängen viele tolle Projekte hier im Vogtlandkreis. Wir sind bundesweit und regional gut vernetzt. Wir kämpfen um das Demokratiefest, das jedes Jahr am 3. Oktober hier im Dreiländereck Sachsen-Thüringen-Bayern stattfindet und nun einer AfD-Veranstaltung weichen soll.
Doritta Kolb-Unglaub ist geschäftsführende Vorständin des Vereins Colorido im sächsischen Plauen
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